Vor dem Vulkanausbruch

Tagesanzeiger, 06/04/2000

Die Iatmul sind für ethnologisch Interessierte ein berühmtes Volk. In den 20er- und 30er-Jahren waren die Werke von Margaret Mead und Gregory Bateson über diese Kopfjäger Bestseller. Florence Weiss und ihr Mann Milan Stanek lebten acht Monate zusammen mit jenen Iatmul, welche in Kori, am Rande der Provinzstadt Rabaul in Papua-Neuguinea, mal schlecht, mal recht durchkommen.

In ihrem Buch "Vor dem Vulkanausbruch" beschreibt Florence Weiss den Übergang von der traditionellen Dorfgesellschaft der Iatmul zur städtischen Gesellschaft. Die Frauen - im Dorf waren sie noch Ernährerinnen der Familien - entwickeln sich zu traditionellen Hausfrauen. Die Männer - im Dorf selbstständige Handwerker und künstlerische Schnitzer - werden Arbeitnehmer, und die Kinder verlieren die Freiheit der annähernd autonomen Kindergruppe und gehen in die Schule.

Es ist rührend und amüsant zugleich, wie sich die eine Frau - oftmals vergeblich - darum bemüht, das Essen zeitig auf den Tisch zu bringen. Es ist spannend zu lesen, wie die Frauen nachts zum Fischen ausfahren und so einer traditionellen Tätigkeit auch in der Stadt nachgehen.

Der Titel deutet es an: Zwei Jahre nach dieser Bestandesaufnahme verschüttet ein Vulkan die Siedlung. Die Iatmul von Kori überleben zwar, werden aber in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Die Natur hat so vorweggenommen, was ohnehin geschehen wäre: den Untergang einer Kultur, die von der Moderne aufgesogen wird. Florence Weiss hat einen fruchtbaren Moment ausgesucht, diesen nicht nur bei den Iatmul, sondern durchaus auch vor unserer Haustür stattfindenden Vorgang zu dokumentieren. (net)

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