Der wahre Sinn des Schenkens

Weihnachten, die Zeit des Schenkens. Über den Sinn dieses Rituals hat sich Johanna Krafft-Krivanec Gedanken gemacht. Die promovierte Kulturanthropologin deutet das Schenken als einen für den Aufbau sozialer Beziehungen grundlegenden Vorgang.

OÖN: Schenken als rituelles Verhalten findet sich schon bei den Naturvölkern. In Ihrem neuen Buch geben Sie dafür Beispiele.

Krivanec: Der französische Anthropologe Marcel Mauss beschreibt den "potlatch"der nordwestamerikanischen Indianerstämme, die bei großen Festen an geladene Gäste Prestigegüter und Nahrungsmittel verschenkten. Die Gegengaben der Beschenkten mussten die erhaltenen Gaben übertreffen. Da ging es um Konkurrenz und Rivalität, und die Folge konnte die völlige Verarmung eines Stammesmitglieds sein. Anders beim "kula-Ring" auf den Trobriand-Inseln nordöstlich von Papua-Neuguinea, wo immer die selben rituellen Objekte im Kreislauf des Gebens und Nehmens zirkulierten und die sozialen Verhältnisse festigten.

OÖN: Welche Schlüsse zog Marcel Mauss aus seinen Beobachtungen?

Krivanec: Schenken ist für ihn keine "edle" Handlung, sondern der Gebende verschafft sich damit eine Position der Überlegenheit. Der Beschenkte muss das Geschenk erwidern, und wenn er dazu nicht im Stande ist, können hierarchische Herrschaftsverhältnisse entstehen.

OÖN: Im abendländischen Kontext denkt man bei "schenken" zuerst einmal an Weihnachten.

Krivanec: Das Weihnachtsschenken ist eine Form des symbolischen Güterkreislaufs. Man schenkt entweder etwas, das eine Versorgungslücke schließen soll, oder etwas, das eigentlich keinen Nutzen hat - das besagt ja schon die Bezeichnung "Geschenkartikel".

OÖN: Was ist die Wurzel des Weihnachtsfestes?

Krivanec: Historisch lassen sich Feste und Feiern zur Zeit der Wintersonnenwende weit zurückverfolgen. In seinem Text "Der hingerichtete Weihnachtsmann" zeichnet der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss die Entwicklung von den Saturnalien im antiken Rom bis heute nach. Während dieses Festes kehrten sich die sozialen Verhältnisse symbolisch um, die Herren bewirteten die Sklaven, die Sklaven durften sich betrinken - sie erhielten vorübergehend Rechte, die ihnen üblicherweise nicht zustanden.

OÖN: Es wurde das "Unterste" nach oben gekehrt?

Krivanec: Nach dem Vorbild der Natur, in der sich zur Sonnenwende das Verhältnis von Tag und Nacht wieder umkehrt, das Leben symbolisch die Oberhand über den Tod gewinnt.

OÖN: Wie lässt sich diese symbolische Umkehrung auf das Weihnachtsfest übertragen?

Krivanec: In seiner strukturalistischen Analyse des Weihnachtsfestes deutet Lévi-Strauss die geheimnisvolle Geschenkübergabe der Erwachsenen an die Kinder, die angeblich durch Christkind oder Weihnachtsmann erfolgt, als eine Gabe des Diesseits an das Jenseits, wobei die "Diesseitigen" - die Erwachsenen - die Kinder als die symbolischen Vertreter der "Jenseitigen" - der Götter und letztlich der Toten - mit Geschenken überhäufen, um, wiederum symbolisch, den Tod für ein Jahr bis zur nächsten Wintersonnenwende zu bannen.

OÖN: Wobei die Kinder von der Verpflichtung zu einem Gegengeschenk ausgenommen sind.

Krivanec: Ja, und das ist der springende Punkt. Die Tatsache, dass diese Gaben unerwidert bleiben, solange die Kinder an das Christkind oder den Weihnachtsmann glauben. Nicht ausgenommen von der moralischen Verpflichtung zum Gegengeschenk sind die älteren Kinder, die wissen, dass es kein Christkind gibt, und natürlich auch nicht die Erwachsenen. Ihnen verschaffen Weihnachtsgeschenke umso größere Befriedigung, wenn ihr Geschenk wertvoller ist als jenes, das sie selbst erhalten.

OÖN: Gibt es beim Schenken geschlechtsspezifische Unterschiede?

Krivanec: Sie lassen sich an der Art der Geschenke erkennen, die man Frauen und Männern gibt. Dabei werden jene Geschlechter-Stereotypen bedient, von denen wir uns eigentlich längst befreien wollten.

OÖN: Schmuck für die Frau, Fotoapparat oder Krawatte für den Mann.

Krivanec: Wobei Frauen allgemein über weniger materielle Mittel verfügen und deshalb geringere Möglichkeiten haben, sich andere durch Geschenke zu verpflichten und die Vorteile einer solchen Machtposition zu genießen.

OÖN: Ist Schenken also ein Ausdruck von Macht?

Krivanec: Ja, denn Macht besteht darin, zu geben, ohne im Gegenzug etwas dafür zu erhalten, um mit dem Soziologen Jean Baudrillard zu sprechen. Umso größer ist dann die Demütigung für den Empfänger der Gabe.

 vom 24.12.2004

http://www.nachrichten.at/magazin/erforscht/322955