Wenn Schwarze die Augen senken
Weiterbildung «Polizei und Migranten»: Stadtpolizei macht sich fit im Umgang mit Ausländern. Der Umgang mit Klientel aus Afrika und Balkan-Ländern will gelernt sein. In der Diskussion unter den Polizisten wird deutlich, wie sehr ihr Alltag von Ausländerfragen geprägt ist.
Daniel Klingenberg, St.Galler Tagblatt, 21.3.07
Für Polizisten stehen viele Fettnäpfchen bereit: Treten sie zu forsch auf, wird ihnen Machtgehabe vorgeworfen. Schreiten sie zu spät ein, haben sie «ihren Job» nicht gemacht. Besonderes Fingerspitzengefühl erfordern Interventionen in gesellschaftlich aufgeheizten Konfliktfeldern: etwa im Bereich Ausländer und Jugendgewalt.
«Die multikulturelle Gesellschaft ist unser Alltag», sagte im vergangenen Jahr der Kommandant der Stadtpolizei in der Stellungnahme zum Rassismusvorwurf in einem Leserbrief (Tagblatt vom 23. Mai 2006). Dass es der Stadtpolizei ernst ist im Bemühen, sich das Kommunikations-Know-how für den Umgang mit ausländischer Klientel anzueignen, zeigt eine interne Weiterbildung. Am aktuell laufenden halbtägigen Kurs «Polizei und Migranten» nehmen in Gruppen von 30 Personen sämtliche 150 Beamtinnen und Beamten teil, welche im Aussendienst arbeiten.
Doppelter Rucksack
Und es geht gleich mit einem Fallbeispiel zur Sache: Bei einer Kontrolle fällt Beamten der gesenkte Blick der Schwarzen auf. Nicht in die Augen blicken, heisst Dreck am Stecken haben – so argumentiert der mitteleuropäische Menschenverstand. Anders Menschen aus Afrika: Der gesenkte Blick ist Ausdruck von Respekt.
Sich in heiklen Situationen richtig verhalten, habe viel mit Wissen über den «kulturellen Rucksack» der Ausländer – neben ihrer persönlichen Geschichte – zu tun, sagt Lilo Roost Vischer aus Basel. Die Ethnologin arbeitet im Team von Thomas Kessler, dem Baumeister der baslerischen Vorzeige-Integrationspolitik. Ausländer werden in der Stadt am Rheinknie nicht mit Glacéhandschuhen angefasst: Statt nur gefördert wird auch gefordert.
Seit Lilo Roost Vischer vor einigen Jahren die Kantonspolizisten am Rheinknie für den Umgang mit afrikanischer Klientel sensibilisiert hat, klingelt bei ihr immer wieder das Telefon. Polizeikorps aus der ganzen Schweiz holen sich Wissen und Gelassenheit im Kontakt mit Ausländern bei ihr.
Ab und zu ein «Chlapf»?
Es ist viel Material, das die Beamten bekommen: Auf den Pulten liegen Statistiken über die ausländische Wohnbevölkerung und eine Zeitungsschlagzeile: «Den Jugo gibt es nicht.» Entscheidend für den Umgang mit Ausländern ist: «Die Augen schärfen für das konkrete Gegenüber – aber Vorsicht mit Verallgemeinerungen», sagt Lilo Roost Vischer mit unverkennbarem Basler Dialekt.
Gerade dies ist für Polizisten nicht einfach. Denn ihr Job ist «konfliktorientiert»: Sie werden gerufen, wenn etwas schief läuft. Sie müssen vermitteln, wenn sich ein Paar verprügelt oder Jugendliche aneinandergeraten. Dadurch werden sie dauernd mit den Schattenseiten der Gesellschaft konfrontiert.
Deshalb verwundert nicht, dass verschiedene Haltungen zu spüren sind und die Diskussion an der Weiterbildung gestern morgen bald ausländerpolitische Fragen aufgreift. Gehört es einfach zu Männern aus Balkan-Ländern, ihren Frauen ab und zu einen «Chlapf» zu geben? Warum sollen wir den Moschee-Bau erlauben, wenn Christen in islamischen Ländern keine Kirchen hinstellen dürfen oder gar verfolgt werden?
Blick für Geschichte schärfen
Dadurch wird die Basler Referentin herausgefordert, Stellung zu nehmen: «Es gibt keine Gesellschaft, die einen Freibrief für Gewalt gegen Frauen erteilt.» Zudem sei die Rolle der Frau keineswegs so schwach, wie das westeuropäische Auge vermutet: Noch gelte in türkischen Gesellschaften, dass Frauen als «Innenministerinnen» einem ganzen Haushalt vorstehen. Weil hierzulande eine «Nur-Hausfrau» wenig zählt, geschehe eine Abwertung.
Der Appell von Lilo Roost Vischer ist klar: Auch Polizisten müssen geschichtlich denken. Denn die St. Galler Wirklichkeit ist nicht vom Himmel gefallen, sondern gewachsen.
Das wird auch deutlich bei der Moscheenfrage: «Unser Religionsfriede ist blutig erkämpft worden.» Noch nicht lange sei es her, dass Katholiken und Evangelische sich die Köpfe eingeschlagen hätten. Den Religionsfrieden gelte es als Errungenschaft zu verteidigen – aber nicht im Stil von gleiches mit gleichem.
«Mehr Teflon»
Klar wird auch, dass der Umgang mit ausländischer Klientel Sozialkompetenz und ab und zu eine dicke Haut erfordert. Lilo Roost Vischer empfiehlt den Polizisten Teflon mit in den Einsatz zu nehmen: Damit Provokationen an ihnen abgleiten – und sie gegenseitigen Respekt einfordern.
Quelle: St.Galler Tagblatt