Die Muslime haben Angst vor den Deutschen
Der Ethnologe Werner Schiffauer über die mangelnde Integrationsbereitschaft und ihre Gründe
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland um mehr als ein Drittel gesunken; besonders die hier lebenden Türken stehen zunehmend in der Kritik, sich in ihren Communities einzuigeln. Wir sprachen mit Werner Schiffauer, einem der herausragenden Islamismus-Experten in Deutschland und Professor für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina, über die Gründe für dieses Verhalten und das sich selbst verstärkende Misstrauen der Mehrheitsgesellschaft gegen Muslime.
- In Deutschland gibt es immer weniger Einbürgerungen. Muss uns das Sorgen bereiten?
Ich halte das für ein alarmierendes Zeichen. Der Rückgang ist fast ausschließlich der abnehmenden Einbürgerung von Migranten aus muslimischen Ländern geschuldet. Vor allem türkische Staatsbürger lassen sich nicht mehr einbürgern, und dieser Trend hält an. Wenn sich das bis in die dritte Generation fortschreibt, werden wir eine Bevölkerung haben, die langfristig in diesem Land bleibt, aber von den wesentlichen Aspekten der politischen Meinungsbildung ausgeschlossen ist.
Als Ursache wird oft das neue deutsche Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 2000 angeführt. Seitdem muss man seine vorherige Staatsbürgerschaft aufgeben, wenn man sich in Deutschland einbürgern lassen will.
Die doppelte Staatsbürgerschaft spielt mit Sicherheit eine Rolle. Eigentlich erklärungsbedürftig ist aber, warum die doppelte Staatsbürgerschaft für die Türken überhaupt wieder so an Bedeutung gewonnen hat. Seit dem 11. September 2001 wird das Islambild in der Öffentlichkeit zunehmend von einer Assoziationskette bestimmt, die den Islam mit Islamismus und Islamismus mit Terrorismus gleichsetzt. Es ist in weiten Teilen der Bevölkerung eine Islamophobie entstanden, die im Kern bedeutet: Wir wollen keine Muslime als Staatsbürger in Deutschland. Auch die Ausländerbehörden reagieren zunehmend zögerlich, wenn es darum geht, Muslimen die Einbürgerung zu bewilligen. Der umstrittene Einbürgerungsfragebogen von Baden-Württemberg ist nur die Spitze des Eisbergs, das Misstrauen, das er artikuliert, spiegelt die bundesweite Praxis wider. Die Loyalitätsprüfung zur Verfassung lässt viel Spielraum für individuelle Beurteilungen, sie hat den Einbürgerungsbehörden die Tür weit für einen Abgrenzungsdiskurs gegen Muslime geöffnet.
Das heißt, Muslime stellen erst gar keinen Antrag auf Einbürgerung mehr, weil sie sich sowohl von der Öffentlichkeit als auch von den Behörden abgelehnt fühlen?
Die Botschaft, dass man als Muslim, vor allem als rechtgläubiger Muslim, in diesem Land, in dem man aufgewachsen ist und dessen Sprache man spricht, nicht willkommen ist, hat etwas unglaublich Kränkendes. Das führt dazu, dass man sich zurückzieht und zunehmend Angst hat, die türkische Staatsbürgerschaft aufzugeben.
Angst?
Die Frage, was denn passiert, wenn eine Gruppe von fehlgeleiteten Muslimen in Deutschland einen Anschlag verübt, beschäftigt die islamischen Gemeinden zunehmend. Es ist hier ja bisher noch gar nichts geschehen, und trotzdem gibt es schon diese Welle der Ausgrenzung. "Wie wird es da erst, wenn etwas passiert? Wie sicher sind wir dann in diesem Land? Werden wir die türkische Staatsbürgerschaft nicht vielleicht noch brauchen, nicht jetzt, aber in fünf oder zehn Jahren, wenn sich die Dinge so weiter entwickeln?" - das sind Fragen, die in den Gemeinden diskutiert werden. Es werden auch Erinnerungen an den Holocaust zitiert, die sich etwa an den zum Teil hysterischen Reaktionen auf den Van-Gogh-Mord in Holland festmachen. Es geht bei der doppelten Staatsbürgerschaft nicht mehr wie früher um eine Identitätsfrage, sondern um ein Zurückschrecken aus Sorge um die künftige Entwicklung.
Sie haben die islamischen Gemeinden schon häufiger mit den Grünen der Gründungsphase verglichen und die These aufgestellt, dass die Gemeinden den Islamismus von innen heraus überwinden könnten, so wie die Grünen ihren Radikalismus auch von innen überwunden hätten. Die Hysterie der Öffentlichkeit hat bei dem Prozess aber eine wichtige Rolle gespielt.
Sicher wurde auch bei den islamischen Gemeinden durch die Hysterie etwas aufgebrochen. Die Gemeinden in der ersten Generation haben sich ja tatsächlich als Inseln der Gläubigen im Meer der Ungläubigen verstanden, es waren Gemeinden von wertkonservativen Arbeitsmigranten, die meist aus ländlichen Gebieten kamen und diesen Rückhalt brauchten, um die Schwierigkeiten der Migration zu bewältigen.
Es ist in den Gemeinden aber inzwischen eine zweite Generation herangewachsen, und es hat sich gezeigt, dass ein konservativ islamisches Elternhaus zwar eine gewisse Enge haben mag, aber auch stabilisierend wirkt. Denn es waren nicht selten die Kinder aus diesen Familien, denen eine erfolgreiche Schulausbildung gelungen ist. Diese zweite Generation ist jetzt um die 30, 35 Jahre, sie besteht aus Bildungsbürgern, die deutsche Schulen und Universitäten besucht haben, und ohne den Druck von außen wären sie nach dem 11. September nicht so stark in Leitungspositionen gerückt, wie es der Fall ist. Denn dazu waren die Gemeinden viel zu patriarchalisch organisiert.
Das ist die Chance, die sich durch die öffentliche Hysterie ergeben hat, denn diese zweite Generation will in ihrem Gros die Gemeinden reformieren und sie in Europa verankern. Auf der anderen Seite zerstört das vorherrschende Misstrauen viel von diesen Bemühungen. Reformpositionen werden von der Mehrheitsgesellschaft oft als Fassade, als Doppelzüngigkeit und Manipulation ausgelegt. Dies bestätigt dann wieder diejenigen in den Gemeinden, die der Meinung sind, dass die deutsche Gesellschaft sowieso den Islam nicht akzeptieren wird, und dass man als Muslim letztlich nur in einer islamischen Gesellschaft leben kann.
Was sollte passieren?
Die zweite Generation der Muslime hat das Anliegen, den Islam aus der Schmuddelecke zu holen und ihn zu einer respektablen Religion in Deutschland zu machen. Er soll nicht mehr Arbeiter-, nicht mehr Außenseiter-, sondern Bürgerreligion sein. Das setzt eine enorme Kraft frei. Man kommt aus einer Außenseitergruppe und will in die Gesellschaft hinein, und der Impetus bezieht sich darauf, die eigene Gruppe in diese Gesellschaft hinein zu bringen und den sozialen Aufstieg der ganzen Gruppe zu ermöglichen. Das sollte man als Vorgang nachvollziehen.
Wir haben keine dezidiert muslimischen Politiker, und ich frage mich, ob das von der deutschen Mehrheitsgesellschaft goutiert würde, ob man einen bekennenden, frommen, wertkonservativen Muslim in den Bundestag wählen würde. Genau das wäre aber der notwendige Schritt, um den Zirkel des Misstrauens zu durchbrechen. Damit wäre der Islam in Deutschland angekommen - aber davon sind wir im Moment weit entfernt.
Das Gespräch führte Michaela Schlagenwerth. Berliner Zeitung, 07.02.2007