«Diese freundlichen Leute»

Die Tamilen sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Wohin, das zeigt ein Buch der Fotografin Vera Markus

Man kann ja auch den «Blick» lesen. Jedenfalls wenn es um die Konjunktur von Klischees geht. «Drogen-Tamilen», so nannte das Blatt die Asylbewerber aus Sri Lanka. Das war Mitte der Achtzigerjahre. Rund zehn Jahre später ging ein anderer Wind. Der Wirteverband setzte sich für eine liberalere Ausschaffungspraxis ein, und der «Blick» drehte seine Buchstaben in die neue Richtung: «Wirte klagen: Wir brauchen diese freundlichen Leute.»

Diese freundlichen Leute: Seither sind sie aus den Schlagzeilen verschwunden. Fast 40 000 Tamilen leben heute in der Schweiz, die meisten mit regulärer Aufenthaltserlaubnis, einige eingebürgert. Und wie sie in zwanzig Jahren zu einem Teil des Strassenbildes wurden, der dem einheimischen Auge nicht mehr auffällt, so meint man gern, sie seien komplett an- und eingepasst. Doch das ist höchstens die halbe Wirklichkeit.

Die ganze hat die Zürcher Fotografin Vera Markus zwischen 2002 und 2004 mit ihrer Kamera erkundet. Sie zeigt die Tamilen in der Küche der Betriebskantine, am Pflegebett im Krankenhaus, beim Appell in der Rekrutenschule – sie zeigt sie aber auch, wie sie am Boden sitzen und mit den Händen aus Schalen, Tellern, Töpfen essen. Wie sie sich Haken in den Rücken stechen und sich an Schnüren vornüber fallen lassen, am Tempelfest zur Ehre ihres Gottes Murugan. Wie sie Andacht halten vor den Bildern ihrer «grossen Helden», die im Befreiungskampf auf der anderen Seite des Globus gefallen sind.

Unaufdringliche Nähe

Mitten in der Schweizer Gegenwart gibt es dieses Universum, in dem die Tamilen unter sich sind. Von dort berichtet Vera Markus in Schwarzweiss. Sie forciert keine Kontraste zwischen Exotischem und Helvetischem, arbeitet mit ruhigem Blick und meist auf Augenhöhe mit den Menschen, für die sie sich interessiert. Was ihre Reportagebilder ausmacht, ist denn auch nicht formale Extravaganz, sondern eine Nähe, die sich niemals aufdrängt. Und es sind jene mikroskopierten Momente aus dem Alltag, die im Gedächtnis bleiben. Wie der Rückspiegel den arbeitenden Blick der tamilischen Fahrschülerin reflektiert. Oder wie die tamilische Kassiererin den Mund zusammenkneift – jetzt, da gerade keiner zum Zahlen da ist.

Sechs tamilische Lebensgeschichten steuert die Journalistin Paula Lanfranconi zum Buch bei. Auch diese Porträts vermitteln Nähe, täuschen sie mitunter aber auch bloss vor, wenn sie im oberflächlichen Psychologieren stecken bleiben (Dharmini beispielsweise ist «eine Frau mit strahlenden Augen, einfühlsam und stark», und Lathan ist «ein Gewinnertyp»). Durchwegs erhellend sind dagegen die drei Hintergrundtexte. Markus Spillmann, Auslandchef der «NZZ am Sonntag», erklärt den Bürgerkrieg in Sri Lanka zurück bis zur Minderheitenpolitik der britischen Kolonialisten. Martin Stürzinger, Experte für Sri Lanka und auf der Schweizer Botschaft in Colombo in der Friedensförderung tätig, bilanziert zwei Jahrzehnte tamilische Einwanderung in die Schweiz. So zeigt er, wie die Flüchtlinge die Rückkehr immer wieder vertagen mussten, während die hiesigen Behörden in ihrer Politik nur zögerlich der Entwicklung in Sri Lanka folgten.

Exil als Dauerzustand

Schliesslich gibt die Ethnologin Damaris Lüthi (siehe unten stehendes Interview) einen Einblick in die tamilische Kultur. Da wird klar, wie pragmatisch sich die Exilgemeinschaft etwa beim Essen den schweizerischen Realitäten anpasste und vom Reinheits- und Kastendenken abrückte. Da wird aber auch klar, wie viele tamilische Traditionen hier Konfliktstoff bieten, wenn die alten Normen gültig bleiben. So gibt es nach der Tradition kein Konkubinat, und die Ehe wird von den Eltern arrangiert. Die Spannungen bekommt vor allem die zweite Generation zu spüren, die hier erwachsen wird und ihr Leben in zwei Welten einrichtet – oder eben dazwischen. Da können Verwandtschaften zerbrechen und Angehörige aus ihren Familien verstossen werden.

«In der Heimat ihrer Kinder», so heisst der Band, und der Titel bringt die Lage von Menschen auf den Punkt, deren Exil zum Dauerzustand wurde. So flott, so fleissig, so schweizerisch: So sieht es aus. In jener anderen Welt dagegen, in jenem anderen Leben bewältigen die Tamilen Konflikte zwischen Kulturen und zwischen Generationen. Das allerdings nicht in der Gegenwart der Kamera.

Daniel Di Falco

Vera Markus: In der Heimat ihrer Kinder. Tamilen in der Schweiz. Offizin-Verlag, Zürich.

http://www.tagblatt.ch/index.jsp?artikel_id=1092140&ressort=leben