Ethnologie und Oeffentlichkeit II: Das ambitioese Projekt der Muenchner Ethnologiestudierenden
Es gibt kein Fach, das so hart um seine wissenschaftlichen Grundlagen zu kaempfen hat wie die Ethnologie. (...) Es ist ein Kampf gegen die Kritiker, die unserem Fach akademischen Autismus und Praxisangst vorwerfen. (...) Um den Gegnern zu zeigen, dass an Ethnologie sehr wohl was dran ist, muessen die Sinne angesprochen werden: Ethnologie muss greifbar, fuehlbar und sichtbar werden.
Dies lesen wir im Editorial von Ethnologik, der Zeitschrift der Muenchner Ethnologiestudierenden. Das Blatt wird sich von nun an verstaerkt mit dem Thema Ethnologie und Oeffentlichkeit beschaeftigen. In der kommenden Ausgabe, die derzeit geplant wird, soll dies Thema noch mehr im Vordergrund stehen, eine Sonderausgabe ist geplant, erfahren wir auf ethno::log:
Bei der letzten Podiumssitzung zur miserablen Lage der Ethnologie entstand die Idee einer Sonderzeitschrift, an der sich verschiedenste Fachrichtungen beteiligen sollen. Diese soll der Öffentlichkeit (und vor allem einflussreicheren Personen) einen kurzen Einblick in unser Fach vermitteln. Dabei sind vor allem die Geistes-, Religions- und Kulturwissenschaften angesprochen, da gerade sie sich bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage unter starken Profilierungsdruck befinden.
Ganze 60 Seiten stark ist die erste Ausgabe der neuen Redaktion geworden mit Interviews mit Einwanderern, Buchbesprechungen, Reiseberichten - dazu recht professionell gestaltet. Mann und Frau auf der Strasse wird das Blatt vielleicht nicht unbedingt ansprechen, fuers Fach muss man sich naemlich schon interessieren.
Sehr interessant ist Wolfgang "anthronaut" Wohlwends Beitrag zum Borderfilm-Projekt. Obwohl nicht von Ethnologen initiiert, ist es ein gutes Beispiel dafuer, wie unser Fach "greifbar, fuehlbar und sichtbar" wie im Editorial gefordert, werden kann. Migrationspolitik ist ein komplexes und polarisiertes Thema. Wie laesst sich sowas ansprechend vermitteln, ohne dass man zu sehr vereinfacht?
Rudy Adler, Victoria Criado und Brett Honeycutt haben Migranten und Grenzwaechtern Einwegkameras in die Hand gedrueckt, damit sie ihren Alltag dokumentieren. Wohlwend schreibt:
"Was da nun troepfchenweise wieder eintrifft, ist Bildmaterial, dessen Intimitaet und Direktheit vereinnahmt. (...) Bilder, die nur jemand machen kann, der sich nicht erst in eine Situation einfuehlen muss, sondern mittendrin ist. Sie sind wertvoll und eine Eintrittskarte fuer eine emische Sichtweise.
(...)
"Es ist eine simple Idee mit einer grossen Wirkung. (...) Die Bilder sind Dokumente, die nicht nur neue Ansaetze in die Immigrationsdebatte fuehren und die Fronten erweichen wird, sondern auch einen interessanten Ansatz fuer zukuenftige Aktionen in aehnlichen Kontexten."
Wie Daniel Wagner im Eroeffnungstext "Going Public. Der lange Marsch der Ethnologie durch die unbekannte Welt oeffentlicher Meinung" schreibt, gibt es genug Gelegenheiten, uns in gesellschaftliche Diskurse einzubringen. Doch finde ich nicht, dass sich Ethnologen auf Themen beschraenken sollten, die mit "Fremden" (wer auch immer damit gemeint sein soll) zu tun haben. Denn ethnologisch lassen sich auch Ethnologiestudenten untersuchen und wie wir wissen tragen Ethnologen zur Entwicklung von High-Tech-Geraeten, Webdiensten oder Espressomaschinen bei.
Wagner zitiert C.Lenz:
[w]enn ich zeigen kann, dass die Lokalpolitik in einem nordghanesischen Dorf nicht grundsaetzlich anders funktioniert als in einem hessischen Dorf, ist das noch berichtenswert?
Selbstverstaendlich. Denn in der Ethnologie geht ja nicht darum darzustellen, worin sich Leute in Nordghana von jenen in Hessen unterscheiden. Es geht darum, ihr Leben zu dokumentieren, um so ethnologische Theorien weiter zu entwickeln und Menschen im allgemeinen besser zu verstehen. Einsichten in ihr politisches System liefert wichtige Informationen fuer eine generelle Theorie von Politik (die auch fuer Politologen und Soziologen relevant ist).
Das Potential der Ethnologie bestuende darin, die westliche Perspektive erweitern zu helfen, schreibt Wagner weiter. Das hoert sich ethnozentrisch an. Sollte Ethnologie nicht auch die oestliche, suedliche und noerdliche Perspektive, ganz allgemein die Perspektive aller Menschen erweitern helfen? Schliesslich kritisiert er ja selbst die Zurueckhaltung vieler Ethnologen, wenn es darum geht, andere Gesellschaften zu kritisieren. Abgesehen davon gibt es ja genug Ethnologen ausserhalb des "Westens".
Wie Thomas Hylland Eriksen in seinem Buch Engaging Anthropology: The Case for a Public Presence, bemaengelt Daniel Wagner die Sprache, in der ethnologische Texte verfasst werden:
"Vor allen Dingen muessen wir schreiben lernen. Und zwar so, dass uns auch diejenigen lesen wollen, die uns bislang aus gutem Grund mieden."
Ethnologik ist schon mal ein vielversprechender Anfang!
PS: Es soll auch bald eine Webversion der Zeitschrift geben - und zwar auf www.ethnologik.de
Lieber Lorenz, danke für deinen Kommentar zur Ethnologik und zu meinem Artikel. Ich fand den Kommentar sehr anregend und bin erst jetzt darauf gestoßen.
Was ich beim Schreiben des Artikels versucht habe, ist, auf ein Vokabular zurückzugreifen, das Personen ohne ethnologische Ausbildung Ansatzpunkte für ein Verstehen dessen bietet, was wir tun, warum wir es tun und mit welchen Problemen wir uns konfrontiert sehen. Dass sich die Ethnologie nicht nur mit dem “Fremdem” befasst (ich bin so frei und verzichte nachfolgend auf die schon fast obligatorisch gewordenen Anführungszeichen “") leuchtet ein. Aber Fremdes ist zunächst das, was uns in ethnologischer Literatur, in ethnologischen Filmen und auch im Alltag als erstes begegnet, was uns sofort auffällt und was wir erst in einem zweiten Schritt verstehen wollen (oder von dem wir uns abgeschreckt fühlen). In einem dritten Schritt (das soll keine strenge Kausalverkettung sein!) fangen wir an zu reflektieren, über uns und die Welt und unser Verhältnis zu ihr. Insofern ist Fremdes für mich der begriffliche Ansatzpunkt für eine Öffentlichkeit, der wir als Ethnologen begegnen müssen. Und erst wenn die Begegnung stattgefunden hat, können wir beginnen, das Fremde im Verhältnis zum Eigenen zu thematisieren (by the way: ich glaube, dass es das Fremde ist, was viele von uns zu einem Studium der Ethnologie bewegt).
Dasselbe gilt für, aus der Sicht der Öffentlichkeit berichtenswerte, ethnologische Informationen: auch sie benötigen erst einen Aufhänger (ganz im Sinne von C. Antweiler) um überhaupt von Rezipienten wahrgenommen zu werden, bevor wir schließlich diese Information relativieren und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten können (also nicht beim Vor-Wissen des Lesers stehen bleiben).
Daher kann ich auch eine Formulierung wie “die westliche Perspektive erweitern” durchaus vertreten, in dem Sinne nämlich, dass ich hier, vor meiner Haustür und vor meinem Turm, ansetzen möchte, dass ich die Leute hier ansprechen und ihnen die Ethnologie näherbringen möchte. Auch dafür gilt: der Begriff des Westens ist ein starkes Konzept, das die Menschen kennen und verwenden. Daran anzusetzen und ihnen zu verdeutlichen, dass Ethnologie ihre Perspektive, ihren Horizont, zu erweitern vermag (auch das ist eine rhetorische Figur, die ich immer wieder höre), das sehe ich als Teil unserer Aufgabe an.
Beste Grüße
Daniel