Kolonialismus ist ueberall - erste deutschsprachige Einführung in postkoloniale Theorie
Patricia Purtschert vom Zentrum Gender Studies der Universität Basel bespricht in der WoZ neue Buecher zum Thema postkoloniale Theorie, darunter auch die erste deutschsprachige Einführung in dieses fuer die Ethnologie zentrales Thema Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung von María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan
Ein Verdienst der postkolonialen Theorie besteht darin, dass sie Kolonialisierung nicht als etwas versteht, das sich ausserhalb der westlichen Metropolen ereignet hat. Sie war über die offiziellen Kolonialgebiete hinaus bedeutsam, unter anderem durch die Wissenschaft, schreibt sie:
Die Entstehung der modernen Wissensformen ist, wie die postkoloniale Theorie zeigt, eng mit kolonialen Praktiken verknüpft. So verdichten sich im 19. Jahrhundert beispielsweise Evolutionstheorie, Medizin, Ethnologie, Biologie und nationalistische Ideologien in den modernen Rassentheorien, welche koloniale, antisemitische und rassistische Praktiken wissenschaftlich legitimieren. Die postkoloniale Theorie geht davon aus, dass solche Wissensordnungen trotz vieler Transformationen und Korrekturen bis in die Gegenwart hinein wirksam sind. Und sie untersucht, wie die problematische Dialektik zwischen Fremdem und Eigenem in Gang gehalten und der Unterschied zwischen dem «Westen und dem Resten» immer wieder neu produziert wird.
Mehrere neuere historische Publikationen, so lesen wir weiter im Text, zeugen davon, dass auch die Schweiz, welche nie offiziell als Kolonialmacht aufgetreten ist, in den Kolonialismus verwickelt war.
Der Sammelband «Spricht die Subalterne deutsch?» widmet sich der Frage, ob und wie die postkoloniale Theorie auf den deutschen Kontext anwendbar ist. Hito Steyerl fordert in ihrem Beitrag die Aufarbeitung der Verbindungen zwischen kolonialen und nationalsozialistischen Praktiken. Kein Nghi Ha plädiert dafür, den aktuellen Umgang mit Migranten durch die Kolonialgeschichte neu zu erschliessen. Er deutet die deutsche Arbeitsmigrationspolitik als eine Umkehr «kolonialer Expansionsformen»:
Er setzt mit seiner Genealogie der deutschen Einwanderungspolitik im wilhelminischen Deutschland an und legt Zusammenhänge zwischen der Kolonialpolitik und der osteuropäischen Arbeitsmigration frei. Damit schreibt er gegen die Vorstellung an, Arbeitsmigration sei ein Phänomen der Nachkriegszeit, und verleiht dem Widerspruch zwischen ökonomischer Ausbeutung und nationalistischer Ausgrenzung von MigrantInnen, der die aktuelle Politik prägt, eine neue Tiefenschärfe.
Solche Beiträge, so die Rezensentin, seien "bedeutsame Interventionen in politische und wissenschaftliche Felder, in denen die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit und der postkolonialen Gegenwart überfällig ist".
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Christoph Seidler: »Opfer ihrer Erregungen«: Die deutsche Ethnologie und der Kolonialismus
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