In Darkest Leipzig - Ethnologiestudent erfolgreich mit Buch über Leipziger Clans und Stämme
Ethnologiestudent Michael Schweßinger (29) macht etwas, was allzu wenige Ethnologe tun - er forscht und schreibt über das Alltagsleben in seiner eigenen Stadt - und er hat Erfolg. Sein Buch In darkest Leipzig: Über die seltsamen Sitten und Gebräuche der Lindenauer ist ein Hit geworden, erfahren wir in einem Interview in der Leipziger Internet Zeitung.
“Manchmal setze ich mich einfach in die Absturzkneipen, höre den Menschen zu und schreibe über sie oder über das, was sie mir erzählen. Und die haben verdammt viel zu erzählen", sagt er:
Ich begann vor eineinhalb Jahren mit meiner ethnologischen Feldforschung. Dabei stieß ich auf die verschiedenen faszinierenden Lindenauer Volksgruppen, die weite Teile des Leipziger Westens besiedeln. In der Wissenschaft herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass es bei den Lindenauern einen grundsätzlichen Unterschied zwischen sesshaften und nomadisch agierenden Clans gibt. So gesehen müssen wir differenzieren, wenn wir uns mit den Lindenauern beschäftigen.
Allgemein lässt sich jedoch sagen: Die Lindenauer siedeln seit nahezu 1000 Jahren an den fruchtbaren Elsterauen. Sie waren in früheren Zeiten für ihre Handwerkskunst und ihren kulturellen Reichtum bekannt. Heute teilen die Lindenauer das traurige Schicksal vieler indigener Völker, die vom Kapitalismus überrollt wurden. Hartz IV, zunehmender Alkoholismus, Perspektivlosigkeit
Wie wir sehen benutzt der Autor klassische ethnologische Begriffe - eine gute Idee! Generell, sagt er, hätte er fast nur positives Feedback auf Lesungen bekommen, doch einmal wurden “heftige Debatten” über ethnologische Terminologie” geführt und viele fühlten sich “mächtig auf dem Schlips getreten, wenn sie mit “den Primitiven” in einem Atemzug genannt werden".
Auf die Frage nach besonders emotionalen Erlebnissen während der Feldforschung antwortet er u.a.:
Eines dieser Dramen spielte sich im Supermarkt ab. Ein Vater der mit seiner Tochter händchenhaltend durch den Supermarkt geht, um sich eine Flasche Schnaps zu kaufen. Die Tochter sieht die Eistruhe und will ein Eis. Du siehst, dass er sie liebt und das er ihr gerne das Eis kaufen würde, aber dass sein Geld nicht für Alkohol und Eis reicht.
Diesen Moment zu beobachten, wie er den inneren Kampf zwischen Alk und Tochter austrägt und man weiß, dass der Alk gewinnen wird, da könnte man heulen. Dann die Menschen, die alleine in irgendwelchen Hauseingängen sitzen und mit leeren Augen vor sich hinstarren und trinken. Ich weiß nicht, da gehen so viele Dinge falsch.
Das Interview ist sehr inspierierend und Michael Schweßinger öffnet uns die Augen für den spannenden Alltag gleich um die Ecke - gerade auch aus Studentenperspektive. Er hat mehrere weitere Projekte am laufen, erzählt er:
Ich arbeite gerade an meinem neuen Buch “Von Seemännern und anderen Gestrandeten", welches Anfang Dezember erscheinen wird. Es geht darin wieder um den Leipziger Westen, allerdings beschäftigen ich mich dabei mehr mit den Menschen der Straßen und Kneipen und weniger mit den sesshaften Lindenauern. Irgendwie ist das Buch sehr viel nachdenklicher geworden als “In darkest Leipzig", aber vermutlich muss das so sein, wenn man sich die Realität vor Ort bewusst macht.
Dann gibt es natürlich noch jede Menge anderer Stories an denen ich gerade schreibe. In einigen berichte ich über meine skurrilen Erlebnisse als Tagelöhner. Als Student bekommt man ja die freakigsten Jobs angeboten. Reinigung im Atomkraftwerk, Baumfäller auf Friedhöfen, Sklavenarbeit auf Baustellen, Inventuren in staubigen Ramschläden. Das wird dann wieder sehr humorvoll.
>> weiter zum Interview in der Leipziger Internet Zeitung
SIEHE AUCH:
Alltagsforschung: “Hoppla, da steckt ja viel viel mehr dahinter”
Feldforschung am Tresen: Magisterarbeit über Münchens Bierstüberl
Ethnologen studierten Konsequenzen von Zwangsräumungen
“Grüezi": Die Exotik des Schweizer Alltags
Deutschlandforschung: “Deutsche Hunde – Ein Beitrag zum Verstehen deutscher Menschen”
Dissertation: Wie entwickelt sich eine Stammeskultur in der Stadt?
Headbangen und Kühemelken - Kulturclash in Norddeutschland
“Wie in Afrika!” Ausstellung über archaische süddeutsche Bräuche
Neueste Kommentare