Ethnologen in die Volkswirtschaft!
Die sogenannte Finanzkrise zeigt, dass die Wirtschaftswissenschaften versagt haben. Die Wirtschaftspolitik braucht mehr Input von Soziologen und Ethnologen, meint Soziologe Alexander Dill, “Der große Raubzug“, ein Buch über die Finanzkriese, veröffentlicht hat.
Volkswirtschaftler gehen von religiösen Grundsätzen aus, die nie hinterfragt werden, sagt er in einem Interview mit Telepolis:
Die Volkswirtschaft hat diese fast religiösen Paradigmen vertreten - dass es also im Markt nach Angebot und Nachfrage eine Selbstregelung gibt; dass wir durch die Globalisierung in einem Wettbewerb stehen, dem wir uns anpassen müssen; und dass der Mensch immer nur nach Eigennutz handelt. Solche Paradigmen, die nie in Frage gestellt wurden, sind in der Wachstumsphase nie hinterfragt worden und jetzt, wo das Ganze kaputt geht, muss man sie hinterfragen. Und deshalb ist die Disziplin insgesamt in Frage zu stellen.
(…)
(Volkswirtschaftsprofessoren) müssten (…) eigentlich eine Art Hearing machen, wo diskutiert wird, was die sozialwissenschaftlichen und humanistischen Voraussetzungen für diese Disziplin sind. Das heißt: Was soll denn die Volkswirtschaftslehre überhaupt in einem Staat wie Deutschland leisten? Und diese Grundsatzfrage kann natürlich nicht von den Volkswirten selbst gestellt werden, sondern da müssten natürlich Leute ran, die den Blick von außen darauf werfen können.
In seinem Buch spricht er von fünf Irrlehren der Volkswirtschaftslehre:
Irrlehre heißt eigentlich, dass man das Ganze von hinten aufzieht. Man schaut sich also nicht das Verhalten der Menschen an, was ja in einer Sozialwissenschaft normal ist - also zum Beispiel: Wie handeln die Menschen innerhalb eines Wirtschaftssystems miteinander? Wie gehen sie miteinander um? Verlässt sich einer auf den anderen? In den Wirtschaftswissenschaften ist das umgekehrt: Ich habe ein Theorem oder ein Paradigma, und sage: “Alle Menschen denken zuerst an sich selbst.”
Daraus leite ich eine so genannte politische Ökonomie ab. Das bedeutet: Die Politiker müssen sich ein einer Demokratie immer danach richten, dem Wähler Geschenke zu machen, sonst werden sie nicht gewählt. Und da beginnt eigentlich die Irrlehre. Wenn ich von so einem Paradigma ausgehend die Politik berate, wie es unsere Volkswirte ja machen, dann wird das schwierig, weil dieses Postulat des Eigennutzes oder das Postulat des Wettbewerbes gar nicht mehr hinterfragt wird. Deshalb ist das quasi religiös. Das ist so, wie wenn jemand zu Ihnen sagt: Glauben Sie erst einmal an den auferstandenen Christus, dann reden wir weiter. So ist es ja in der Religion.
Wer antropologi.info’s englische Seiten verfolgt hat, weiss, dass Ethnologen sehr praesent waren in den Debatten ueber die Finanzkriese:
Financial crisis: Anthropologists lead mass demonstration against G20 summit
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