Wider den Kulturenzwang, für mehr Transkulturalität
Mehr und mehr Bücher kommen auf den Markt, der mit dem verbreitenden Kulturalismus aufräumen. Nun haben Özkan Ezli, Dorothee Kimmich und Annette Werberger die Artikelsammlung Wider den Kulturenzwang. Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur herausgegeben.
Das Buch stammt aus dem Umfeld des an der Universität Konstanz etablierten Forschungsverbundes “Kulturelle Grundlagen von Integration“. Die Autoren kommen aus Fächern wie Ethnologie, Soziologie, Kultur-, Literatur-, Politik- sowie Film- und Theaterwissenschaft. Sie hinterfragen dominierende Diskurse über Migration, Globalisierung und Identität, erfahren wir in Rezensionen auf literaturkritik.de und socialnet.de.
Migration ist kein neues Phänomen, sondern etwas Uraltes, Selbstverständliches, das durch die gesamte Menschheitsgeschichte vorgekommen ist. Es macht wenig Sinn von Kulturen als festen Grössen zu reden und Menschen als Produkt von einer bestimmten Kultur zu sehen. Ethnologe Thomas Hauschild schreibt in seinem Artikel über Ehrenmorde, es gebe “keinen fixierten mediterranen Ehrenkodex, der Männer dazu treibt, scheidungswillige Ehefrauen oder unternehmungslustige und modernisierte Schwestern oder Töchter zu töten“.
Im ersten Teil des Buches wird die Tendenz aufgezeigt, “dass die Grenze zwischen dem, was als das ‚Eigene‘ und dem, was als das ‚Fremde‘ betrachtet wird, in Folge von Prozessen der Migration und Globalisierung zwar durchlässiger, durch Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September 2001 jedoch gleichzeitig auch verfestigt wurde und wird", so Susan Mahmody auf literaturkritik.de.
Der zweite und dritte Teil des Bandes zeigt anhand von Beispielen aus Kultur, Literatur, Film und Wissenschaft eine “Gegenbewegung zu den Tendenzen der Kulturalisierung” auf. Eines dieser Beispiele sind deutsch-türkische Filmproduktionen, ein “Kino der Métissage, in dem „offene Formen des Zusammenlebens in einer hybriden, urbanen Gesellschaft“ zentral stehen".
Özkan Ezli zeigt in seinem Beitrag, so Jos Schnurer auf socialnet.de, “eindrucksvoll auf, dass in den Filmen von türkischen Filmemachern, die in deutscher Sprache hergestellt werden, das zum Ausdruck kommt, was Integration eigentlich will: Eine Vermittlung! So wird der „Kultur“ das zurück gegeben, was sie eigentlich von Anfang an war und was in den ideologischen Festzurrungen verloren ging: Veränderung!”
Der dritte Teil widmet sich dem Konzept der “Weltliteratur". Er stellt die Existenz von Kulturen als Akteure und Systeme in Frage. Eine Kennzeichnung der Literatur und Kultur als ethnische, sprachliche, homogene und territoriale Einheit sei längst überholt. Daher könne man von „Weltliteratur“ in einem neuen Sinne sprechen, so Dorothee Kimmich in ihrer Auseinandersetzung mit Franz Kafka, Feridun Zaimoğlu und der Weltliteratur als „Littérature Mineure“. Literaturbetrachtung und –forschung müsse beachten, „in welchen Räumen, aus welchen Räumen diese Texte entstehen“.
>> Rezension auf literaturkritik.de
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