Bis vor etwa fünf bis zehn Jahren habe ich regelmäßig hier auf antropologi.info über Nachrichten aus dem Fach berichtet. Aufgrund Änderungen privater und beruflicher Natur blieb in den letzten Jahren für die Webseite nur wenig Zeit. Den zahlreichen Corona-Lockdowns sei Dank konnte ich mich wieder mehr meinen Interessen zuwenden, ich aktualisierte die Blog-Software, beseitigte viele tote Links, experimentierte mit einem Open Access Journal Ticker, der die neuesten Artikel von Open Access Zeitschriften anzeigt, lernte auch etwas mehr über Webdesign, Linux und die Open Source Welt.
Anfang des Jahres machte ich einen ernsthaften Versuch, so wie früher mehrmals wöchentlich die Nachrichten nach interessantem anthropologischen Stoff zu durchforsten. Das Resultat: ein knappes Dutzend Blogbeiträge, allerdings nur auf Englisch. Warum?
Klar, ich habe früher auch viele eigene Beiträge wie Interviews, Buchbesprechungen usw geschrieben. Viele Beiträge auf dieser Webseite begannen jedoch mit einer simplen Google-News-Suche. Auf Deutsch bringt dieselbe Suche heute weniger interessante Resultate als früher.
Der Grund: Die meisten deutschsprachigen Zeitungen und auch viele andere Netzpublikationen haben sich vom offenen Internet verabschiedet. Ein Grossteil der Klicks auf die Ergebnisse meiner Google-Suche führt zu Login-Boxen: Nur für Abonnenten! Das betrifft deutschsprachige Publikationen mehr als englischsprachige. Ich müsste Hunderte oder eher Tausende von Euros monatlich für Abonnements aufbringen, um einen ähnlich umfangreichen Überblick wie früher über "Ethnologie in den Medien" bieten zu können.
https://twitter.com/klein0r/status/1386325999650951169
Gleichzeitig sind auch die meisten Forschenden selbst vom offenen Internet verschwunden. Früher gab es viele Anthropologen, die auf Deutsch bloggten - sei es Studierende, Doktoranden oder etablierte Forscher. Eine ethnologische Blogosphäre, in der es wie früher um gegenseitigen Austausch geht, gibt es nicht mehr auf Deutsch. Stattdessen tummeln sich viele Forschende in den weniger offenen Silos der kommerziellen sozialen Medien wie Facebook oder Instagram. Diese Entwicklung machte auch nicht vor dem ersten deutschsprachigen ethnologischen Gruppenblog halt - ethno::log. Ende 2019 erschien dort der letzte Beitrag mit den Worten:
I think it's time to close the weblog, it's already sleeping since years. People went to other places online and offline, which is quite natural. It was fun! CU somewhere else.
Die Konsequenz: Unterm Strich finden wir weniger deutschsprachige sozial- oder kulturanthropologische Inhalte im Netz als noch vor zehn Jahren.
Wer auf Deutsch googelt, bekommt weniger interessante Antworten - und vor allem keine fachlichen.
Ein zunehmender Anteil der noch gratis zugänglichen Inhalte im Netz ist mehr oder weniger offenkundige Werbung.
Das betrifft auch Webseiten von Anthropologen. Wer von ihnen heutzutage eine eigene Seite ins Netz stellt oder bloggt, tut dies in vielen Fällen, um sich auf dem zunehmend prekären Arbeitsmarkt möglichst attraktiv darzustellen. Ähnliches kann man über universitäre Einrichtungen, Institute und Organisationen sagen. In denen für sie offenbar so wichtigen Bestrebungen, stets "weltweit führend" und so für potentielle Geldgeber attraktiv zu sein, geht es ihnen in ihren Publikationen immer mehr um Selbstvermarktung als um demokratisch motivierte Forschungskommunikation. Verstärkt wird diese Entwicklung natürlich von den kommerziellen sozialen Medien, in denen nicht nur Institute, sondern auch Einzelpersonen sich als "Brand" vermarkten können.
Bei den Artikeln, die nicht Werbung sind und trotzdem gratis im Netz zugänglich sind, stellen sich andere Hindernisse in den Weg. So gut wie alle Publikationen wollen uns nur ihre Artikel lesen lassen, wenn wir unsere Internetaktivitäten von ihnen und anderen oft dubiosen Akteuren überwachen lassen.
Ich denke, wir sind alle genervt von den Cookie-Bannern. Die meisten Publikationen benutzen Techniken, die "Dark Pattern" genannt werden und in vielen Fällen illegal sind.
Laut GDPR müssen sie von uns die Zustimmung zur Überwachung einholen. Die Möglichkeit, die Überwachung abzulehnen, geben sie uns jedoch nicht so leicht. Viele Extra-Klicks und ein waches Auge sind notwendig, um nicht auf ihre Tricks hereinzufallen, mit denen sie sich unsere Zustimmung zur Überwachung erschleichen wollen.
Manche Publikationen sind hier besonders dreist. Dem Spiegel, der Zeit und dem Standard zum Beispiel reicht die Zustimmung, dass sie uns mit Cookies überwachen dürfen, nicht.
Sie verlangen auch, dass wir sämtliche Browser-Erweiterungen, die uns vor Schad- und Spionsoftware schützen, ausschalten.
Wie ich haben eine wachsende Anzahl von Internetnutzern eingesehen, dass es unverantwortlich ist, im Internet ohne Werbe- und Trackingblocker unterwegs zu sein. Uns lassen Der Spiegel, Die Zeit und der Standard erst gar nicht rein. Wir sind Opfer kommerzieller Zensur.
Macht es da noch Sinn - oder Spass-, weiter auf Deutsch zu bloggen?
Die Google News Suche, die mich stets zu Login-Boxen führte, empfinde ich als reine Zeitverschwendung. Und will ich in meinen Blogposts Artikel verlinken, die sich auf mit Trackern verseuchten Webseiten befinden? Solche Fragen habe ich mir in der letzten Zeit oft gestellt.
Auf der anderen Seite: Das Internet ist broken, ja, so ist es. Das Internet als Ort um uneigennützig Wissen zu teilen und vor allem allen Menschen unahängig ihres Geldbeutels Zugang zu Wissen zu ermöglichen - von dieser Vision aus den Anfangsjahren des Internets (Wikipedia ist ein Relikt davon) - haben wir uns so gut wie völlig entfernt.
Auf der anderen Seite, finde ich, sollten wir dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschauen. Der Widerstand scheint auch zu wachsen, und auch in der Sozial- und Kulturanthropologie wird inzwischen kritisch zu diesen Themen geforscht, siehe einen Beitrag vom Januar hier auf antropologi.info: Pregnancy and baby apps, smart home devices: Anthropologist shows how surveillance capitalism targets children
Ich werde mich nun mal wieder etwas systematischer im Netz umschauen, wie man sich abseits der kommerziellen Webseiten auf Deutsch über sozial- und kulturanthropologische Forschung informieren kann. Wie sieht es an den Instituten aus? Engagieren sich anthropologische Organisationen? Gibt es gute Zeitschriften im Netz? Und sonst? Podcasts? Youtube-Channels? Für Tipps bin ich immer dankbar.
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