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Wehe den Aufstrebenden: David Signers Schlüsselbuch über Schwarzafrika
Es gibt Bücher, die wie Schlüssel sind. Sie erlauben Zutritt zu bisher Verschlossenem - oder lassen Bekanntes in neuem Licht erscheinen. David Signers «Die Ökonomie der Hexerei» ist ein solches Schlüsselbuch; es ermöglicht, die schwarzafrikanische Kultur oder jedenfalls einen Aspekt dieser Kultur, die Hexerei, neu und vor allem schärfer zu sehen.
NZZ, 31.12.04
Signer zeigt, dass Verhexung und dagegen ergriffene Abwehrmassnahmen nicht nur fast überall in Schwarzafrika verbreitet sind, sondern auch, als Ensemble von Vorstellungen und Praktiken, schwarzafrikanisches Sozialleben durchdringen. Als Fluchtpunkt kultureller Grundzüge prägt die Hexerei Politik, Wirtschaft, Religion und selbst die psychische Disposition jedes Einzelnen, wenn vom Einzelnen in ganz vom Kommunalismus durchdrungenen Gesellschaften überhaupt gesprochen werden kann.
Wider den Kommunalismus
In der «Ökonomie der Hexerei» bereitet der heutige «Weltwoche»-Wissenschaftsredaktor ethnologisches Rohmaterial auf, das er durch teilnehmende Beobachtung in Begegnungen und auf Reisen mit Féticheurs und Marabouts in Westafrika gewonnen hat. Aber da Anschauung ohne Begriff bekanntlich blind ist, spannt Signer seine Beobachtungen in den ordnenden Rahmen eines begrifflichen Apparats ein, der entscheidende Impulse von der Psychoanalyse und vom französischen Anthropologen Marc Augé («Der Geist des Heidentums») bezieht. Gelegentlich lässt er Gehörtes und Erlebtes direkt auf seine eigene kulturelle Disposition prallen, um aus dieser Reibungsfläche die Funken für ein brillantes rhetorisches Feuerwerk zu schlagen. In einem Kommentar zur Klage eines Afrikaners über die Armut in dessen Dorf setzt Signer zu einer rasenden Attacke auf den afrikanischen Kommunalismus an:
«Immer lamentieren, aber wer es besser machen oder ausbrechen will, wird ‹heruntergeholt›. Wie ich plötzlich Kapitalismus, Liberalismus, protestantische Ethik, Anonymität, Egoismus und Gleichgültigkeit der Grossstadt zu schätzen weiss! Hier würde ich wahnsinnig. Terror der Gastfreundschaft, Maul stopfen mit Hirse und Bier, orale Vergewaltigung, Zwang zur Nettigkeit, zur Heuchelei, zum Konformismus, zur Vorhersehbarkeit, zum Teilen, zum Geschenk, Sabotieren jeglicher unerwarteter Initiative durch ein Korsett von Anforderungen, Erwartungen, Höflichkeiten, ein Gefängnis aus Gefälligkeiten und Rücksichtnahmen, und im Hintergrund immer die angedeutete brutale Konsequenz im Fall der Nichtbefolgung. Der Mehltau von tausend Rücksichtnahmen paralysiert alles. Paranoia, Klaustrophobie, Vergiftungsangst und Verhexungspanik hinter dem lächelnden Gesicht der Dorfidylle.»
Eine Welt aus Beziehungen von Personen
Aber woher dieser Zwang zum Kommunalismus, zur extremen Rücksichtnahme auf den andern? Mit der von Augé zur Verfügung gestellten Begrifflichkeit beschreibt Signer schwarzafrikanische als «heidnische» Gesellschaften, in denen das Personsein untrennbar verbunden ist mit der Beziehung zu anderen Personen: Ein Mensch ist ein Mensch nur durch andere Menschen. Alles hängt von der Beziehung zu anderen ab. Unpersönliche Kräfte, Strukturen oder Zufälle gibt es nicht. Laut Signer ergibt sich in einem solchen Welt- und Menschenbild, in dem alles persönlich genommen wird, die Vorstellung von Verhexung fast von selbst, gewissermassen als die unabdingbare Kehr- oder Nachtseite zum gebotenen Teilen von allem, was man hat.
Jemand, der hat, aber nicht teilt, setzt sich dem Neid der andern aus, und dieser Neid gebiert den Verdacht der Hexerei. In den Worten des Autors: «So wie der andere als Patron, grand-frère oder allgemein Mächtiger/Reicher über mein Wohlergehen entscheidet, so ist es auch die Interpretationsfigur des ‹anderen› in Form des Hexers, der für mein Unglück, mein Misslingen, meine Krankheit verantwortlich ist.» Beim Heiler oder Féticheur holen sich beide Trost, derjenige, der den Neid des Zukurzgekommenen fürchtet, aber auch der Zukurzgekommene selber. Das Opfer, das ihnen der Heiler auferlegt - häufig ein Tier -, ist der sprichwörtliche Sündenbock, der stellvertretend alles Böse auf sich nimmt und dadurch individuelle Erleichterung schafft, ohne doch die überall lauernde Furcht vor Hexen grundlegend zu beseitigen.
Ein Hindernis für Entwicklung
Dem allgegenwärtigen Neid und mithin der Gefahr, der Hexerei bezichtigt zu werden, entkommen Schwarzafrikaner auch in der Grossstadt nicht - im Gegenteil, sozialer Aufstieg macht verdächtig, und der Gefahr, als Hexer sozial ausgeschlossen zu werden, entkommt nur, wer durch regelmässige Opfer beweist, dass er mit den Verwandten und daheim im Dorf Gebliebenen zu teilen vermag. In der Politik bedeutet dies die Etablierung von persönlichen Patron-Klienten-Verhältnissen, in der Wirtschaft die Ablehnung jeglichen Strebens nach individuellem Erfolg und jeglicher Eigeninitiative, im wissenschaftlichen Leben die Verteufelung von Skepsis und Widerspruch bei der Wahrheitssuche. «Die Hexerei ist das grösste Hindernis für Entwicklung in Afrika», lässt der Autor einen jungen Ivoirer namens Jean- Claude sagen - und zeigt auf über 400 Seiten, dass sehr viel für diese Ansicht spricht.
David Signer: Die Ökonomie der Hexerei oder Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt. Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal 2004. 456 S., Fr. 38.60, Euro 22.-.
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