Raetsel Schenkkultur
In einer frueheren anlaesslich eine Pruefung geschriebenen Einfuehrung in die Wirtschaftsethnologie stellte ich fest:
In der Wirtschaftsethnologie ist es üblich, den Kapitalismus unserer Gesellschaft mit der Tauschwirtschaft nicht-industrialisierter Gesellschaften gegenüber zu stellen. Doch je länger ich mich mit Wirtschaftsethnologie, mit moka, kula, potlach und anderen Tausch- und Geschenökonomien beschäftigt hab, umso mehr wurde mir klar, wie wir teils nach ähnlichen Prinzipien wirtschaften und dass die Bedeutung des Kapitalismus in unserer Gesellschaft übertrieben wird.
Das Internet spielt eine wesentliche Rolle in der Auflebung der Geschenkkultur, siehe auch The Internet Gift Culture.
Nun zieht die Geschenkkultur auch bei Verlagen ein, schreibt Stefan Münz, Verfasser einer der wichtigsten Anleitungen zum Erstellen von Webseiten, SelfHTML:
Immer wurde sich an verschiedensten Stellen darüber gewundert, warum so ein riesiges und in tausenden von Arbeitsstunden erstelltes Werk einfach frei zugänglich und auch noch frei downloadbar ist. Dass auf Autorenseite der Wunsch nach technischer Aufklärung stärker sein kann als der nach unmittelbarem Profit, blieb und bleibt immer noch vielen Anwendern unverständlich.
Noch absurder erscheint jedoch die Prognose, dass sich geschenktes Wissen nachträglich oder nebenbei auch noch verkauft. Viele Käufer der Bücher zu SELFHTML hatten längst die Doku auf der Festplatte, bevor sie das Buch erwarben. Da fragt sich der schlichte Profit-Verstand natürlich: wie kann so etwas möglich sein? Die Gründe sind sicherlich noch nicht hinreichend erforscht.
(...)
Vielleicht erleben wir ja tatsächlich noch ein Umdenken auf breiter Front: Wissen, das viele angeht, wird verschenkt, doch einige, die davon profitieren und es sich leisten können, sind bereit, nachträglich oder zusätzlich dafür zu zahlen. Ein Modell für eine aufgeklärte, wenn auch noch kapital-basierte Wissensgesellschaft? Vielleicht schreibt ja mal ein schlauer Kopf ein Buch über dieses Thema und stellt es ins Netz ;-)
>> weiter in Stefan Münz' Blog
(via netbib)
SIEHE AUCH:
Der wahre Sinn des Schenkens - Interview mit Ethnologin Johanna Krafft-Krivanec
Vom Potlatsch bis zu heiligen Objekten: Zur Theorie des Schenkens
Neueste Kommentare