"Es gibt nichts Gutes, ausser Frauen tun es" - Fundamentalismus in der Forschung
Ethnologe David Signer kommt leicht frustriert vom Weltkongress für Matriarchatsstudien in Texas zurueck. Er scheint in ein Nest radikalfundamentalistischer Feministen geraten zu sein, die weniger mit Wissenschaft denn mit Ideologieproduktion beschaeftigt waren. "Es gibt nichts Gutes, ausser Frauen tun es. Denn wo Männer sind, herrscht das Unglück" war das Fazit des Kongresses infolge Signer. Im Eroeffnungsvortrag war u.a. dies zu hoeren, schreibt der Ethnologe:
«Matriarchale Gesellschaften haben eine nichtgewalttätige Sozialstruktur; sie beruhen auf Geschlechtergleichheit; ihre politischen Entscheidungen werden im Konsens gefällt; einsichtsvolle und wohldurchdachte Prinzipien und soziale Leitlinien verschaffen ein friedliches Leben für alle. Möge das Beispiel der matriarchalen Gesellschaften uns den Weg weisen, das Patriarchat hinter uns zu lassen!»
Dass es Gesellschaften gibt, in denen Frauen eine starke Stellung haben, steht ausser Frage. Doch das Bild ist nicht so Schwarz-Weiss wie es viele Matriarchatsforscherinnen malen, betont Signer:
Schon die Gegenüberstellung von Matriarchat und Patriarchat wirft Fragen auf, vor allem, weil die Begriffe etwas zirkulär definiert werden: Matriarchale Gesellschaften sind friedlich ? kriegerische Aspekte, etwa bei den matriarchalen Irokesen oder afrikanischen Akan, werden ausgeklammert; (...) «Patriarchat» und «Matriarchat» lassen sich auch nicht als radikale Alternativen gegeneinander ausspielen; sie sind zwei Pole eines Kontinuums, aus dem uns Geschichte und Ethnologie vielfältige Variationen präsentieren.
Sehr erfrischend waren daher laut Signer die Beitraege von Forscherinnen aus matriarchalen Gesellschaften. Sie relativierten die Verallgemeinerungen der Veranstalterinnen. Die Ethnologin Peggy Reeves Sanday beschrieb die Minangkabau auf Sumatra, entgegen der verbreiteten Gleichsetzung von «matriarchal» mit «herrschaftsfrei», als hierarchische Königtümer. Eine Vertreterin der Khasi in Indien z.B. sagte, dass die Khasi auch nicht gerade demokratisch seien:
Es herrscht eine ausgeprägte Oligarchie, nur gewisse Clans haben Zugang zur Macht. Es gibt grosse Spannungen zwischen den Geschlechtern; die Männer empfinden die Matrilokalität als drückend, wo sie unter der Kontrolle ihrer Schwiegerfamilie leben müssen. Sie versuchen ausserhalb der Khasi zu heiraten. Die Scheidungsrate ist hoch und häusliche Gewalt alltäglicher als in allen anderen Gesellschaften der Region; Alkoholismus auch. «Matriarchat», sagte die Khasi-Frau, ist ein patriarchaler Ausdruck (generalisierend, totalisierend, polarisierend). «Man sollte zuerst einzelne Kulturen studieren und dann verallgemeinern, und nicht umgekehrt.»
>> zu Signers Text in der Weltwoche (Link aktualisiert)
SIEHE AUCH:
Peggy Reeves Sanday: Life Among the Minangkabau of Indonesia
Peggy Reeves Sanday: Matriarchy as a Sociocultural Form: an Old Debate in a New Light
Jaana Holvikivi: Contemporary matriarchal societies: The Nagovisi, Khasi, Garo, and Machiguenga
2 comments
Comment from: lorenz
Geforscht wird offenbar genug. Noetig ist wohl etwas weniger Schwarz-Weiss-Denken - scheint sehr ideologisiert zu sein diese Forschung, jedenfalls Signer zufolge (ich kenn mich nicht besonders aus).
“Eine Vertreterin der Khasi in Indien z.B. sagte, dass die Khasi auch nicht gerade demokratisch seien(…)”
oh Mann… [*kopfschüttel]
ich glaube, zu den Begriffen von Patriarchat und Matriarchat muß noch einiges geforscht werden. Zu hoffen wäre, daß sich insbesondere Historiker des Themas annähmen.