Journal Ethnologie 6/2006 ueber Haare!
Was ist an Haaren ethnologisch interessant? Im Editorial der neuen Ausgabe von Journal Ethnologie lesen wir:
Während Manipulationen am Körper - Tätowierungen, Bemalungen, Piercings und so weiter - in vielen Regionen der Welt eine lange Tradition haben und stets mit Ritualen verknüpft waren, werden in der westlichen Welt handwerkliche Verschönerungen dieser Art erst jetzt entdeckt, allerdings losgelöst von ihren traditionellen Bedeutungen.
Anders dagegen der Umgang mit dem Kopfhaar: Auch in Europa wurden Frisuren seit Alters her stets mit großer Aufmerksamkeit bedacht.
Als Hierarchien in Lebensgemeinschaften und Gesellschaften noch eine große Rolle spielten, war der Status des Einzelnen oft an Haaren und Frisuren abzulesen. Heute spielt dieser Statusaspekt der Frisur kaum noch eine Rolle, gleich wohl dienen Frisuren immer noch als ein Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Skinheads, Rastas, Punks, aber auch die ordentlich geschnittene Kurzhaarfrisur bei Männern).
Besonders interessant fand ich den Text Haare. Von Magie und Status, Macht und Moden bis zu globalen Trends von Gerda Kroeber-Wolf und Ulrike Krasberg.
Sie schreiben u.a. ueber Frisuren als Protest der Schwarzen in den USA.
Menschen aus der schwarzen Diaspora holen sich Ideen aus den kulturellen Traditionen in Afrika, und AfrikanerInnen nehmen die von ihren brothers and sisters in Amerika mit neuen Ideen und veränderten Inhalten versehenen alten Traditionen wieder auf.
So sind zum Beispiel die braids, die kleinen am Kopf anliegenden Zöpfchen, die heute von us-amerikanischen männlichen Jugendlichen gern getragen werden, ursprünglich eine Mädchenfrisur, die bei den Wolof in Westafrika Tradition war. Jetzt kommen die Zöpfchen als Männerfrisuren aus Amerika zurück.
Wenn die männlichen Jugendlichen in Afrika diese braids tragen, ist das ein Zeichen des Protests der eigenen Gesellschaft gegenüber. Zum einen in Bezug auf die Geschlechterdefinition, zum anderen in Bezug auf gesellschaftliche und politische Normen im eigenen Land.
(...)Sie symbolisieren eine neue afrikanische Identität, denn sie werden im Prozess der Aneignung dem eigenen lokalen Lebensstil und seinen Wertvorstellungen angepasst. Aber zugleich fühlen sich Jugendliche, wenn sie zum Beispiel Rastazöpfe tragen, dem Reggae und seiner Ideologie zugehörig und sind damit auch ein Teil der Welt außerhalb Afrikas und ihrer Heimat.
Wir lernen auch naeheres ueber die Botschaften, die Haare in laendlichen Gebieten Westafrikas aussendeten:
An Frisuren konnte man die Zugehörigkeit zu einem Volk ablesen, und differenzierter noch: zu einer bestimmten Schicht. Ob jemand dem Adel angehörte, Sklave war oder Bauer, die Frisur verriet es. Ebenso zeigte sich der Status im Lebenszyklus: Ein Kind wurde anders frisiert als Verheiratete, eine verheiratete Mutter anders als eine Witwe.
Lustig ist immer zu erfahren wie Moden und Traditionen entstehen koennen - z.B. die Perückenmode in Frankreich, die König Ludwig XIII. vor dreihundert Jahren einführte:
Ludwig XIII. litt unter Haarausfall, und er zeigte sich dem Volk nie ohne Perücke. Sein Hofstaat und der Adel fingen ebenfalls an, Perücken zu tragen. Schon bald kamen diese in weiten Teilen Europas in Mode.
>> zum Text: Haare. Von Magie und Status, Macht und Moden bis zu globalen Trends
Weitere Beitraege in der neuen Ausgabe:
Beate Zekorn-von Bebenburg: Über Glatzen und Rastazöpfe. Kulturvergleichendes zu Haaren und Frisuren
Nicole Tiedemann: Haarige Zeiten. Langes Männerhaar in den 1960er-Jahren
Nicole Tiedemann: Ein Hauch von Ewigkeit. Haarkult im 19. Jahrhundert
Lena Bjerregaard: Haar als Symbol und Werkstoff. Haarobjekte in den Staatlichen Museen zu Berlin
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