Wie nützlich ist der Begriff "Kultur" in der Zuwanderungsdebatte?
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Comment from: Erwin Orywal
Im Folgenden ein Zitat, das sicherlich bei allen “Anti-Ethnisierungstheoretikern” auf vollen Zuspruch stößt - aber bitte einmal genau nachdenken!
“Was mich betrifft", schreibt Amartya Sen, “so kann ich mich zur gleichen Zeit bezeichnen als Asiaten, Bürger Indiens, Bengalen mit bangladeshischen Vorfahren, Einwohner der Vereinigten Staaten oder Englands, Ökonomen, Dilettanten auf philosophischem Gebiet, Autor, Sanskritisten, entschiedenen Anhänger des Laizismus und der Demokratie, Mann, Feministen, Heterosexuellen, Verfechter der Rechte von Schwulen und Lesben, Menschen mit einem areligiösen Lebensstil und hinduistischer Vorgeschichte, Nicht-Brahmanen und Ungläubigen, was das Leben nach dem Tode (und, falls es jemanden interessiert, auch ein ‘Leben vor der Geburt’) angeht. Dies ist nur eine kleine Auswahl".
Nein! Genau das kann man und frau nämlich nicht! Es ist immer der jeweilige Kontext, der eine Differenz- oder Differenzierungsposition selektiert. Nur dann macht es nämlich Sinn, eine Standortbestimmung vorzunehmen, zu kommunizieren und kulturell auch dekodieren u können. Beispielsweise auf die Frage: “Wo kommst du her” zu antworten: “ich bin homosexuell", würde sicherlich auch bei den politisch korrekten “Integrationisten” auf ein gewisses Unverständnis stoßen. Wir müssen uns auch leider mit dem Gedanken anfreunden, dass andere ihre jeweilige Identität ggf. abgrenzend positionieren. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Identität beinhaltet nicht notwendigerweise Ab- oder Ausgrenzung, aber wenn Identitäten instrumentalisiert werden, kann es zu - gewollten - Konflikten kommen. Identität ist ein reflexiver Prozess. Ohne das Wissen um “das Andere” (z.B. Tiere, Pflanzen” oder “den Anderen” könnten wir uns selbst garnicht “erkennen".
Comment from: lorenz
Das ist in der Tat ein schoenes Zitat, doch es ist ja wie Sie schreiben nicht so, dass diese Antwort von allen akzeptiert wird, da einem Identitaet auch zugeschrieben wird - davon koenne alle Migranten ein Lied singen. Und da sind wir ja beim Problem: Ohne Dekonstruktion des dominanten Denkens ueber Kultur, Identitaet und Ethnizitaet wird sich da wenig aendern.
Es ist doch viellicht gerade das, was der Inbegriff der Kultur ist, dass sie aus Auswahl und Mischung besteht, und nicht aus einem Wesen.
Dann ist sie zwangsläufig durch die jeweilige Realisierung von Auswahl und Mischung beim Einzelnen anders als die statistische Mitte (wenn es so etwas denn gibt).
Dann aber hat man tatsächlich ein Problem mit dem Begriff der Kultur, weil sie immer in der Realisierung “anders” ist als in der Virtualität ihrer Definition.