Wieso immer noch Kasten in Indien?
Indien ist das Schwerpunktthema der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Journal Ethnologie. Einer der Artikel handelt um das Kastensystem. Obwohl offiziell bereits vor knapp 70 Jahren abgeschafft, existiert es weiterhin, schreibt Ulrich Oberdiek. U.a werden Ehegesuche in indischen Tageszeitungen weiterhin nach Kasten geordnet: Brahmanen, Marwari (Händlerkasten), Punjabi (Sikhs, Kshatriyas) etc. Es gibt sogar die Charakterisierung "Kaste kein Hindernis!".
Warum ueberlebt dieses anti-demokratische System? Ein wichtiger Grund ist dem Ethnologen zufolge die arrangierte Ehe:
Ehen werden von den Eltern oder Großeltern arrangiert, die dafür sorgen, dass die Ehepartner aus der eigenen Unterkaste kommen. Es lässt sich allerdings im „modernen“ Leben nicht immer vermeiden, dass zwei junge Leute verschiedener Kasten sich kennen lernen (etwa im College) und beschließen zu heiraten, aber das ist sehr selten. Vereinzelt kommt es auch vor, dass Eltern in solchen „Entgleisungsfällen“ einwilligen. Flucht und manchmal sogar Selbstmord zeigen jedoch die dramatische Wirklichkeit dieser Regeln auch heute.
>> zum Text in Journal Ethnologie
Frank Heidemann zeigt in seinem Beitrag u.a. einen Zusammenhang von Kolonialismus und dem Entstehen des Kastensystems auf:
Nicholas Dirks hat mit seinem Werk „Castes of Mind“ (2001) die langfristigen Folgen der kolonialen Durchdringung Indiens, vor allem die Kolonisation des Geistes, aufgezeigt. Nach Dirks waren Kasten vor der Ankunft der Briten keine festen Einheiten und bildeten nur eine unter vielen Möglichkeiten der Identifikation.
Durch die Praxis der Volkszählungen (bei denen sich jede Person zu einer Kategorie bekennen musste), durch die Festlegung einer Kastenhierarchie in Listen und Handbüchern, und durch die Zuschreibung kollektiver Identitäten wurden die Kasten zur wichtigsten sozialen Kategorie und jeweils mit spezifischen Qualitäten assoziiert.
>> zum Text Indien - mit Tradition und Moderne von Frank Heidemann
Weitere Texte in Journal Ethnologie:
Markus Schleiter: "Zum Tanze". Eine ethnographische Erzählung über den indischen „Stamm“ der Birhor
Bettina Weiz: Die Trommler der neuen Zeit. Besuche bei Experten der Informations-Technologie
Neueste Kommentare