Berlin: Besetzung des Ethnologischen Instituts half nicht
Im Januar protestierten 100 Studierende der Ethnologie auf dem Berliner Alexanderplatz. Vergangene Woche besetzten sie mehrere Tage lang das Ethnologische Institut der Freien Universität Berlin. Doch der Protest aenderte nichts: Die Instituts-Bibliothek und die Büros werden geraeumt.
Das Ethnologie-Institut soll der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) Platz machen, einer Privatuniversität mit Studiengebuehren. In einem Offenen Brief an die Leitung der FU kritisiert die studentische Fachschaftsinitiative der Ethnologie an der FU Berlin die Pläne der Universitätsleitung und des Klett-Verlags, eine eine Privatuniversität mit öffentlichen Geldern zu gründen:
Als Gebäude der DUW wurde das jetzige Institutsgebäude der Ethnologie gewählt, die trotz lange feststehender Planung kurzfristig und überraschend mit vollendeten Tatsachen konfrontiert wurde. Folgen für das Institut, trotz hoher, steigender Zahl an Neueinschreibungen und trotz erwiesen erfolgreicher Lehre und Forschung, sind Zwangsumzug in ein noch kleineres Gebäude sowie das ersatzlose Streichen von Seminarräumen und Bibliothek. Letztere wird maßgeblich in ein Magazin mit Zettelkatalog-Bestellung und zweitägiger Wartezeit überführt.
Die obrigkeitsstaatliche Informationspolitik der Universitätsleitung sowie die perfide, schleichende Ökonomisierung der Universität kritisieren wir scharf.
Ermöglicht wurde die marktwirtschaftliche Investition von Universitätsgeldern sowie die Entdemokratisierung der Universität durch die Erprobungsklausel des schwarz-roten Senats von 1997, die an der FU trotz starker Kritik von studentischer Seite 1998 angenommen wurde. Die Erprobungsklausel wurde mit dem Ziel der „Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, insbesondere der Erzielung eigener Einnahmen der Hochschule“ eingesetzt und ‘verschlankte’ die Entscheidungsstrukturen zugunsten des Präsidenten und der Dekane und zu Ungunsten studentischer Vertretung und demokratischer Mitbestimmung.
Wir fordern die Abschaffung der Erprobungsklausel, die nötige kritische Distanz von Wissenschaft und Wirtschaft, den Erhalt – zumindest die unverzügliche Digitalisierung – der ethnologischen Bibliothek, die Neubesetzungen der freistehenden und der in Kürze auslaufenden Professuren sowie, selbstverständlich, den Rücktritt Lenzens für eine demokratische, emanzipatorische Universität.
Doch die Uni- und Institutsleitung liess sich nicht vom Protest beeindrucken, lesen wir in einer Mitteilung der Fachschaft:
Das zeigt einmal mehr, mit welch eiserner Hand unsere angeblich auf dem Freiheitsgedanken fußenden Universität regiert wird: die Leitung zeigte sich nicht gesprächsbereit und der Wachschutz ist extra in “Alarmbereitschaft” versetzt worden aus Angst vor studentischen Reaktionen gegen die eigene Politik.
Unsere Situation sehen wir als ein Beispiel des derzeitigen bildungspolitischen Geistes in Deutschland, gegen den wir uns wehren. Wir kritisieren, dass nachhaltige Wissenschaft aufgrund von kurzsichtigen, ökonomisch orientierten Schmalspur-Bildungsprojekten verdrängt wird und die demokratische Mitbestimmung immer mehr eingeschränkt wird. Wir fordern Transparenz, Beteiligung der Betroffenen an Entscheidungsprozessen und Weitsichtigkeit für eine emanzipatorische Gesellschaft.
In einer frueheren Pressemitteilung schrieb die Fachschaft:
Neben der private-public-partnership sehen wir eine zweite allgemeine Technik der Ökonomisierung der Universitäten im Postulat der Drittmittelanwerbung: Erforscht wird,was ein Markt verlangt,was unmittelbar ökonomisch verwertbar ist.
(...)
Die Einführung des Bachelor/Master-Systems in seiner jetzigen Form transformiert die Universitäten zu Berufsausbildungseinrichtungen. Kritikfähigkeit, Emanzipation, Denken braucht Zeit im Gegensatz zum Wissen, das schnell erlernbar ist. Ein 3-Jahre kurzes Studium ist unvereinbar mit dem emanzipatorischen Selbstanspruch der Universitäten. Das Ausstaffieren der Studierenden für den Arbeitsmarkt ist nicht ideelle Aufgabe der Universitäten.
Mehr Informationen liefert der Blog fsi - die fachschaftsinitiativen.
Vor drei Monaten hatte die taz unter dem Titel Studenten werden Kunden bereits kritisch ueber die "Deutsche Universität für Weiterbildung" geschrieben.
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