Ethnologischer Ethnozentrismus: Neugestaltete Ethnologik im Netz
8 Kommentare
Kommentar von: cosmictrigger
Kommentar von: lorenz
Das war mein Punkt: Die Vorstellung von “westlichen Werten” ist ethnozentrisch. Was sind westliche Werte? Was sind “andere Kulturen"? Welche Brille haben wir auf wenn wir so argumentieren?
Kommentar von: Jens Zickgraf
Grundsätzlich wäre ich eigentlich geneigt, Lorenz zu danken für die Kritik und die breite Öffentlichkeit, die er der Ethnologik mit anthropologi.info verschafft. So allerdings geht es nicht!
Kritik ist ausdrücklich erwünscht und ich denke, mein Artikel bietet, provokant wie er ist, genügend Anlass, aber dazu gehört zunächst einmal das Bemühen, den Kern einer Aussage zu erfassen – und diesen auch darzustellen. Wie gesagt, das ist der erste Schritt und dann kann man kritisieren was immer man will. Im Übrigen gehört zu einer guten Kritik auch, dass man Zitate nicht aus dem Zusammenhang reißt, sie nicht sinnentfremdet. Wäre Lorenz auf diese altbewährte Weise vorgegangen, so wäre es ihm, wie ich vermute, schwer gefallen seine schlichtweg polemischen Vorwürfe aufrecht zu erhalten – zumindest hätte er sie dann wohl begründen müssen. Mit einer ausführlichen Antwort möchte ich daher in der Hoffnung auf Nachbesserung von Lorenz noch warten. Im Moment nur soviel: Ich weise die Vorwürfe, die zwar für sich genommen richtig sein mögen, mit Blick auf den Inhalt meines Artikels aber sinnleer bleiben, vollständig zurück – mit einer Ausnahme: Meine, von Lorenz nicht erwähnte, Behauptung, die Weiterentwicklung des Völkerrechts sei eine Notwendigkeit, ist eine problematische Aussage. Dem stimme ich zu, ohne sie zu widerrufen. In der Zwischenzeit bitte ich die Leser dieses Blogs inständig darum, den Artikel selbst zu lesen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Kommentar von: lorenz
Danke fuer den Kommentar. Es stimmt, ich habe nicht den Inhalt des Textes wiedergegeben. Ich habe Punkte herausgegriffen, die ich fuer problematisch halte.
Aus ethnologischer Perspektive finde ich es problematisch von “westlichen Werten” zu reden oder von “aus westlicher Sicht". Ich reagiere besonders auf solches “Othering” im Text, auf die Grenzen die gezogen werden zwischen dem sogenannten “Westen” oder “Europa” und “den anderen” (Islam etc).
Meiner Meinung nach lassen sich solche Grenzen nicht ziehen (wie David Graeber u.a. ausfuehrte, siehe Link weiter oben). Das ethnologische Projekt sollte zum Ziel haben gerade solche populaeren Auffassungen zu hinterfragen und ggf zu dekonstruieren.
Dein Hauptanliegen scheint zu sein, falls ich den Text korrekt verstanden haben, den Fokus von Werte auf Oekonomie / Beduerfnisse zu verschieben (Teilnahme in der freien Marktwirtschaft als gemeinsamer Nenner). Ich zitiere:
Da jedoch universale Rechtsnormen ihre Legitimation unmöglich allein in den ethischen Überzeugungen der einen oder der anderen Seite finden können (von „Macht“ als Legitimationsgrundlage einmal abgesehen), muss sich der Fokus der Diskussion auf das Formulieren einer gemeinsamen Situationsdefinition richten.
Die sprichwörtliche „unsichtbare Hand“ der Märkte scheint durchaus in der Lage zu sein, auf einer Metaebene zwischen den Kulturen zu wirken. Vielleicht bringt uns dieser Umstand einander doch näher, als wir denken.
Darueber laesst sich natuerlich auch viel diskutieren und man wird auch behaupten koennen, dass der ungezaehmte Kapitalismus die Wurzel vielen Uebels ist.
Ich wuerde gerne mehr zur Rolle der “unsichtbaren Hand” in diesem Zusammenhang hoeren.
Kommentar von: anthronaut
Lorenz, deine Bedenken zum latenten Ethnozentrismus unter dem Nachwuchs der ethnologischen Publizisten (cf. dein Post zu Ethmundo und Ethnologik). Ich kenne beispielsweise das Umfeld der Ethnologik ziemlich gut und ich glaube, keiner wendet diese Konzepte überzeugt an. Kann es sein, dass durch die Lehre solches postpostmodernes Gedankengut an den jeweiligen Instituten einfach nicht so sehr verankert sind? Ich wüsste nicht, das Graebers Gedanken in München explizit gelehrt werden.
So sehr ich Graeber bewundere, man muss ihn doch mit einer nötigen kritischen Reflexivität lesen. Nur weil Graeber aufgezeigt hat, dass es keinen kohärenten kulturellen und ideologischen Raum namens “der Westen” gibt, darf man nicht alles “westliche” aus seinen Texten verbannen. Graeber spricht davon, dass westliche Marken wie Demokratie oder Wissenschaft Synkretisme n aus allen Ecken der Welt sind, wobei er sicherlich recht hat. “Westlich” ist in meinen Augen jedoch ein Konzept das durchaus seine Berechtigung hat. Kommen wir zum “Othering". Das ist nicht ein Makel, der die Ethnologie zu oft befällt. “Othering” ist gängige Praxis in vielen Gesellschaften dieser Erde. Das Konzept des Westens wurde nicht nur von Kolonialmächten benutzt, um ihre Hegemonialstellung in der Welt zu sichern. Er wird gerade auch von Manchen benutzt, um dezidiert “nicht-westlich” zu sein. Das Problematische am Konzept “westlich” ist nur, dass es zu kontingent ist: In der Türkei ist Nescafé seit einigen Jahren besonders schick weil “westlich", aber ebenso ist es die Deutsche Universität in Kairo, eine McDonalds-Filiale in China und Nietzsche-Übersetzungen in Kolumbien. Westlich ist eine Zuschreibung geworden, die sich nicht mehr auf eine “Zivilisation” bezieht, sondern auf eine oder mehrere, sich teilweise überlagernde Ideologien. Diese Ideologien müssen nicht unbedingt von Europäern oder Nordamerikanern aufrecht erhalten werden, sondern von jedem, der das Konzept “westlich” benutzt. Und deshalb gebe ich Jens vollkommen recht in seiner Verteidigung.
Die Aufgabe der Ethnologie ist es nicht, überall Ethnozentrismen zu fürchten und auf den Boden stampfend zu behaupten, es gebe “den Westen” nicht, denn in den Köpfen der Menschen existiert er sehr wohl. Die Aufgabe besteht darin zu erkennen, was diese Bedeutungsgefässe beinhalten.
Kommentar von: Jens Zickgraf
Lorenz, danke für die neuen Fragen, damit kann ich weit mehr anfangen. Und vielen Dank an Anthronaut (und liebe Grüße!) - dein Beitrag erspart mir einiges an Schreibarbeit, denn ich hätte ähnliches zum sog. „Othering“ sagen wollen. Deshalb nur zwei Anmerkungen: Erstens, „Othering“ und „Ethnozentrismus“ sind zwei völlig unterschiedliche paar Stiefel, das sollte man besser nicht durcheinander bringen. Zweitens, ich lege Wert auf die Erkenntnis, dass beides in uns steckt und wir das gewiss nicht ändern können. Vielmehr geht es darum, mit eben dieser Erkenntnis so vernünftig wie nur möglich umzugehen. Hierzu gehört neben dem grundsätzlich angebrachten Respekt vor den Dingen, die man bisweilen durch eine ethnozentrische Brille zu betrachten gezwungen ist, auch das Bemühen, Unterschiede zu erkennen, der Versuch diese zu verstehen, sie zu benennen und auch die eigenen Positionen deutlich zu machen, um gemeinsam darüber sprechen zu können – nicht um Grenzen zu zementieren, sondern um sie im Dialog zu überwinden. Hierin sehe ich eine der wichtigsten Aufgaben der Ethnologie.
(Lorenz weißt darauf hin, dass zu einem vernünftigen Umgang mit dem Problem eine sorgfältige Wortwahl gehört – solange das in einem „vernünftigen“ Rahmen bleibt, gebe ich ihm vollkommen Recht)
Nun zu deinen Fragen, Lorenz:
Es ist nicht in meinem Sinn, „den Fokus von Werte auf Oekonomie / Beduerfnisse zu verschieben“ - eine solcherart funktionalistische Betrachtung von Werten scheint mir nicht angebracht. Ich bin zwar der Meinung, dass sich in der Tat eine gewisse „rationalistische Ethik der Marktwirtschaft“ zunehmend weltweit etabliert, aber genau deswegen geht es mir um die Frage, wie die Vielfalt der Werte und moralischen Bedürfnisse (und natürlich ganz allgemein des Menschseins) dennoch bewahrt werden kann, ohne immer wieder in die Mühlen der Marktwirtschaft zu geraten. Ich halte die Marktwirtschaft indes für etwas sehr wichtiges, ich finde sie gut, aber nur dann, wenn es gelingt, sie durch „Gesellschaft“ zu kontrollieren und nicht umgekehrt. Diese Kontrolle ist heute nur noch schwer regional möglich (offene Märkte) weshalb der Fokus auf der Entwicklung globaler Rechtsstandards liegen muss. Der Gewinn daraus wäre die Bewahrung „eines [regional verwaltbaren] Spielraums innerhalb des ökonomischen Gefüges, der den Schutz der Menschen, ihrer Lebensgrundlagen, ihrer lokalen Traditionen und moralischen Bedürfnisse ermöglicht“ - die Kosten, wenn man so will, bestehen aus der Notwendigkeit für alle Beteiligten, Kompromisse einzugehen. Voilà c´est la légitimation!
Nun steht und fällt diese Argumentation natürlich mit der Ausgangsfrage, denn wir wissen überhaupt nicht, ob sich die Marktwirtschaft langfristig durchsetzen wird und wie schlimm eine unkontrollierte Marktwirtschaft eigentlich ist – würde sie denn so existieren, wie Ökonomen sie sich vorstellen (perfekter Markt) – denn dann würde in der Tat jene von Adam Smith beschriebene „Unsichtbare Hand“ des Marktes über die Preise für effiziente Gleichgewichte sorgen, in denen neben den Gebrauchswerten und den reinen Produktionskosten alle Ideen, alle Probleme, alle unterschiedlichen Wertvorstellungen, alle sozialen Kosten enthalten wären – In meinen Augen leider schauderhaftes Wunschdenken!
Kommentar von: lorenz
@Anthronaut: Ja, wahrscheinlich wird kaum jemand ethnozentrische Perspektiven bewusst anwenden, und das macht es schwieriger darueber zu diskutieren.
Ich habe von meinem Studium in Deutschland und in der Schweiz auch den Eindruck, dass postmodernistische oder postkoloniale Perspektiven keine zentrale Rollen spielen. Anfang der 90er benutzten wir in Basel die gelbe Ethnologie-Einfuehrung aus dem Reimer-Verlag und in den Literaturverweisen fand man kaum Buecher die nach 1970 geschrieben wurden. Aber ich denke, es muss sich in den letzten 10 Jahren etwas getan haben?
Graeber ist nur einer von vielen Theoretikern, Edward Said ist ja bekannter und inzwischen bestimmt Pensum? Inzwischen ist postmoderne Ethnologie ja gut etabliert.
Ja, man darf den “Westen” nicht automatisch verbannen. Die Kritik an diesem Konzept hat eine lange Tradition, man denke eben auch an Edward Said oder Amartya Sen. Man sollte das Konzept wie Du auch schreibst als Vorstellung, die vor allem in den Koepfen existiert, behandeln und untersuchen und nicht als Faktum ("westliche Werte” haben wenig mit Demokratie und Menschenrechte zu tun, genauso falsch ist es, Europas Geschichte mit Demokratie in Verbindung zu setzen).
@Jens: Ja, Othering und Ethnozentrismus sind zwei Paar Stiefel, aber sie treten meist zusammen auf. Vielleicht ist es besser generell vom Problem einer “weissen Ethnologie” zu reden. Den Begriff hatte ich in einem frueheren Beitrag erklaert anhand eines Textes von Mechthild von Vacano. In dem Beitrag ist alles viel besser erklaert als hier.
Danke fuer Deine Erklaerungen zur Marktwirtschaft und die Klarstellung, es sei notwendig sie durch „Gesellschaft“ zu kontrollieren und nicht umgekehrt. Ich denke mehr und mehr Leuten wird nun klar wie schlimm eine ungezaehmte Marktwirtschaft (Neoliberalismus) ist und dass sie eher exkludiert als inkludiert.
Kommentar von: Stefan Mittermeier
Zunächst möchte ich Lorenz für die kritischen Anmerkungen zu meinem Artikel (Warum “betrügen"Chinesen) danken. Es scheint allerdings notwendig, Zusatzinformationen bereitzustellen.
Wenn in meinem Artikel von den “Chinesen” die Rede ist, dann ist das eine Verallgemeinerung und natürlich falsch. Natürlich behaupte ich nicht, dass alle “Europäer” immer die Wahrheit sagen und alle “Chinesen” immer listig sind.
Der Artikel versucht zu zeigen, dass in Situationen, in denen es notwendig ist, sein Gegenüber zu besiegen oder zu überzeugen, es vor allem zwei Handlungsoptionen gibt: eine direkte (Wahrheit=direkte Auseinandersetzung) und eine indirekte (List). Des Weiteren habe ich dargestellt, dass es Handlungsbedingungen gibt, die dafür verantwortlich sind, dass in der konkreten Situation genau eine Handlungsoption gewählt wird. Es stellt sich allerdings die Frage, welche Handlungsbedingungen dafür verantwortlich sind. In einem “europäischen” Kontext ist meiner Meinung nach folgende Handlungsbedingung verantwortlich: Je schneller und eindeutiger der Ausgang einer derartigen Situation ist, desto besser ist er auch. Daruas egibt sich die direkte Hadlungsoption (Wahrheit). In einem “chinesischen” Kontext sehe ich folgende Handlungsbedingugn für entscheidend: Je schonender für Land und Leute der Ausgang einer derartigen Situation ist, desto besser ist er auch. Daraus ergibt sich die indirekte Handlungsoption(Lsit). Natürlich kommt es in einem europäischen Kontext auch zu der Verwendung von List. Meiner Meinung nach muss dann aber die Situation anders beschaffen sein. In meinem Artikel ging es also um die Erstellung einer Listtheorie und wie jede Theorie scheitert sie am konkreten Einzelfall. Das bedeutet aber nicht, dass die Theorie verworfen werden muss, sondern zeigt nur, dass sie an entscheidender Stelle erweitert werden muss. Daraus ergibt sich die Kritikfähigkeit des Artikelts. Vor allem die Frage nach den Handlungsbedingungen ist schwierig und für wenn und in welchem Ausmaß sie gelten. Ich habe versucht die Handlungsbedingungen aus der chinesischen und europäischen Philosophie herzuleiten und dabei Gedankengut verwendet, das zweifelsohne in China bzw. Europa eine sehr wichtige Rolle spielt. Aussagen über die Chinesen und die Europäer beziehen sich demnach auf diejenigen, die von diesem Gedankengut beeinflusst sind. Wer konstruktive Kritik an dieser Listtheorie anbringen will, muss also konkret werden. Alles andere hilft nicht, dieses Thema adäquat zu diskutieren.
also ich habe den Artikel von Jens Zickgraf ganz anderes verstanden. Vor allem ist ja seine Grundaussage die, dass es problematisch ist, westliche Werte auf andere Kulturen überstülpen zu wollen. Das ist doch wohl genau das Gegenteil von Ethnozentrismus. Ich frage mich manchmal, mit welcher Brille, mit welchen intrinsischen Rastern oder Vorurteilen hier argumentiert wird. Scheint sich um eine Allergie zu handeln, die bei gewissen Signalwörtern ausbricht und den Kontext, der an sich völlig in Ordnung ist, in eine Art Krankheit verwandelt. Leider kommt man damit nie weiter als bis zum ersten Absatz und bemerkt nicht, dass man genaus das macht, was man anderen immer so anmahnt.