Mehr anarchistische Ethnologie! - Ethnologik 1/2007 online
Macht ist das Thema der neuen Ausgabe der Zeitschrift Ethnologik, die von Muenchner Ethnologiestudierenden gestaltet wird. Peter Niedersteiner und Falko Zemmrich gehen im Artikel "Anarchistische Anthropologie: Wer hat unsere Macht?" auf eine Richtung unseres Faches ein, die selten erwaehnt wird, wenn man den "Nutzen" der Ethnologie diskutiert: Machtkritik und Aufzeigen von Alternativen zu autoritaeren Herrschaftssystemen, die im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung zunehmen (mehrere Beispiel dazu im Heft).
Hier ist speziell die anarchistische Ethnologie relevant, schreiben Niedersteiner und Zemmrich:
Unserem Erachten nach kann eine anarchistische Anthropologie in Zeiten des Ausbaus des staatlichen Machtmonopols, fortschreitender Entmündigung und stärkerer Beschneidung der Freiheit des Individuums im Namen der gesellschaftlichen Sicherheit, ihren wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Als Mittel zur Offenlegung und Kritik an Machtkonzentration und -missbrauch dient sie dabei sicherlich genauso gut, wie der Erarbeitung von Alternativen.
Anarchisten sind auf der Suche nach der perfekten Mischung von Freiheit und Solidaritaet. Sie halten nichts vom derzeit dominierenden Konkurrenz- und Elitedenken, bevorzugen das Ideal von "Gift economies", wo man einander hilft und kooperiert (wie etwa idealerweise der Fall in den Wissenschaften und auch hier im Netz).
Die Autoren besprechen mehrere Theoretiker und Ethnologen (viele Ethnologen sympathisieren mit dem Anarchismus), u.a. auch David Graeber, der wegen seines Engagement von der Uni Yale geflogen ist. Sie schreiben:
Anarchistische Ethnologie ist nach David Graeber besonders geeignet, Strukturen und Alternativen jenseits von Hierarchie und Staatlichkeit aufzuzeigen, nicht nur weil die Ethnologie sich schon traditionellerweise mit nicht-staatlichen Gesellschaften befasste, sondern gerade wegen ihrer Vorgehensweise, die es erlaubt, zu jener verborgenen Symbolik und moralischen und pragmatischen Logik vorzudringen, die die Handlungen eben dieser Menschen prägen.
Indem der Ethnologe durch Zuschauen und Mitmachen Alternativen zur hierarchischen Sozialstruktur des Staates aufdeckt, erfährt er damit Möglichkeiten, Beiträge und Beispiele für menschliches Miteinander, die er sonst nicht erkennen würde. Indem er solche Alternativen formuliert, kann er diese auch für das eigene Handeln nutzbar machen, um einer gerechteren und freieren Gesellschaft den Weg bereiten zu können.
Sie nennen ein Beispiel, das in der Migrationsdebatte anwendbar ist. Die Ethnologie solle nicht müde werden zu betonen, dass der Staat und die Nation eine „imaginary totality par excellence“ sei, also eine gemeinschatliche Vorstellung der Zusammengehörigkeit, die nur in den Köpfen der Menschen existiert:
Von Natur aus gibt es keine Staatsbürgerschaften oder staatlichen Grenzen. Diese Kategorien existieren nur in den menschlichen Köpfen und treten in Symbolen und Ritualen zutage. Erst der feste Glaube an die „Imagined Community“ lässt uns zu der Überzeugung kommen, als „Deutsche“ geboren zu sein und dazu zu gehören. So stellt sich Graeber ähnlich wie damals Kropotkin gegen den Sozialdarwinismus - gegen die Staatlichkeit als unumstößliches Dogma.
David Graebers Buechlein Fragments of an Anarchist Anthropology" gibt's als pdf.
>> Download Ethnologik 1/2007 (Link aktualisiert)
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