"YouTube ist der Pulsschlag unserer Kultur" - jetzt.de interviewt Michael Wesch
Seine YouTube-Videos machten ihn zu einen der bekanntesten Ethnologen der Welt. In einem Interview mit jetzt.de erzaehlt Michael Wesch von der neuen Kultur der Beteilung auf YouTube und warum das Internet unser Leben genauso veraendert wie es das Auto getan hat.
In den 90er-Jahren war er auf Feldforschung in Papua New Guinea, nun schaut er sich stundenlang YouTube-Videos an und stellt selber welche ins Netz. Schuld haben seine Studis. Denn “YouTube ist fester Bestandteil ihrer Kultur", erzaehlt er.
Auf YouTube entstehen neue Arten von Beziehungen:
Die Menschen auf YouTube fühlen sich mit der ganzen Welt verbunden, empfinden aber dennoch ein hohes Maß an Autonomie, ja manchmal auch an Einsamkeit.
jetzt.de: Woran liegt das?
Wesch: Naja, die meisten Nutzer sitzen ja alleine vor ihrem Rechner, in ihrem eigenen Zimmer. Da kann so etwas wie Einsamkeit entstehen, die in besonderen Momenten mit anderen geteilt werden kann. Wenn zum Beispiel Menschen über ihre Webcams sprechen – vielleicht sogar über ihre Einsamkeit – dann ensteht wieder eine Verbindung.
jetzt.de: Es geht also um eine globale Verbindung in einem privaten Rahmen?
Wesch: Kann man so sagen. Es geht darum, Gefühle zu teilen. Nehmen Sie das Beispiel des „Numa Numa“-Songs. Der heißt nach dem Refrain des Lieds „Dragostea din tei“. Dieser Song ging um die Welt, weil ein Junge in New Jersey ihn nachgesungen und online gestellt hat. Das war der Startpunkt für zahlreiche Menschen, diesen Song auch zu singen und sich gemeinsam mit Gary Broslma aus New Jersey darüber zu freuen. Aber „Numa Numa“ ist nur ein Beispiel für die Kultur der Beteiligung, die auf YouTube gepflegt wird. Menschen teilen sich mit, teilen ihre Gefühle und werden dabei selber aktiv. Das ist eine kraftvolle Entwicklung.
(…)
Früher ging es aber meist um Live-Webcams: Einer spricht in die Kamera, der andere sieht zu oder antwortet im Chatroom. Bei YouTube haben viel mehr Menschen die Möglichkeit, sich selber ins Bild zu setzen. Hier beginnt die kulturelle Veränderung: Junge Menschen sehen nicht mehr passiv fern; es geht schon beim Sehen um die Frage, wie ich die TV-Inhalte kommentieren, remixen oder umgestalten kann. Das ist eine neue Einstellung gegenüber den Medien.
Auf die Frage warum er private Home-Videos wissenschaftlich erforscht, antwortet er dass wir an diesen Videos “den Pulsschlag unserer Kultur ablesen” koennen:
Dabei geht es nicht so sehr um die Inhalte, sondern darum, dass jeder Mensch diese Technologie nutzen kann. Ich vergleiche das mit dem Automobil und wie es die Gesellschaft verändert hat: Beim Auto wurden die Städte den Ansprüchen der mobilen Fortbewegung angepasst. Wir untersuchen, welche Veränderungen das Internet auslöst. Dabei schauen wir uns ein spezifisches Phänomen wie YouTube und all die Filme an, die dort hochgeladen werden. Man muss all diese Details zusammentragen, um einen Blick auf das große Ganze zu kriegen.
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