Haben Deutsche keine Ehre? Ist Denken und Handeln in Ehre- und Schamkategorien etwas Vormodernes, das man nur bei Einwanderern findet? Diesen Eindruck hinterlässt jedenfalls die Lektüre der neue Ausgabe von Journal Ethnologie zum Thema Ehre und Scham.
Die Texte handeln nämlich nicht um weisse Männer, die aus verletztem Ehrgefühl Ehefrau und Kinder umbringen oder Politiker und Manager, die Selbstmord begehen oder Dorfbewohner auf der Schwäbischen Alb, die darauf aufpassen, dass immer die Fassade stimmt und man als ehrenhafter Bürger aufgefasst wird.
Die Texte handeln dagegen um Georgien oder Albanien – und um Ehrenmorde, die von Einwanderern begehen werden. Es wimmelt von Generalisierungen. Und Ehre und Scham als ein Prinzip dargestellt, das eigentlich durch “Modernisierung” überwunden sein sollte, aber in unseren Breitengraden “im Zusammenhang mit der Lebensgestaltung von Migranten im urbanen modernen Europa plötzlich wieder auftaucht”.
Bringt uns diese Perspektive weiter? Stimmt sie mit der Wirklichkeit überein? Welches Bild wird von den sogenannten “anderen” vermittelt? Was wird indirekt über die Mehrheitsgesellschaft in nördlicheren Breitengraden ausgesagt?
Vielleicht bin ich wieder zu kritisch, doch die Texte scheinen mir ein Grundproblem deutscher Ethnologie zu illustrieren, das ich schon mehrmals thematisiert habe, siehe Ethnologie-Einführungen und die Sonderstellung der deutschen Ethnologie und Vermitteln Ethnozentrismus und ein ueberholtes Bild von der Ethnologie? sowie Ethnologen, raus aus der Kulturfalle!
Zunächst einmal vielen Dank für Deinen Blog, den ich mit großem Interesse verfolge. Du bist nicht zu kritisch bzw. bleibe bitte weiterhin kritisch. Doch auch Dein Text “wimmelt von Generalisierungen”. Ich versuchte gerade in meinem Beitrag (“Wahre Ehre?”) in Journal Ethnologie zu zeigen, dass es viele, sich überlagernde Vorstellungen von Ehre gibt, die auch recht willkürlich angewendet werden. Die Vorstellung, dass Menschen irgendwelchen Ehrkodizes stur folgen, auch im Migrationskontext, findet sich kaum noch. Ehrvorstellungen sind keine Überbleibsel “vormoderner” Zeiten, sondern das Produkt aktueller sozialer Zusammenhänge. (Hier sind in der Tat nicht alle dieser Meinung). Die empirische Erforschung dieser Phänomene, besonders in Deutschland (meinetwegen auch auf der Schwäbischen Alb) steht aber in der Tat noch weitestgehend aus. Eine Anmerkung noch zu der Zusammenstellung der Beiträge: Diese spiegelt nicht die Forschung zum Thema Ehre wider. Die Herausgeberin des Journals Ethnologie, Ulrike Krasberg, hat wohl recht viele Forscher/innen angeschrieben, ihre Arbeit vorzustellen. Aber es gab nur wenig Rückmeldungen.
Stéphane, danke fuer Deinen Kommentar, der eigentlich Teil des Editorial sein sollte. Dass die empirische Erforschung dieser Phänomene besonders in Deutschland inkl auf Doerfern auf der Schwaebischen Alb – wie Du schreibst – noch weitestgehend aussteht, ist interessant.
Ich finde, es liesse sich fachlich viel mit einer vergleichenden Perspektive gewinnen, die auch die hiesige Mehrheitsgesellschaft mit einbezieht, inklusive auch andere Faktoren wie sozialer Hintergrund, Klasse usw.
In meinem Beitrag konzentrierte ich mich auf eine Kritik der Linie, die im Editorial gezeichnet wird.