Nach dem Islamismus: "Schiffauer differenzierter als seine Kritiker einräumen"
War er zu unkritisch gegenüber seinen Informanten? Ein Sprachrohr der “Islamisten"? In der taz wurde das neueste Buch des Sozialanthropologen Werner Schiffauer Nach dem Islamismus: Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs verrissen. In der faz ist soeben eine bedeutend positivere Besprechung des Buches erschienen, in dem Schiffauer u.a. für eine größerere Gelassenheit im Umgang mit Milli Görüs eintritt.
Die Kritik am Buch sei wenig überzeugend, schreibt Susanne Schröter in der faz. Schiffauer sei differenzierter, als seine Kritiker einräumen.
Wissenschaftlich betrachtet, ist nämlich weder an Schiffauers Methoden noch an den Schlussfolgerungen aus seinen empirischen Daten etwas auszusetzen. Im Gegenteil: Der Autor hat im besten ethnologischen Sinne langjährige teilnehmende Beobachtungen bei Milli Görüs durchgeführt und ist in einen Verstehensprozess eingetreten, der ihm Erkenntnisse eröffnet hat, die bei großer Distanz nicht möglich gewesen wären.
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In der heutigen Milli Görüs unterscheidet er drei Milieus: ein konservatives Gemeindemilieu, in dem ländlich-türkische Wertvorstellungen gepflegt werden, ein Jugendmilieu, dessen Protagonisten sowohl in der Gemeinde als auch in der Mehrheitsgesellschaft aktiv sind, aber einen wenig flexiblen Oppositionsgeist pflegen, und schließlich ein postislamistisches Milieu mit reflektierten Intellektuellen, die sich für den Kontakt mit dem Wissenschaftler anboten, da sie den „Dialog mit Geisteswissenschaftlern“ suchen.
Auch Urmila Goel, die bei Schiffauer studiert hat, findet im Buch “eine differenzierte Darstellung der Milli Görüs und verschiedener Strömungen in ihr". Schiffauer ermögliche seinen Leser_innen immer auch kritische Perspektiven auf sein Protagonisten, schreibt sie.
In einem Interview mit dem Deutschlandradio geht Schiffauer auf die Kritik in der taz ein.
Fast gleichzeitig ist ein Interview mit Schiffauer in der Rheinischen Post erschienen. Hier wird deutlich, dass der Forscher gegen Vorurteilen unter Medienmachern ankämpfen muss.
Das Interview dreht sich um die islamische Gruppierung der Salafisten. Der deutsche Verfassungsschutz scheint sie in Verbindung mit Al Qaida zu setzen.
“Salafismus – Einstieg in die Gewalt” tittelt das Blatt, obwohl Schiffauer deutlich erklärt, dass nur eine kleine Minderheit gewaltbereit ist. “Eine Teilgruppierung im aktivistischen Zweig hat eine Tendenz zum gewaltsamen Islam. Aber das ist eine Minderheit innerhalb der salafistischen Bewegung", betont er.
Die Vertreter dieser “aktivistischen” Teilgruppierung setzten sich für die Herstellung eines “Gottesstaates” ein. Aber dann gibt es noch eine relaxtere Gruppe, die eine “quietistische” Form des Salafismus verfolgt. Sie ziehen sich von der Gesellschaft zurück, “um dort die Religion in ihrer ganzen Reinheit zu verwirklichen", erklärt Schiffauer.
Allen Salafisten ist gemeinsam, dass sie zurück zu den Ursprüngen des Islams möchten. Salafismus ist laut Schiffauer “eine Reinigungsbewegung, mit der man sich wieder frei machen will von all den Einflüssen, die in der Geschichte über den Glauben gekommen sind.”
>> weiter in der Rheinischen Post
Siehe hierzu ein laengerer Text des Anthropologen Martijn de Koning Radicalization Series IV – Salafism as a Utopian Movement
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