Oktoberfest: Was steckt hinter dem Trachtenboom?
Vom Oktoberfest 2008. Foto: La inquieta mirada , flickr
“Globalisierung macht Hirtenkultur cool” schrieb ich vor vier Wochen. Doch nicht nur in der Schweiz sind Trachten und alte Traditionen wieder angesagt. Mehrere Zeitungen berichten von einem Trachtenboom in Deutschland.
Deutschland macht auf Tracht, meldet die Mainpost: “Nicht nur in den Festzelten auf dem Oktoberfest in München schunkeln die Deutschen in Schürze und Krachlederner. Auch bundesweit steigt die Nachfrage nach zünftiger Trachtenmode.”
“Vor 15 Jahren noch hätten Teenager sich dafür geschämt, heute geht kaum mehr eine ohne Dirndl auf die Wiesn. Ein Ende des Trachtenbooms ist nicht in Sicht", behauptet Focus.
Chris Tomas macht sich in einem satirischen Beitrag in der Süddeutschen gar Sorgen ueber den Trend und bezeichnet das Dirndl als bayrische Burka.
In sämtlichen Medien spielt die Forschung der Ethnologin Simone Egger von der Uni München eine zentrale Rolle. Sie ist Verfasserin des Buches Phänomen Wiesntracht: Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft. Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfest. Das Buch basiert auf ihrer Magisterarbeit.
Sie erzählt vom Zusammengehörigkeitsgefühl, den die Tracht auf Festen schafft, aber auch dass Dirndl und Leserhosen anscheinend für viele nur ein Party-Gag sei. Der Boom habe vor zehn Jahren begonnen. “Eine Mode wäre nach ein paar Jahren vorbei gewesen. Da muss mehr dahinterstecken als nur ein Trend", sagt sie im Spiegel.
Interessant ist auch die Rolle von Migration. Migrierende Münchner tragen ihre Traditionen mit in ihre neue Heimat, und umgekehrt sorgt die hohe Zuwanderungsrate der Stadt dafür, dass Menschen aus allen Teilen Deutschlands und der Welt mit der Trachten-Tradition in Berührung kommen.
Es ist interessant, diese Entwicklung von Norwegen aus zu beobachten, wo Trachten (bunad) schon länger selbstverständlicher Teil der Gaderobe auch jüngerer Leute sind. Mehr als zwei Drittel aller Frauen besitzen ein bunad. In letzter Zeit haben sich auch mehr und mehr Männer sowie Norweger mit sogenanntem “Migrationshintergrund” eine lokale norwegische Tracht zugelegt.
Thomas Hylland Eriksen hat sich übrigens in letzter Zeit mehrmals dafür stark gemacht, den Trachten-Boom mit dem Hijab-Boom zu vergleichen. Drücken diese beiden Booms vielleicht etwas Ähnliches aus?
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