Ist verständliche Sprache unwissenschaftlich?
Warum nicht nach so langer Stille mit einer positiven Nachricht beginnen? In den Schweizer Medien wurde nämlich Kritik am trockenen, umständlichen Wissenschaftsjargon laut. Sehr gut!
In der alles anderen als radikalen NZZ schreibt Markus Häfliger:
An Unis ist eine bizarre Kultur verbreitet: Akademische Texte werden oft bemängelt, wenn sie komplizierte Sachverhalte einfach erklären. Vor allem in Dissertationen und Habilitationsschriften gibt es einen Zwang zur Kompliziertheit. Akademisch belohnt wird, wer monströse Formulierungen und viel Fachjargon verwendet. Welche Blüten dieses System treibt, erlebte eine Anthropologie-Studentin unlängst an der Universität Freiburg. Die Frau, die nebenher als Journalistin arbeitete, wurde vom Professor dafür kritisiert, dass sie in Seminararbeiten zu kurze Sätze formuliere.
Wir können da einiges von den USA lernen, meint er:
Wie anders gehen amerikanische Hochschulen mit der Sprache um. Dort gehört Rhetorik teilweise zum Pflichtstoff. Schon College-Studenten üben sich in sogenannten Elevator Speeches. Dabei erhält der Student für ein Kurzreferat so lange Zeit, wie eine Fahrt im Aufzug dauert. Das muss genügen, um dem Publikum seinen Gedanken zu präsentieren.
Wo in der Schweiz werden solche Fähigkeiten trainiert? Die Auswirkungen dieses unterschiedlichen Verhältnisses zur Sprache lassen sich an jedem Kiosk erkennen. Sachbücher amerikanischer Wissenschafter werden zu Bestsellern, während Sachbücher schweizerischer Wissenschafter in Bibliotheken verstauben.
Typischerweise ist Markus Häfliger nicht Teil des akademischen Etablissements, sondern Journalist (und ehemaliger Student).
Doch dass diese Kritik vonnöten ist, dürfte keine kontroversielle Aussage sein. Das Problem dürfte an deutschen Unis noch grösser sein. Ich habe sowohl an deutschen Unis wie auch an einer Schweizer Uni (Uni Basel) studiert und empfand Schweizer AkademikerInnen als weniger förmlich (mündlich und schriftlich) als deutsche. Dennoch widerfuhr mir ähnliches wie der oben erwähnten Studentin. U.a. das Einleitungskapitel meiner Feldforschungsarbeit über HipHop “Sein Ding machen” wurde kritisiert. Der Schreibstil sei “zu journalistisch”….
Der NZZ-Artikel hat nur mässige Resonanz bekommen. Eine interessante Diskussion hat Ali Arbia auf zoon politikon angeleiert. Er verteidigt die komplizierte Fachsprache und bekam gute Antworten im Kommentarfeld. Dort ist auch ein Link zu einem Text von Physiker Florian Aigner, der positive Beispiele der Wissenskommunikation aus England und anderen Ländern liefert.
Vor ein paar Monaten ist übrigens eine akademische Zeitschrift ins Leben gerufen wurde, die dem akademischen Jargon den Kampf ansagt - siehe früherer Beitrag Journal of Business Anthropology: Open Access and “Without Jargon”.
Übrigens: Auf seinem Blog Kulturelle Welten informiert uns Joern Borchert über die Konferenz “Rezensieren – Kommentieren – Bloggen: Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft?”, die vom 31.1. bis 1.2.2013 in München stattfindet - gratis!
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