Das Fach heißt Ethnologie, oder? Warum jetzt Kulturanthropologie? Oder Sozialanthropologie?
Früher sagte man Völkerkunde, dann Ethnologie. Nun Sozialanthropologie. Oder doch eher Kulturanthropologie?
Bevor ich diesen Blog wegen des erzwungenen Corona-Shutdowns wiederbelebe, sind ein paar Worte zur Benennung des Fachs, um das sich dieser Blog dreht, nötig. Denn es ist nicht mehr so leicht, wie das Fach und seine Forschenden zu bezeichnen sind.
Auf ihrer vorletzten Tagung im Oktober 2017 benannte sich die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde in Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie um. Mehrere Institute und Museen in Österreich, Deutschland und in der Schweiz haben in den letzten Jahren ähnliche Schritte vollzogen.
Völkerkunde und Ethnologie verschwinden zunehmend zugunsten von Kultur- und/oder Sozialanthropologie.
Dies passiert in einer Zeit, in der sich die Öffentlichkeit langsam an Ethnologie gewöhnt hatte und zu verstehen begann, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Dieser Namenswechsel ist nicht nur für Fachfremde verwirrend. Für manche, die sich mit Überzeugung "Ethnologin" oder "Ethnologe" nennen, ist er auch fragwürdig.
Meiner Meinung nach war die Umbenennung in Kultur- und Sozialanthropologie ein überfälliger Schritt. “Vermutlich wird in 10-20 Jahren niemand mehr von Ethnologie reden”, profezeite ich selber in einem Forumsbeitrag hier auf antropologi.info vor knapp 14 Jahren.
Denn das Fach hat sich nun sogar auch im deutschsprachigen Raum verändert und modernisiert. Man untersucht nicht mehr “die Kultur der So-Und-So”, sondern das Verhalten und Zusammenleben der Menschen generell. Man ist nach und nach weggekommen von der fachlich nicht haltbaren Einteilung der Menschen in klar abgrenz- und studierbare “Ethnien”, “Völker” - oder auch “Kulturen”.
Hansjörg Dilger war bis zur letzten Tagung 2019 der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie und leitet auch das Institut für Sozial- und Kulturanthropologie an der FU Berlin. In einem Interview mit dem Uni-Blatt campus.leben erklärt er die Umbennennung und den Wandel des Faches in Deutschland:
(In Deutschland) lag der Schwerpunkt der Völkerkunde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend auf der physischen Anthropologie. In Zusammenhang mit dem Kolonialismus und dem Nationalsozialismus wurden in der sogenannten Rassenkunde soziale und kulturelle Fragestellungen von biologischen und ideologischen überlagert; Völker wurden auf Grundlage damals geltender Theorien in Kategorien und Stufen einer „evolutionären Rangordnung“ eingeordnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Fach Ethnologie neu gegründet, im Fokus standen zunächst primär einzelne Ethnien und deren Kultur.
Seit spätestens den 1990er Jahren geht es in der Ethnologie jedoch explizit nicht mehr darum, das Fremde in anderen Kulturen zu zeigen, sondern ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie unterschiedlich Menschen in verschiedenen Kulturen mit den Herausforderungen ihrer Zeit umgehen.
Wir Wissenschaftler sehen uns in der global verflochtenen Welt Machtstrukturen und Migrationszusammenhänge an, betrachten wirtschaftliche und rechtliche Themen oder auch die Medien. Wir entwickeln gemeinsam mit den Menschen Fragestellungen zu den für sie wichtigen Themen, etwa im Gesundheitsbereich oder beim Umgang mit Naturkatastrophen. Ethnische Zugehörigkeit ist in diesem Rahmen nur noch eine Kategorie neben anderen wie sozialer Status, Geschlecht, Alter oder religiöse Selbstverortung, die das Handeln von Menschen in Bezug auf solche Lebensbereiche erklären.
Die Namesänderung in Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie war wie bereits erwähnt nicht unumstritten. Zwar wollten nur 15 der 216 Mitglieder den alten Namen “Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde” beibehalten. Von den 198, die sich für eine Namesänderung aussprachen, wählten nur knapp mehr als die Hälfte (110) den neuen Namen. 88 Mitglieder stimmten für die Option “Deutsche Gesellschaft für Ethnologie”, wie wir im Mitteilungsblatt der Organisation nachlesen können.
Kritische Diskussionen über die Umbenennung wurden auf dem eigens eingerichteten Umbenennungsblog geführt. Hansjörg Dilger kommentiert die Kritik im Beitrag Von Menschen und (ethnischen) Gruppen ausführlich.
Von jenem Blog abgesehen hat die Umbenennung zu wenigen Reaktionen im Netz geführt. Max Schnepf, der den Blog anthrobod betreibt, erwähnte das Thema am Schluss seines Tagungsberichts. Ihn hat es schockiert, dass viele sich so an den alten Namen klammerten, vermutlich aufgrund eines "veralteten Verstädnisses unseres Faches", so Schnepf:
I can only assume what their reasons were: a nostalgic sentiment for the association’s name or an outdated understanding of our discipline – namely the study of homogenous peoples bound to a specific territory.
Schwierig gestaltete sich die Einigung auf den neuen Namen, die nur durch die große Anzeil jüngerer Forscher möglich wurde:
Should the association bear the name “ethnology”, because it is more easily communicable to a broader public or should the name represent what we as anthropologists are actually doing – engaging with the various ways in which humans live together? Thanks to many students and young scholars joining the association beforehand, the majority voted for the latter.
Als ich antropologi.info im Sommer 2004 ins Leben rief, waren diese Debatten noch nicht so weit fortgeschritten. Ich entschied mich deshalb für den Namen “Ethnologie in den Medien”. Der Domainname antropologi.info bezieht sich auf die norwegische Bezeichnung des Fachs sosialantropologi oder kurz antropologi - insofern ein guter Kompromiss!
PS: Dieser Blogbeitrag schlummerte als Entwurf fast zwei Jahre lang vor sich her. Corona sei Dank konnte ich ihn überarbeiten und veröffentlichen.
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Ethnologie-Einführungen und die Sonderstellung der deutschen Ethnologie
Was ist Ethnologie? Eine schöne Definition
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