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Wenn Kinder als Hexen verfolgt werden: Was meint die Ethnologie?

Immer wieder macht das Thema “Hexenkinder” Schlagzeilen in den Medien. Doch was haben Ethnologen und Ethnologinnen dazu zu sagen? Bisher recht wenig. Ethnologe Felix Riedel hat sich eines der wenigen Bücher zu diesem Thema angeschaut und stellt es hier auf antropologi.info vor: The Devil’s Children. From Spirit Possession to Witchcraft: New Allegations that affect Children von Jean La Fontaine.


Rezension

LaFontaine (Hg.) 2009: The Devil’s Children. From Spirit Possession to Witchcraft: New Allegations that affect Children. Farnham, Surrey: Ashgate Publishing Limited.

Von Felix Riedel, MA Ethnologie

Die Viktimisierung von Kindern durch Hexereianklagen hat in den letzten Jahren starkes Interesse der Öffentlichkeit erfahren. Ein Auslöser dafür war die britische Dokumentation des Senders Channel 4 mit dem Titel Saving Africa’s witch-children. Das Porträt eines nigerianischen Asyls für Kinder, die von ihren Eltern, Stiefeltern, Verwandten, Priestern oder Nachbarn der Hexerei beschuldigt und misshandelt wurden, stieß eine gesellschaftliche Debatte in Nigeria an. Die vergleichbare Situation in der Demokratischen Republik Kongo wurde in ähnlichen Dokumentarfilmen belegt.

Dispatches: Return to Africa's Witch Children (1 of 5)

In Diskrepanz zum journalistischen Interesse steht das Schweigen der Ethnologie. Lediglich Robert Brain (1970), Peter Geschiere (1980) und Filip DeBoeck (2003; 2004; 2005) haben bislang fundierte Daten gesammelt und diskutiert, zwei neuere Studien aus Ghana erschienen nach 2009. Eine Reihe von Arbeiten aus dem Umfeld humanitärer Organisationen rezitiert im Wesentlichen die journalistischen Quellen.

Der von Jean LaFontaine herausgelegte Sammelband betritt daher ein weitgehend brach liegendes Feld.

Die Publikation richtet sich in der Konsequenz nicht primär an ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern an soziale Arbeit, therapeutisches Personal, Polizisten und Kirchen. Zwei Drittel der Texte im Sammelband leisten ausschließlich Vorarbeit zu einem Verständnis von Geistbesessenheit in unterschiedlichen kulturellen Bezügen.

Eine hervorragende Zusammenfassung der psychiatrischen Problematik liefert Roland Littlewood. Seine Gegenüberstellung von Geistbesessenheit und suizidaler Überdosierung von Medikamenten eröffnet einen praktikablen Weg, das Verhältnis von agency und Symptom bei weiblichen Besessenheitskulten in aller gebotenen Unschärfe neu zu bestimmen:

„The distinction may be difficult to draw. As with overdoses, when do ‚symptoms’ become ‚strategies’?“ (33)

Littlewood fordert eine erhöhte Sensibilität der Therapeuten für kulturelle Belange sowie die partielle Integration von kulturspezifischen Laien-Therapeuten ein. Die psychiatrische Therapie will er durch diese Offenheit im Interesse des Patienten stärken und beibehalten.

buch cover

Sherrill Mulhern evaluiert in einem weiteren exzellenten Text für den europäischen Kontext alternierende Schwankungen in den Körper-Geist-Konzeptionen.

Ausgangspunkt ist der Wandel von der hochmittelalterlichen Lehrmeinung über Hexereigeständnisse und Somnambulismus zu den fundamental differenten Anschauungen des 14ten Jahrhunderts. (38ff) Erst diese interpretierten halluzinierte Geständnisse als empirisches Zeugnis einer nächtlichen Reise und Teufelsbuhlschaft.

Diesen Wandel parallelisiert sie mit dem aktuellen charismatisch-christlichen Postulat, Geständnisse und Visionen seien empirische Manifestationen göttlicher Wahrheiten und ermöglichten spirituelle Ätiologien. Während die Exzesse der katholischen Kirche letztlich die Entwicklung von alternativen psychologischen Konzepten provoziert hätten, würde die charismatische Bewegung die Therapie aus der säkularen Psychotherapie in die Dämonologie der deliverance zurück überführen. (46)

In einer bisweilen zu glatten, rasanten Erzählung problematisiert sie die Wiederkehr des Geständnisproblems in der Psychotherapie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Unter dem Druck feministischer Positionen sei die analytische Annahme einer subjektiven, psychologischen Wahrheit für Inzestfälle in den Verdacht der Vertuschung von realen Verbrechen geraten.

Die bis heute andauernde Strömung fordert gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Nachweisbarkeit und in Verleugnung der Möglichkeit der Konfabulation eine prüfungslose Anerkennung jeglicher Opfererzählungen. Als Resultat der Diskursschwankungen seien erstaunlich weit verbreitete Phantasien über satanistische Rituale bis hin zum Kannibalismus als glaubhafte kindliche Erinnerungen von Patienten und Therapeuten verteidigt worden. (54) Mulherns historische Analyse verweist in einer neuen Dringlichkeit auf die Komplexität und Reichweite des Problems der Nichtidentität von Geist und Körper.

Die Integration von emischen Perspektiven versucht der Band im dritten Teil. Christina Harringtons Beitrag idealisiert in einem kurzen Beitrag ihre Wicca-Initiation. Mercy Magbagbeolas Beschreibung ihrer christlichen Hexereivorstellungen sind als illustrative ethnographische Quelle wertvoll, werden in dieser Form aber unnötig aufgewertet.

Erst das letzte Drittel des Buches widmet sich explizit Kindern als Opfer von Hexereianklagen.

LaFontaine fasst die wenigen bestehenden ethnographischen Texte zusammen und leistet so die Vorarbeit zum einzigen ethnographischen Beitrag von Filip DeBoeck. Dieser liefert eine geringfügig aktualisierte Durchführung seiner älteren Texte, in denen er konzise die Verhältnisse in der DRC beschreibt und diskutiert.

Leider besteht er immer noch auf einer euphemistischen Definition der Heilung: Der mitunter wochenlange Exorzismus von Kindern in den Kirchen biete als therapeutic ‚healing’ space eine „alternative Lösung des Problems“ an. (131)

DeBoeck entgleitet hier die Sensibilität für die komplexere infantile Psychodynamik, schlüssig wird der therapeutische Aspekt nicht. Das Trauma des Exorzismus wird nicht weiter erörtert, die Reintegration ins verfolgende Kollektiv wird mit Heilung gleichgesetzt. Auch wiederholt er die populäre Hypothese, Hexereianklagen könnten als a posteriori birth control gelten: Kinder würden primär aus ökonomischen Gründen verstoßen.

Materialistische Ansätze dieser Art erklären nicht, warum die okkulte Rechtfertigung der ökonomischen vorgezogen wird.

Stichhaltiger ist seine Beobachtung über Neuformierungen der Kernfamilie gegen die erweiterte Verwandtschaft mit ihren Ansprüchen. Aber auch hier fehlt die Vermittlung durch die individuelle Psychodynamik und die Ideologieform, in der diese Abgrenzung als okkultes Ressentiment gewählt und ausformuliert wird.

In einer für das Forschungsfeld üblichen Umkehr werden die Verfolger von Kindern zu Opfern einer spirituellen Unsicherheit, einer Krise der Verwandtschaft. Die Krise der kindlichen Opfer von Hexereianklagen tritt dann nur noch als sekundärer Effekt einer anderen Krise in Erscheinung.

Das letzte Kapitel wird im Wesentlichen von Eleanor Stobart gerettet durch eine empirische Studie über Fälle von Kindesmisshandlung mit assoziierten Hexereianklagen in Großbritannien.

Die breite Zielgruppe des Bandes resultiert in einem Relativismus, der Kritik unterbindet. So behauptet Eileen Barker in der Einleitung:

„The social sciences have to recognise their limitations, however. They have no expertise, technologies or skills that allow them to judge theological or ethical claims.” (3)

Dieser Widerruf wissenschaftlicher Erkenntnis richtet sich gegen philosophische Betätigung als Vermittlung zwischen dem aktuellen Stand der Aufklärung und dem dahinter zurückfallenden gesellschaftlichen Bewusstein. Der den Sozialwissenschaften aufoktroyierte „wissenschaftliche Agnostizismus“ (3) tendiert dazu, analytische Kritik und interdisziplinäres Denken stillzulegen.

So richtig die Kritik am „nothing but“ der psychologistischen oder materialistischen Ansätze ist, so reduktionistisch ist die Aufgabe des Versuches der dialektischen Darstellung zugunsten einer urteilsfreien Beschreibung, die weder naturwissenschaftlichen noch philosophischen Ansprüchen gerecht wird.

Der Eindruck der Beliebigkeit wird komplett, wenn Barker wenig später das Urteil über spezifische Vorurteile doch wieder einführt: Als berechtigten Verweis auf „ignorance“ und „misinformation“ der westlichen Gesellschaften gegenüber den Vorstellungen der Minoritäten (4).

Die dialektische Spannung zwischen Materialismus und Psychologismus, Gesellschaft und Individuum kann der Band nicht aushalten. Er beinhaltet einige Aufsätze von hervorragender Qualität und leistet auch Pionierarbeit für die Praxis mit viktimisierten Kindern. So erfreulich dieser seltene praxisbezogene Ansatz ist, die Desiderate des Feldes „Kinder und Hexenjagden“ können die Beiträge leider nur partiell schließen.

Felix Riedel, MA Ethnologie
Marburg, Deutschland
Kontakt: Felix.Riedel.Uni (AT) googlemail.com


MEHR INFORMATIONEN:

Information vom Verlag

Einführungskapitel des Buches (pdf)

Felix Riedel: Hexenjagden in Nordghana (Teil seines Projektes “Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge Ein Verein zur Unterstützung der Asyle für Hexenjagdflüchtlinge in Ghana”)

Jean La Fontaine: Witchcraft belief is a curse on Africa (Guardian 1.3.12)

Eleanor Stobart: Race bias claim over witchcraft “The government’s response to child abuse linked to witchcraft would have been different if it involved mainly white children” (BBC, 4.8.2006)

Die Kinderhexen von Kinshasa. Zum Wandel von Hexereivorstellungen in der Demokratischen Republik Kongo Magisterarbeit in Ethnologie von Katharina Puvogel an der Uni Münster (pdf)

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Kontroverser Ethnologe David Signer: Die Stagnation schwarzafrikanischer Staaten hat einen Grund: Hexerei

World Cup Witchcraft: European Teams Turn to Magic for Aid

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Als "Hexenkind" verfolgt und misshandelt (Kleine Zeitung, 16.1.2012)
Die Hexenkinder von Nigeria: Priester und Scharlatane bereiten Jungen und Mädchen die Hölle auf Erden (Die Welt, 11.9.2010)

Immer wieder macht das Thema "Hexenkinder" Schlagzeilen in den Medien. Doch was haben Ethnologen und Ethnologinnen…

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Vorurteile über Stämme in Libyen: “Haben nichts mit der Realität zu tun”

Herausforderung für Libyen: Die Stämme, titelt der ZDF. 40 Stämme und Volksgruppen: Zerfällt Libyen in drei Teile? fragt die Bildzeitung besorgt.

Nach dem Fall Gaddafis wird über die Rolle der “Stämme” in Libyen diskutiert. Vieles was wir da über die Stämme zu hören bekommen, hat nichts mit der Realität zu tun, sagt Ethnologe Thomas Hüsken in einem Interview mit der taz. Von den “Spekulationen über einen möglichen Stammeskrieg” hält er nichts:

Die Vorstellung von den Stämmen als miteinander verfeindete, atavistische Gemeinschaften, die mit Blut, Ehre, Scham, Schande verbunden ist, lässt sich vielleicht gut vermarkten. Mit der Realität hat sie nichts zu tun. Die Stammespolitiker sind erfahrene Lokalpolitiker und verfügen über entsprechendes Know-how. Begriffe wie Konsens, Stabilität und Interessenausgleich sind ihnen nicht fremd (…)

Sie haben in den letzten sechs Monaten im Osten für rechtlich Stabilität gesorgt, eine friedliche Ordnung aufrechterhalten und Dienstleistungen wie Strom, Wasser gewährleistet. Das zeigt, dass das tribale System in Libyen funktioniert.

Das Spektrum politischer Ansichten innerhalb der Stämme ist gross:

Es gibt Rechtsanwälte oder Ärzte, die im Ausland waren, die ein ganz anderes politisches Portfolio haben als Politiker, die vor allem der lokalen politischen Gemeinschaft verankert und viel konservativer sind. Aber es ist nicht so, dass zwischen den Stämmen polarisiert wird. So ein Stamm ist kein kollektiver Akteur mit autoritären Kommandostrukturen.

Die Stammespolitiker sind ausserdem nicht gegen den Staat. Was sie wollen ist eine Partnerschaft. Demokratie und Tribalität widersprechen sich nicht.

>> weiter in der taz

Hüsken ist Mitarbeiter im Forschungsprojekt “Die Herausbildung nicht-staatlicher Formen von Herrschaft im heutigen Afrika” an der Uni Bayreuth.

Er ist bereits früher zu Libyen interviewt worden, u.a. im Deutschlandradio

NEU Schöner Kommentar von Ingrid Thurner, Teilnehmende Medienbeobachtung: Medien, Stämme und Stereotype:

Dieses neue Stammesdenken erinnert an die alte Ethnologie, jene Wissenschaft, die zunächst Völkerkunde genannt wurde, und die sich die außereuropäische Welt handlich in Stämme oder Ethnien einteilte.
(…)
Afrikanische Intellektuelle hatten mit dieser Einteilung gar keine Freude. Sie wussten, dass sie zu simpel ist und sozialen Realitäten nicht gerecht wird. Sie lehnten den Biologismus solcher Konstruktionen ab, und sie warfen der Ethnologie Tribalismus vor, den es zu überwinden gelte. Denn Menschen leben nicht isoliert nebeneinander, sondern sie teilen Lebensräume und Ressourcen, gehen Symbiosen, Allianzen, Konflikte und Heiraten ein.

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Wie weiss ist Europa eigentlich?

Hier wehen die Flaggen der kaiserlichen Kriegsmarine und der Dauerkolonie Togo e.V.. Die Strassen tragen die Namen ehemaliger deutschen Kolonien wie Kamerun oder Togo. Welchen Sinn macht es eigentlich anno 2008 zu schreiben “Der Wedding wird schwarz. Der Arbeiterbezirk legt seine rote Farbe ab und wird bunt, international, afrikanisch“, wenn Afrikas Geschichte mit Berlins Geschichte jahrhundertelang miteinander verflochten war? Wie weiss ist Europa eigentlich?

Solche Frage wirft der Text von Pantelis Pavlakidis und Maria Hoffmann auf Wildes Denken auf.

Die deutsche Kolonialvergangenheit, erklären sie am Beispiel Berlins, besteht “ungebrochen, unkommentiert und unkritisch in verschiedenen Formen fort”. Sie ist allgegenwärtig in dem “erbitterten Streit” um Rückgabeforderungen der Kameruner Königsinsignien oder um die „Afrika-Tage“ in deutschen Zoos, die an die rassistischen Kolonialausstellungen von schwarzen Menschen erinnern.

Weiter schreiben sie:

Das Afrikanische Viertel [in Berlin] mit seinen kolonialen Straßennamen kann keinesfalls als bloßes Überbleibsel kolonialpolitischer Bestrebungen des Deutschen Kaiserreiches und des nationalsozialistischen Regimes verstanden werden. Vielmehr verweisen beispielsweise die gehissten Flaggen der kaiserlichen Kriegsmarine, der Freibeuter und des Templerordens in den Kleingartenanlagen Rehberge e.V. und Dauerkolonie Togo e.V., auf eine bewusste Inszenierung historischer Symbole, die in ihrer politischen Aussage in soziale Praktiken übersetzt werden. (…)

„Warum das Afrikanischen Viertel so heißt? Vielleicht wegen der Afrikaner, die hier leben?“ hörten wir ein paar Mal bei einer ersten Straßenumfrage. Kehren die Menschen, die schon seit mehr als 100 Jahre im Wedding symbolisch präsent sind, nach Hause?

“Menschen wie ich”, erklärt Stuart Hall (1994: 74) anhand seiner eigenen Biographie, die ihn von Jamaika nach England führte, “die in den 1950ern nach England kamen, waren schon seit Jahrhunderten da. Symbolisch waren wir schon seit Jahrhunderten da. Ich kam nach Hause. Ich bin der Zucker auf dem Boden der englischen Teetasse. Ich bin die Süßigkeit und die Zuckerplantagen, die Generationen von englischen Kindern die Zähne ruiniert haben. Neben mir gibt es Tausende Andere, die der Tee sind. Weil, Ihr wisst ja, sie bauen keinen Tee in Lancashire an. Es gibt keine einzige Teeplantage im Vereinigten Königreich. Aber Tee ist das Symbol englischer Identität – was weiß man in der Welt über eine englische Person außer, dass sie den Tag nicht ohne Tee überstehen kann? Aber wo kommt er her? Ceylon – Sri Lanka, Indien. Das ist die äußere Geschichte, die im Inneren der Geschichte Englands ist. Es gibt keine englische Geschichte ohne diese andere Geschichte.”

>> zum Beitrag auf Wildes Denken

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In Berlin: Protest gegen Fortwirken des Kolonialismus in der Ethnologie

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Buchbesprechung: Unser merkwürdiger Umgang mit "Fremdem"

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So verändert der Staudamm plötzlich ihr Leben

2003 begann der Bau des Merowe-Staudamms im sudanesischen Niltal, damals das größte Dammprojekt Afrikas. Idyllisch sieht er aus auf seiner offiziellen Webseite. Laut dem International River Network ist der Merowe-Staudamm jedoch einer der destruktivsten Dammprojekte der Welt.

Im Freitag hat Ethnologin Valerie Hänsch einen schöne Geschichte über die Konsequenzen des Staudammprojektes für die betroffenen Bauern geschrieben.

70.000 Bewässerungsbauern müssen dem Damm weichen, vielen von ihnen ist die Wüste die einzige Alternative. Eine deutsche Firma spielt beim Projekt eine zweifelhafte Rolle.

>> zur Geschichte im Freitag


Müssen dem Damm weichen: Die Manasir im Sudan. Foto: David Haberlah, flickr

Valerie Hänsch hat übrigens auch den preisgekrönten FilmSifinja – The Iron Bride gedreht – ein Film über sudanische Lastwägen und ihre Fahrer.

SIEHE AUCH:

Eine “ethnologische Perspektive” auf die Probleme im Sudan – Buch von Bernhard Streck

Schreibt in der WELT (regelmässig?) über ihre Feldforschung im Sudan

“We have a huge responsibility to give back to the places we study from”

Wissensintensiver Alltag in der Wüste

How electricity changes daily life in Zanzibar – Interview with anthropologist Tanja Winther

2003 begann der Bau des Merowe-Staudamms im sudanesischen Niltal, damals das größte Dammprojekt Afrikas. Idyllisch sieht er aus auf seiner offiziellen Webseite. Laut dem International River Network ist der Merowe-Staudamm jedoch einer der destruktivsten Dammprojekte der Welt.

Im Freitag hat Ethnologin…

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Tunesien, Libyen und Ägypten: Medien interviewen Ethnologinnen

Seit mehreren Wochen toben sie nun, die Revolutionen in Nord-Afrika, die Rufe nach Freiheit und Demokratie von Millionen von Menschen. Nach dem Fall der Diktatoren in Tunesien, und Ägypten ist nun Libyen an der Reihe.

Ethnologen waren gefragte Interviewobjekte von Journalisten, auch in deutschsprachigen Medien.

Der Standard hat kürzlich die Wiener Sozialanthropologin Ines Kohl über die Rolle der “Stämme” in Libyen und die Zeit nach al-Qaddafi / Gaddafi interviewt.

Sie ist überracht über die Proteste, hätte nicht gedacht, dass es so schnell und so heftig passiert. Obwohl der Unmut in der Bevölkerung in letzter Zeit gestiegen ist. Eine direkte Auflehnung hatte man bisher nicht gewagt:

Begeht jemand Verrat am “revolutionären System”, existieren Kollektivstrafen. Also nicht nur das Individuum wird bestraft, sondern ganze Familien, oder Stämme. Verrat heißt auch: sich gruppieren. Daher ist in Libyen jegliche Freizeitbeschäftigung in Form von Clubs oder Musikveranstaltungen (außer jene des Regimes) untersagt. Zudem existiert ein ausgeprägtes Spitzelwesen unterschiedlicher Geheimdienste, die sich auch gegenseitig kontrollieren. Bis dato hat sich Unmut noch nie offiziell zeigen können.

Sie erklärt auch, warum sie nach Gaddafis Fall keinen Bürgerkrieg fürchtet.

>> weiter im Standard

Ines Kohl hat eine schöne Webseite über ihre Forschung, es hat auch einige Artikel und Papers, besonders über Tuareg in Libyen. Ich hatte sie früher bereits erwähnt, u.a. im Beitrag Feldforschung bei den Tuareg: Makkaroni mit Tomatensauce – monatelang!

Nach dem Sturz von Präsident Zine El Abidine Ben Ali sind tausende Tunesier auf die italienische Insel Lampedusa geflüchtet. Der Tagesspiegel interviewt Ethnologin Heidrun Friese. Wie es der Zufall so will, erforscht sie die Migration nach Lampedusa: Was sind die Wege der Migranten? Was ist die Einstellung der Bevölkerung vor Ort? An mehreren tunesischen Häfen hat sie mit Fischern, Hausfrauen, Jungen und Alten gesprochen, um zu verstehen, warum so viele weg wollen.

Über die Fluchtwelle ist sie nicht überrascht:

Wenn Menschen zwanzig, dreißig Jahre eingesperrt sind und auf einmal sind die Gefängniswärter weg, dann ist es kein Wunder, dass einige die Chance zur Flucht ergreifen. (…) Jetzt freuen sich junge Leute zwar über ihre Revolution, aber besonders die gut ausgebildeten haben nicht mehr die Geduld, auf Veränderung zu warten. Sie wissen: Das kann Jahrzehnte dauern.

Die heutige tunesische Jugend sehe sich als Europäer:

In den Ländern Nordafrikas ist eine Europäisierung von unten zu beobachten. Die jungen Leute leben eine Flugstunde von Italien, Spanien entfernt. Sie nutzen die sozialen Netzwerke, die medialen Informationskanäle. Sie sind längst im modernen Europa angekommen, waren aber im Korsett ihrer korrupten Regime gefangen.

Sie kritisiert die Abschottung Europas von Afrika (“Festung Europa“), warnt vor “linker Revolutionsromantik” genauso wie vor dem rechten Wunsch nach Stabilität um jeden Preis.

>> weiter im Tagesspiegel

Heidrun Friese hat übrigens auch eine schöne Webseite auf http://web.mac.com/hfriese/heidrun_friese/

Dieses im Westen so beiebte Denken “lieber diktatorische Stabilität als demokratisches Chaos” kritisiert Ethnologe Samuli Schielke in einem Interview mit dem DeutschlandRadio

“Dass so was von der Regierung von Amerika und Europa behauptet wird, halte ich für einen moralischen Bankrott”, kommentiert er:

Denn die ägyptische Regierung ist diejenige, die in dem Land für Chaos gesorgt hat und Chaos systematisch als Machtmittel eingesetzt hat. Also ich halte jede Rede darüber, dass Mubarak einen geordneten demokratischen Übergang übersehen sollte, halte ich für eine vollkommene Illusion, weil genau er und seine Machtelite dafür gesorgt hat, dass das Land in Chaos versunken ist. Ich denke, dass die Demonstranten sehr gut in der Lage sind, für Ordnung zu sorgen, die haben sich gerade eine ungesehene spontane Bereitschaft zum organisierten Handeln – also es ist sehr sauber auf dem Tahrir-Platz, der Müll wird gesammelt, es wird alles gut organisiert.


Er kritisiert auch “die ständige Angst, die gegenüber die Muslimbrüder geführt wird”. Diese werde vom Mubarak-Regime gezielt auch geschührt.

Das Wichtigste sei für die Ägypter im Moment nicht, wer das Land regiert, sondern wie das Land regiert wird.

“If this revolution has taught me one thing is that the people of Egypt do not need to look up to Europe or America to imagine a better future”, schrieb er in einem Gastbeitrag auf dem Blog Closer: “Compared to our governments with their lip service to democracy and appeasement of dictators, Egyptians have given the world an example in freedom and courage which we all should look up to as an example.”

Auf http://samuliegypt.blogspot.com/ schildert er seine Eindrücke von der Revolution in Ägypten und auf http://www.samuli-schielke.de/research.htm gibt es jede Menge Papers über die ägyptische Jugend.

Urmila Goel kommentierte die anti-demokratische Haltung des Westens in ihrem Beitrag Europäisches Interesse:

Demokratie – dafür tritt die EU angeblich ein. Die nordafrikanischen Volksaufstände aber zeigen, dass die EU de facto wenig Interesse an Demokratisierung hat. Mit den Diktatoren kann sie ihre Festung Europa viel besser abdichten.
(…)
Europäische (und einige andere Staaten) holen ihre Staatsangehörige aus Libyen raus. Die Libyer_innen aber sind in Europa nicht willkommen. Menschenrechte hängen mal wieder von der Staatsangehörigkeit ab.

Sehr interessant auch die Diskussion im Beitrag “Koloniale Sichtweisen und die Komplizenschaft der europäischen Politik“: Navid Kermani im Interview auf dem Blog Metalust & Subdiskurse Reloaded.

Ägypten: Warum hat der Westen Angst vor Demokratie? fragte ich vor drei Wochen und verwies auf den Kommentar der Ethnologin Katrin Zinoun auf ihrem Blog dialogtexte.

Inzwischen hat sie eine wunderschöne Schilderung der historischen Ereignisse auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit vielen Videos ins Netz gestellt

Ich habe eine englischsprachige Uebersichten in den Beiträgen Saba Mahmood: Democracy is not enough – Anthropologists on the Arab revolution part II und “A wonderful development” – Anthropologists on the Egypt Uprising zusammengestellt.

Seit mehreren Wochen toben sie nun, die Revolutionen in Nord-Afrika, die Rufe nach Freiheit und Demokratie von Millionen von Menschen. Nach dem Fall der Diktatoren in Tunesien, und Ägypten ist nun Libyen an der Reihe.

Ethnologen waren gefragte Interviewobjekte von…

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