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Buch: Wenn Slums zu Touristenattraktionen werden


Ein neues Touristenziel. Foto: Meena Kadri, flickr

Gut betuchte Touristen bestellen organisierte Touren durch Elendsviertel: Ethnologin Eveline Dürr hat das Phänomen Slumtourismus an einer mexikanischen Müllhalde untersucht. Zusammen mit Rivke Jaffe hat sie kürzlich ein Buch zum Thema herausgegeben: Urban Pollution. Cultural Meanings, Social Practices.

Slumtourismus ist besonders durch den Film Slumdog Millionaire bliebt geworden. Was soll man von dieser Art von Tourismus halten? Moralisch zweifelhaft oder eine lehrreiche Erfahrung? Tourismus, von der auch die Armen profitieren?

Hier gibt es keine einfache Antworten, erklärt die Forscherin in einer Medienmitteilung der Uni München.

“Manche Slumbewohner schämen sich ihrer Situation und wollen weder gesehen werden noch Geschenke annehmen”, sagt Dürr. Einige Slumbewohner sind allerdings stolz darauf, dass sich Menschen aus aller Welt für ihre Situation interessieren und profitieren von diser Art von Tourismus.

Auf der Webseite der Uni kann man sich einen 45minütigen Vortrag von ihr zum Slumtourismus anschauen.

Im Netz gibt es einiges zum Thema.

“Ich denke, das Entscheidende bei diesen Fragen ist nicht, OB man eine Favela, ein Projektdorf oder eine soziale Initiative besucht, sondern WIE man dies tut”, schreibt Ethnologin Joana Breidenbach. Angefangen habe der Trend vor 16 Jahren, als Marcelo Armstrong Favela Tours gründete.

Der Spiegel schreibt über Slum-Tourismus in Namibia, der Freitag über Safari ins Elend, und bei fairplanet.net gibt es Links zu Slumtourismus als Armutsporno.

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Ein neues Touristenziel. Foto: Meena Kadri, flickr

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Humanismus + Kosmopolitismus + Anthropologie = humane Weltkultur?

Wie kann eine humane Weltkultur aussehen, die Erfahrungen der europäischen Welt nicht Massstab aller Dinge macht? Dieser Frage geht Ethnologie Christoph Antweiler in seinem neuen Buch Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen Kosmopolitismus nach.

In diesem Buch verbindet er Ideen des Humanismus und Kosmopolitismus mit der Anthropologie.

“Es geht um die Suche nach gemeinsamen Orientierungen für eine Menschheit auf einem stark vernetzten und gleichzeitig begrenzten Planeten”, schreibt er in der Einleitung (pdf). Sein Ziel: Ein Humanismus “jenseits eurozentrischer Beschränkungen, der die kulturellen Unterschiede ernst nimmt”. Die neuere kosmopolitische Diskussion vernachlässige nämlich die kulturellen Aspekte.

Ich suche mit Mitteln der Ethnologie bzw. Kulturanthropologie in empirischer Weise nach Gemeinsamkeiten vieler oder sogar aller Kulturen, nach Kulturuniversalien, kurz ›Universalien‹. Sie würden nicht einfach globalisierbare Werte abgeben, aber immerhin eine Ausgangsbasis für zu schaffende gemeinsame Orientierungen.

Ein spannendes Projekt, das auf seinen früheren Büchern über die Gemeinsamkeiten unter den Menschen aufbaut: Heimat Mensch und Was ist den Menschen gemeinsam? Im Gegensatz zu Heimat Mensch ist sein neues Werk jedoch ein rein akademischer Text mit obligatorischem Jargon und (oft unnötigen) Fremdwörtern wie “emergieren”, “kommensurabel” oder “ubiquitär”.

Soziologen wie Ulrich Beck sprechen euphorisch vom Kosmopolitismus unserer Zeit, alles sei im Fluss, mobil und hybride. Antweiler ist da etwas mehr zurückhaltend. Ein weltweites ›Wir‹-Bewusstsein existiere noch nicht. Eine Weltgesellschaft sei erst am Entstehen.

Interessant: Wenn sich nun ein weltweites Wir-Gefühl entwickele, so sei dies nicht aufgrund unserer Gemeinsamkeiten, meint er:

“Das Bewusstsein einer gemeinsamen Menschheit und gemeinsamer Überlebensprobleme kommt eher dadurch auf, dass man sich immer mehr die Unterschiede verdeutlicht. Menschen werden sich dabei immer mehr darüber klar, dass nationale Besonderheiten und Zivilisationsunterschiede starke Bindungen und Interdependenzen erzeugen. Dies ergibt sich durch den zunehmenden reziproken Austausch und das immer notwendiger werdende Aushandeln von Kompromissen, um Konflikte zu begrenzen (Rossi 2008: 436).”

Im Gegensatz zu anderen Forschern, die sich mit transnationalen Fragen befassen, hält er am vielkritisierten Konzept der “Kulturen” fest. Seine Position hatte er mir in einem Interview erläutert. Dennoch bleibt mir unklar, was er meint, wenn er schreibt: “Angesichts der planetaren Vernetzung braucht die Menschheit den Dialog zwischen Kulturen mehr denn je.” Wer soll da mit wem reden? Wer representiert wen? Ist jeder Mitglied einer Kultur?

Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder mit Antweiler einig ist, wenn er schreibt dass “die wissenschaftlich-technische Zivilisation” “ihren Ursprung großteils in westlichen Ländern” hat oder “Wer etwa versucht, Menschenrechte im Konfuzianismus, Bud- dhismus oder im Islam wiederzufinden, ist oft gezwungen, die Quellen unkonventionell zu lesen, eine Minderheiteninterpretation zu wählen oder wenigstens eine innerkulturell umstrittene Lesweise tradierter Texte zu vertreten (Barnhart 2001: 47; Hood 2001: 96).

Ich habe mir nur die Einleitung angeschaut.

>> mehr Information zum Buch beim Transcript Verlag

>> Leseprobe: Einleitung

>> ausführliche Besprechung auf socialnet.de

>> Rezension bei der Humanistischen Akademie

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Gefährlicher “interkultureller Dialog” in Jugendbüchern

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Thesis: That’s why there is peace

Wie kann eine humane Weltkultur aussehen, die Erfahrungen der europäischen Welt nicht Massstab aller Dinge macht? Dieser Frage geht Ethnologie Christoph Antweiler in seinem neuen Buch Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen Kosmopolitismus nach.

In diesem Buch verbindet er Ideen des…

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Gefährlicher “interkultureller Dialog” in Jugendbüchern

Vor zwei Jahren gaben Studentinnen der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien das Buch Das Fremde. Konstruktionen und Dekonstruktionen eines Spuks heraus, das auf Seminararbeiten basierte. Soeben ist ein neues Buch mit Seminararbeiten zu diesem Thema erschienen: alltäglich | fremd, herausgegeben von Katharina Leitner und Nicole Czekelius.

Einer der Beiträge setzt sich kritisch mit sogenanntem “interkulturellen Dialog” in der Kinder- und Jugendliteratur auseinander. Mehr und mehr Kinder- und Jugendbücher behandeln das Thema “kulturelle Fremdheit” und Migration.

Susanna Sulig analysiert ein Buch, das für friedvolles Miteinander zwischen Bewohnern Israels und Palästina eintritt und dafür sogar einen Unesco-Preis erhalten hat: Samir und Jonathan von Daniella Carmi. Es handelt um eine Freundschaft zwischen einem palästinensischen (Samir) und einem jüdischen Jungen (Jonathan). Wegen einer komplizierten Knieoperation muss Samir in ein israelisches Krankenhaus gebracht werden. Dort lernt er Jonathan kennen.

Ein offenbar guter Ausgangspunkt für eine Geschichte, die Vorurteile herausfordert und den Konflikt entmystifiziert. Doch das Buch scheint unter ähnlichen Problemen wie manche andere “interkulturellen” Initiativen zu leiden. Obwohl man für “Verständigung wird”, schreibt man Vorurteile über “die anderen” fest. Die Botschaft scheint zu sein: Ja, die anderen sind anders und vielleicht etwas primitiv, doch Freunde können wir trotzdem werden.

Bestehende Fremdheitsverhältnisse werden als überbrückbar gesehen, schreibt Susanna Sulig. Freundschaft zwischen Juden und Palästinensern wird als etwas bereicherndes dargestellt. Soweit so gut. Doch die Autorin, die selber aus Israel stammt und Jüdin ist, verbreite in ihrer Gesellschaft vorherrschende Stereotypen über den Alltag in einem Palästinenserdorf.

Die Verleihung des Unescopreises für Kinder- und Jugendliteratur im Dienste der Toleranz sieht Sulig als nicht gerechtfertigt an.

Die beiden Jungen werden vollständig unterschiedlich dargestellt.

Jonathan taucht vom ersten moment an als leiser, sensibler, interessierter und intelligenter Charakter auf. Er wird nach und nach zu Heldenfigur stilisiert. Samir dagegen ist arm, nicht besonders intelligent, resigniert und stets traurig.

Jonathan gilt als Freund der Wissenschaften, Samir als ein Freund der Magie und des Aberglaubens. Bei ihren ersten Treffen erzählt Jonathan Geschichten von der Entstehung des Universums und des Lebens auf der Erde. Jonathan kann mit einem Computer umgehen und beherrscht Englisch.

Davon weiss Samir alles nichts. Das einzige was er auf Englisch weiss, ist der Anfang aus “Aladin und die Wunderlampe”

“Die Autorin lässt Samir den Beginn von Aladin und die Wunderlampe als eine art Zauberspruch benutzen. Immer wenn Samir Angst hat und Böses abwehren will, spricht er diesen Satz leise vor sich hin”, so Sulig.

Dass Samir in Zusammenhang mit Religion, Aberglauben und Mystik gebracht wird ist nicht zufällig, meint Sullig. Die Gegenüberstellung von Westen =Aufklärung und Wissenschaft und Orient = Aberglaube und Irrationalität widerspiegelt verbreitete Sichtweisen in westlichen Gesellschaften. Edward Said hat dies in seinem Klassiker Orientalism dokumentiert.

Dies ist problematisch: Stereotypen werden von Leserinnen wiedererkannt und damit bestätigt.

Die Autorin erwähnt zwar Ausgangssperren, Unruhen und Militärkjontrollen bettet Samirs Alltag jedoch nicht in einen weiteren politischen Kontext ein. Man erfährt offenbar nichts über die Gründe seines harten Alltags. “So entstehe nur allzu leicht das Bild der verbitterten (palästinischen) Familie auf der einen und der glücklichen (jüdischen) Familie auf der anderen Seite”, kritisiert Sulig.

Einen positiven Beitrag könne das Buch nur leisten, wenn kritisch mit den stereotypen Darstellugen umgegangen würde.

Samir und Jonathan ist übrigens erst spät ins Arabische übersetzt worden, merkt sie an: erst nach Preisverleihung.

Susanna Suligs Artikel ist einer von vielen Beiträgen dieses Buchprojektes, dasin einem studentischen Verlagskollektiv (HammockTreeRecords) verlegt wurde.

Die Artikel entstanden in einem Seminar bei Peter H. Karall am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und wurden in monatelanger Freiwilligenarbeit von Fokus_Irrt, den Herausgeberinnen, den Autorinnen und von Teilnehmenden des HammockTreeRecords Kollektivs bearbeitet und zur Publikation vorbereitet. Siehe auch früheres Interview zum ersten Buch und meine Besprechung des Buches

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Vor zwei Jahren gaben Studentinnen der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien das Buch Das Fremde. Konstruktionen und Dekonstruktionen eines Spuks heraus, das auf Seminararbeiten basierte. Soeben ist ein neues Buch mit Seminararbeiten zu diesem Thema erschienen:…

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Ethnografie über Liebessuche im Netz

Die ZEIT interviewt die Ethnologin Julia Dombrowski über ihre Forschung auf Dating-Seiten im Netz. Sie promovierte 2009 an der Universität Bremen.

Wie so oft, so fordert ethnologische Forschung Voruteile heraus – in diesem Falle auch die Vorurteile der Forscherin:

Ich war wirklich überrascht, wie rational die Gründe für die Partnersuche im Internet einerseits sind, und wie emotional die Kontakte andererseits sind. Online-Dating ist keineswegs oberflächlich. Ich hätte vor der Untersuchung nicht an eine solche Gefühlsintensität beim Online-Dating geglaubt, was Freude, Enttäuschung und Ablehnung angeht.
Außerdem fand ich erstaunlich, dass die Leute so reflektiert mit den Partnerbörsen im Netz umgehen. Ich dachte, das würde alles wesentlich ungefilterter, undurchdachter passieren.

>> weiter in der ZEIT

Im Januar 2011 erscheint ihr Buch Die Suche nach der Liebe im Netz: Eine Ethnographie des Online-Datings

Für die unter uns, die sich auf solchen Seiten eine Weile aufgehalten haben, ist diese “Rationalität” nicht besonders erstaunlich. Erstaunt war ich dagegen von den konservativen (Familien-)Werten, die auf vielen Profilen kommuniziert wurden.

AKTUALISIERUNG: Interview mit Julia Dombrowski in der Sueddeutschen (14.2.2011)

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Die ZEIT interviewt die Ethnologin Julia Dombrowski über ihre Forschung auf Dating-Seiten im Netz. Sie promovierte 2009 an der Universität Bremen.

Wie so oft, so fordert ethnologische Forschung Voruteile heraus - in diesem Falle auch die Vorurteile der Forscherin:

Ich…

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Frauen auf dem Land: 150 Jahre Multitasking

Eineinhalb Jahre hat Ethnologin Annegret Braun Geschichte und Leben von Frauen auf dem Land studiert und Bäuerinnen zu ihrem Alltag auf Hof und Feld befragt. Ihr Buch “Frauen auf dem Land” wird im Standard wärmstens emphohlen. Sie wurde auch auf SWR4 interviewt

“Das Leben von Frauen auf dem Land war und ist vielschichtig, spannend, weit weg vom Klischee”, schreibt der Reutlinger Generalanzeiger über das Buch. Das Leben auf dem Land zwischen Melkschemel, Feldarbeit und Hühnerstall bot überraschende berufliche Perspektiven.

Annegret Braun ist übrigens selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen.

Wie ein Blick in das Buch verrät, haben wir es hier nicht mit einer traditionellen Monografie zu tun!

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Vergessene Vielfalt: Ethnologin studiert 70jährige Bäuerinnen in Bayern

“Globalisierung macht Hirtenkultur cool”

Widerlegen den Mythos vom “Zerfall der Grossfamilie”

Eineinhalb Jahre hat Ethnologin Annegret Braun Geschichte und Leben von Frauen auf dem Land studiert und Bäuerinnen zu ihrem Alltag auf Hof und Feld befragt. Ihr Buch "Frauen auf dem Land" wird im Standard wärmstens emphohlen. Sie wurde auch auf…

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