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Die gefährlichen (Mainstream-) Medien

Eine der wichtigsten Blogs ist Teilnehmende Medienbeobachtung. Regelmässig zeigen die Autorinnen und Autoren von der Uni Wien auf, wie Medien Vorurteile in der Bevölkerung verbreiten. Damit nicht genug. Viele ihrer Blogbeiträge sind zuvor bereits als Leserbrief in der jeweiligen Redaktion gelandet.

Persönlich bin ich mehr und mehr zur Überzeugung gekommen, dass Mainstreammedien eine der grössten Bedrohungen für Demokratie und friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten darstellen. Einen grossen Eindruck hinterliessen bei mir die Forschungen von Sharam Alghasi und Elisabeth Eide.

Ein neueres Beispiel sind die Berichte über “muslim rage”, also über die Proteste gegen den Anti-Islam Film eines Rechtsextremisten.

Es war überall nur eine bedeutungslose Minderheit – in der 20 Millionenstadt Kairo keine 200 Leute, die Steine wurfen. Und denen ging es nicht nur um Religion.

Laut den Mainstream-Medien war jedoch die gesamte “islamische Welt” im Aufruhr. Die Mainstreammedien taten ihr Bestes, die gesamte Religion Islam mit allen Gläubigen als gewalttätige Extremisten zu verurteilen.

Über den Rechtsextremismus des Filmemachers redete dagegen kaum jemand.

Und die friedlichen Proteste, an denen viel mehr Leute teilnahmen (auch Christen) bekamen kaum Aufmerksamkeit. Für die Proteste mehrerer christlicher Bewegungen in Kairo gegen den Film interessierte sich auch kaum jemand. Dies obwohl die Proteste der Christen, so Bloggerin Zeinobia auf Egyptian Chronicles, viel wichtiger gewesen seien als alle die anderen. Die ägyptische orthodoxe Kirche in Alexandria, so Zeinobia weiter, war einer der ersten Institutionen, die den Film verurteilten.

Sind nicht die Journalisten, die solche Feindbilder über Muslime und diese Region verbreiten, schlimmer als die Steinewerfer, frage ich mich.

Denn, so schreibt Ingrid Thurner in ihrem Beitrag Unsere Mitschuld an den Krawallen:

Hierzulande ist es keine Minderheit, die zündelt, sondern mächtige Medien, die Hunderttausende erreichen, und täglich wird noch ein wenig zugelegt. Was bedeutet es für den sozialen Frieden im Lande, wenn die muslimische Bevölkerung regelmäßig in den Zeitungen liest, wie gewalttätig ihre Religion sei? Was bedeutet es für Gläubige, wenn das Recht eingefordert wird, sie und ihre Religion im Namen der Meinungsfreiheit beleidigen zu dürfen?

Zum Glück sind Islamverbände sensibler als manche Kommentare. Sie distanzierten sich und verurteilten die Gewaltakte, ebenso wie viele Politiker der Länder, in denen sie geschahen.

Bei den Protesten gegen Mohamed-Karikaturen, die ein französisches Blatt veröffentlichte, tauchten in Kairo nur 20 Leute auf, schreibt taz-Korrespondent Karim El-Gawhary in einem seiner stets wohltuend anders geschriebenen Texte. Die Einwohner Kairos verbrachten den Freitag lieber im Zoo:

Gleich neben der französischen Botschaft in Kairo befindet sich der gut besuchte Zoo. Gut hundert Schaulustige haben sich am Zaun versammelt, um die 20 Demonstranten zu beobachten. Einer der Schaulustigen meint: „Ich weiß nicht, was exotischer ist, die Tiere im Gehege oder die Demonstranten und die Kameramänner vor der Botschaft.“ Zumindest im Moment hat er beschlossen, den Tieren den Rücken zu kehren.

In einem früheren Beitrag auf Teilnehmende Medienbeobachtung thematisiert Ingrid Thurner eine andere Verallgemeinung: In “Neigen Österreicher eher zu Gewalt?” schreibt sie:

Sehr geehrter Herr Baltaci, sehr geehrte Redaktion,

ein einzelner Türke verübt eine Gräueltat, und die Presse fragt am 26. 5. 2012 “Neigen Türken eher zu Gewalt?”

Kann man von einem einzelnen Mann, der ausrastet, gleich Rückschlüsse ziehen auf alle Personen mit gleicher Nationalität, in diesem Falle gegen 75 Millionen Menschen? (…) Wieso kommt in Fällen, in denen österreichische Männer gewalttätig werden – und davon gab es in den letzten Jahren genug –, niemand auf die Idee zu fragen: „Neigen Österreicher eher zu Gewalt?“

Von Ingrid Thurner ist im vergangenen Jahr ein Text zum Thema Hassposten in Online-Foren. Diskursmuster und Diskursstrategien bei Islamthemen erschienen (leider nicht online). Zum Thema sind von ihr u.a. die Zeitungsbeiträge Alles ist erlaubt? Über das Hass-Posten (Die Presse, 25.11.2010) und Echtnamen schützen vor Bosheit nicht. Ein Plädoyer für die Beibehaltung der Anonymität in Internetforen (Der Standard, 23.8.2011) erschienen.

Für mehr Medienkritik siehe den Blog anders deutsch von Urmila Goel.

SIEHE AUCH:

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"Gewalt gehört zu Indien wie ein gut gewürztes Currygericht" – Ethnologe kritisiert SZ

Die "negroiden Lippen Obamas" – Ethnologe reagiert auf Rassismus in der Abendzeitung

In Norwegian TV: Indian tribe paid to go naked to appear more primitive

Why anthropologists should study news media

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So hat Globalisierung unseren Mittagstisch verändert


Globalisierung: Was wäre Italien ohne Tomaten? Foto: Darwin Bell, flickr

Zerstört die Globalisierung unsere lokale Küche? Immer wieder kommt diese Frage auf. In einem Interview mit Spiegel Online erinnert Ethnologe Marin Trenk daran, dass die Globalisierung unserer Küche bereits vor mindestens 500 Jahren begonnen hat:

Kolumbus löste 1492 die erste von drei kulinarischen Globalisierungswellen aus, den zweiten Schub sehe ich in den kolonialen Begegnungen. Wir leben in der letzten Welle, die sehr intensiv und beschleunigt verläuft. Aber die Veränderung, die Kolumbus auslöste, war kulinarisch die größte Zäsur in der Weltgeschichte.

Die Anbaufrüchte der neuen Welt veränderten die regionalen Küchen der alten Welt vollständig: Was wäre Südostasien ohne Chili? Italien ohne Tomate, Ungarn ohne Paprika? Nach 1492 sah keine Küche der Welt mehr so aus wie davor. Nach Kolumbus haben sich etwa Kartoffel, Chili, Tomate oder Mais sehr erfolgreich durchgesetzt. Bemerkenswert ist aber, dass keine kompletten Gerichte gereist sind, sondern nur Rohprodukte.

Marin Trenk spricht auch von gegenwärtigen Trends in Deutschland. Japanisch ist in, ausserdem Fleisch “das nicht wie Fleisch schmeckt und auch nicht wie Fleisch aussieht”.

Der Forscher von der Uni Frankfurt arbeitet übrigens derzeit an einem Buch zur “Kulinarischen Ethnografie Thailands”.

>> zum Interview im Spiegel

Er hat früher auch über das Verhältnis nordamerikanischer Indianer zum Alkohol geforscht. In einem Paper (pdf) erklärt er, dass Betrunkensein als eine Art ist, mit der Welt der Geister zu kommunizieren.

SIEHE AUCH:

Ernährung Identität Migration – Eine lange Diskussion im antropologi.info-Forum

Esskultur als Protest: Ethmundo über Ökodörfer und Müllwühler

Anthropologists find out why we (don’t) buy organic food

What anthropologists can do about the decline in world food supply

Globalisierung: Was wäre Italien ohne Tomaten? Foto: Darwin Bell, flickr

Zerstört die Globalisierung unsere lokale Küche? Immer wieder kommt diese Frage auf. In einem Interview mit Spiegel Online erinnert Ethnologe Marin Trenk daran, dass die Globalisierung unserer Küche bereits vor mindestens…

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Interview: Auf Feldforschung unter deutschen Migranten in Sydney


Auswanderparadies Australien: Sydney Harbour Bridge. Foto: Christopher Chan, flickr

Nicht nur Menschen aus weniger reichen Ländern migrieren in die Ferne. In den vergangenen Jahre haben rekordviele Deutsche ihre Heimat hinter sich gelassen. Kulturanthropologe David Johannes Berchem war auf Feldforschung unter deutschen Migranten in Sydney.

Vor wenigen Wochen ist seine Dissertationsschrift Wanderer zwischen den Kulturen. Ethnizität deutscher Migranten in Australien zwischen Hybridität, Transkulturation und Identitätskohäsion in der Reihe “Kultur und soziale Praxis” des transcript Verlages erschienen.

Ich habe mich mit ihm via email unterhalten.

Wie geht es den Deutschen in Australien? Sind sie gut integriert? Wird “Deutschsein” wichtiger in der Fremde? Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse über die “Ethnizität deutscher Migranten”?

– Kürzlich stellte der Sydney Morning Herald die berechtigte Frage, ob die Hauptstadt von New South Wales eine Metropole der Enklaven sei. Prinzipiell scheint es auch in Sydney nicht außergewöhnlich, wenn zahlreiche Bewohner die Neigung entwickeln, in unmittelbarer Nähe zu ihren sozial, religiös oder ethnisch Gleichgesinnten zu leben. Formen von ethnischer Segregation bzw. nach außen hin isolierten Lebenswirklichkeiten in gated communities oder parallelgesellschaftlich konstruierten Stadtquartieren finden sich sowohl in westlichen Vororten wie Auburn oder Cabramatta als auch an den Northern Beaches.

– Beweise für ethnische Segregation unter deutschen Migranten gibt es jedoch nur ganz wenige. Die von mir untersuchten Wanderer zwischen den Kulturen sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Verständlicherweise leben in der Nähe der German International School Sydney vermehrt deutsche Migranten, die aufgrund ihres Anstellungsverhältnisses mehr oder minder temporär in Australien ihren Lebensmittelpunkt definieren.

– Der Erhalt der deutschen Muttersprache besitzt hier einen großen Stellenwert. Insbesondere bei den älteren Auswanderern, die nach dem Zweiten Weltkrieg und in den Jahren der verstärkten Anwerbung von Migranten aus Übersee nach Down Under kamen, spielen Institutionen wie deutsche Kirche, Concordia Club und andere ethnische Interessengemeinschaften eine zentrale Rolle, da diese Anlaufstellen Orientierung in der Fremde gewährleisten. Insbesondere an Heiligabend sind die Räumlichkeiten der Martin Luther Kirche in der Goulburn Street bzw. der Gnadenfrei-Kirche in Chester Hill dem Ansturm der Gottesdienstbesucher kaum gewachsen. Dies liest sich als identitätsstiftende Suche nach bekannten und heimatlichen Zufriedenheitsparametern in der Diaspora.

Fühlen sie sich die hauptsächlich als Deutsche und/oder Australier?

– Deutsche Migranten führen ein Leben in-between. Die Wanderer zwischen den Kulturen sind aufgrund ihres bewegten Daseins alltäglich mit dem liminalen Überschreiten von räumlichen, kulturellen und sozialen Barrieren, Übergängen und Schwellen konfrontiert. Dieser kulturelle Aushandlungsprozess vollzieht sich nicht nach den kategorischen Prämissen eines „Entweder-oder“. Vielmehr lässt sich hier die Tendenz eines „Sowohl-als-auch“ erkennen.

Warum finden Sie das Thema wichtig?

– Das ferne Australien weckte mein Interesse deshalb, weil das Land aufgrund der Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwas vollbracht hat, was man durchaus als multikulturelle Revolution bezeichnen könnte. Unter Multikultureller Revolution verstehe ich sowohl die Abwendung von der auf rassistischen Motiven aufbauenden Ausgrenzungspolitik der White Australia Policy als auch die im Zuge der Einwanderungswellen vollzogene Inauguration und Konsolidierung des ethnischen Pluralismus.

– Zudem finde ich persönlich, dass kulturanalytische Untersuchungen zu Themenfeldern wie etwa diasporische Alltagswirklichkeiten, identitäre Prozessse des placemaking und ethnische Selbstverortungen im Zeitalter der transnationalen Mobilitätsbeschleunigung stets ein ethnografisch generiertes Fundament besitzen sollten.

– In der Forschungsgeschichte der Europäischen Ethnologie/Kulturanthropologie gibt es mehrere Untersuchungen, die sich mit alltagskulturellen Phänomenen von im Ausland lebenden Deutschen beschäftigten. Zu nennen sind die Arbeiten von Peter Assion, Brigitta Schmidt-Lauber, Brigitte Bönisch-Brednich und Florian von Dobeneck. Für den Ballungsraum an der Botany Bay versucht meine empirische Studie neue Aufschlüsse zu präsentieren.


David Johannes Berchem in Sydney. Foto: privat

Viele deutsche Migranten sehen Australien als Paradiesland, schreiben Sie. Diese Einschätzung teilen sie mit Migranten aus ärmeren Ländern?

– Das Sehnsuchtsbild vom Paradiesland Australien, in dem vorgeblich Milch und Honig fließen, können wir schon bei den europäischen Elendsauswanderern des 19. Jahrhunderts finden, die sich aufgrund von Mangelwirtschaft, menschenunwürdigen Lebensbedingungen und Verarmutung nach einem Leben in besseren Verhältnissen sehnten. Heute werden uns diese zwischen Realität und Fiktion anzusiedelnden Assoziationen von den paradiesischen Gegebenheiten in erster Linie in Fernsehformaten wie „Goodbye Germany! Die Auswanderer“ präsentiert.

Lampedusa, Christmas Island oder das Ashmore Reef stellen für zahlreiche „illegale“ Immigranten mit Hoffnungen und Sehnsüchten versehene Lokalitäten dar, deren Erreichen ein zukunftsfähiges Leben abseits von religiöser Verfolgung, Folter und Despotismus verspricht. Zur Absicherung der Außengrenzen sowie zur Konsolidierung der vermeintlichen Wertegemeinschaft wurden an diesen Orten mehr oder weniger effektiv arbeitende Grenzregimes und Zugangsbarrieren installiert. Diese zumeist militärisch gestützten Praxisformen des Migrationsmanagements tragen für die Exklusion von “unerwünschten” Migranten Verantwortung. Hierdurch bleibt für viele Migrationswillige der Wunsch von einem Leben im Paradiesland ausschließlich ein Konstrukt der Imagination.

Ist Ihre Studie relevant für die sogenannte “Zuwanderungsdebatte” in Deutschland / Europa? Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen deutschen Migranten und Zuwanderern in Deutschland?

– In der Nachkriegszeit entschied sich Australien in Anbetracht der geringen Bevölkerungszahlen und der eher schlechten wirtschaftlichen wie organisatorischen Voraussetzungen für ein großangelegtes Anwerbungsprogramm mit dem Namen populate or perish. Einfache Arbeiter, Fachkräfte und anderer Mitglieder der reserve army of labour von Übersee sollten in den Jahren des rasanten ökonomischen Aufschwungs dabei helfen, das Land infrastrukturell zukunftsfähig zu machen. Der Bedarf an Arbeitskräften zur Erschließung der natürlichen Ressourcen war auch am anderen Ende der Welt hoch.

– Australien entschied sich jedoch nicht für das Prinzip der befristeten Aufenthaltsdauer der Immigranten, sondern suchte vor allem Menschen, die die australischen Staatsbürgerschaft annahmen und ihren Lebensmittelpunkt nach Down Under verlegten. Für bestimmte Posten auf dem Arbeitsmarkt – so berichteten mir zahlreiche Gewehrsleute – war die Annahme der australischen Staatsangehörigkeit ein unabdingbares Muss.

– Vielfach gab es bei der Integration zahlreiche Versäumnisse, Missverständnisse und nicht berücksichtigte Möglichkeiten, da die auf Assimilation der Neuankömmlinge an die anglophone Leitkultur abzielende Identitätspolitik im mit nach Australien transportierten kulturellen Gepäck der Migranten eine Gefahr für die imagined community sah. Folglich fanden sich Migranten zunächst in prekären Arbeitsverhältnissen wieder, in denen sie körperlich anspruchsvolle und niedrig entlohnte Tätigkeiten in abgelegenen Gebieten verrichten mussten, obwohl ihnen angesichts ihrer aus Europa mitgebrachten Qualifikationen aussichtsreiche Positionen zugestanden hätten. Soziale Aufwärtsmobilität stand bei den damaligen Integrationsbeauftragten nicht auf der Agenda.

– Die unzureichenden Kenntnisse der Landesprache sowie die soziale Isolation in ruralen Gebieten mit nur geringem Kontakt zur australischen Mehrheitsgesellschaft beförderten nachweislich die Herausbildung von ethnischen Zusammenschlüssen. Dies änderte sich erst langsam mit der Ausrichtung hin zu einer multikulturellen Gesellschaftsform, die sich eine ganzheitliche Teilnahme aller in Australien lebenden Menschen an den sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Institutionen auf die Fahnen schrieb.

Was Sie eben sagten bezieht sich auf die deutschen Migranten in Sydney?

– Ja. Wobei dazu gesagt werden muss, dass die während der Anwerbungsjahre nach Australien migrierten Menschen aus Europa angesichts der gesellschaftspolitischen Zugangsbarrieren größtenteils zu ethnischen Mobilisierungen bzw. zur Fetischisierung ihres kulturellen Erbes in ethnischen communities tendierten. Unfreiwillig gefördert wurde dieser mehr oder minder beabsichtigte Prozess der Selbsteingliederung durch das von australischer Seite zur Anwendung gebrachte migrationspolitische Konzept der Assimilation. Es wurde von den damaligen Beauftragten für Immigration angenommen, dass sich die Neuankömmlinge schnellstmöglich ihrer kulturellen Haut entledigen würden, um zu gut integrierten Australiern zu werden. Jedoch waren diese Vorsätze zum Scheitern verurteilt.

– Zur deutschen Einwanderungsgesellschaft und deren Debatte um Immigration, die ebenfalls umfassende Bestrebungen verfolgt, Menschen mit Migrationshintergrund in assimilatorischer Manier an den deutschen Normalbetrieb heranzuführen, lassen sich somit zahlreiche konvergente Verbindungslinien herstellen.

Sie haben nicht nur neuere Migration nach Australien untersucht. Ihre Erzählung beginnt bereits 1788. Welche neuen Erkenntnisse ergeben sich aus solch einer historischen Perspektive?

– Ich fand es wichtig, sowohl die im Mittelpunkt meiner empirischen Studie stehenden Migrationsdynamiken als auch die Narrative zur Ethnizität deutscher Auswanderer stets vor dem Hintergrund ihrer historischen Dimensionalität nachvollziehbar zu machen. James Cook besaß bei seiner zweiten Weltreise mit Johann Reinhold und Georg Forster zwei deutsche Weggefährten, die ihm bei der Suche nach der terra australis incognita behilflich sein sollten. Spiegeln wir die Wanderungsgeschichte der Deutschen an den relevanten Zeithorizonten, so wird ersichtlich, dass jene Menschen als Entdeckungsreisende, freie Siedler, koloniale Expeditionsleiter, Goldgräber und Religionsflüchtlinge maßgeblich zum Aufstieg der Kolonien beigetragen haben.

– Auch wenn in den Kapiteln zur Geschichte der deutschen Auswanderung nach Australien nur geringfügig neue Aufschlüsse präsentiert werden, war es mir ein Anliegen, strukturelle Generallinien zu destillieren, die in der Menge der Sekundärliteratur zu diesem Thema in der Form nur sehr eingeschränkt zu eruieren sind. In den historischen Kapiteln verfolgte ich die Ambition, ein dynamisches Geschichtsbild zu zeichnen. Es ging mir um die kursorische Präsentation des kulturellen Erbes der deutschen Immigranten, ohne das die gegenwärtigen Verhältnisse nur sehr eingeschränkt verständlich wären.

Auf welche Herausforderungen sind Sie bei der Feldforschung gestossen?

– Im Gegensatz zur Sozial- und Kulturanthropologie gilt die stationäre, zeit- und erfahrungsintensive Feldforschung an den (fernen) Lokalitäten in der Disziplin der Europäischen Ethnologie bzw. in der „alten“ Volkskunde nicht als Selbstverständlichkeit. Dominierend waren hier lange Zeit Untersuchungen zu kulturellen Praxen mit einem regionalen oder lokalen Anstrich (bsp. Karnevalsumzüge, Schützenwesen, Küdinghovener Eierkrone etc.).

– Natürlich stellte es für mich eine ganz eigene Herausforderung dar, in einer graduell fremden Metropole jene methodischen Maxime umzusetzen, die uns Malinowski vorzeiten mit auf den Weg gegeben hat. Jedoch waren es in erster Linie jene Menschen, mit denen ich während meines mehrmonatigen Aufenthaltes in Sydney Zeit verbringen durfte, die maßgeblich die nicht vorhersehbare Eigendynamik meiner Untersuchung beeinflussten.

– Des Weiteren möchte ich die Wesenhaftigkeit der Feldforschung entmythologisieren. Die direkte Kulturerfahrung im Feld beschränkte sich keineswegs nur auf die teilnehmende Beobachtung, das Auffinden von gatekeepers oder die Konsolidierung von Informantennetzwerken. Feldforschung – so desillusionierend sich das jetzt auch anhören mag – war für mich vor allen Dingen Schreibtischarbeit. Die langatmige Verschriftung von Beobachtungsprotokollen und Interviews hat dies mehr als deutlich aufgezeigt.

Was (oder wer) hat Sie während Ihrer Forschung am meisten überrascht / beeindruckt?

– In der Vorbereitungsphase meiner Forschung diskutierten wir im Bonner Doktorandenkolloquium die Frage des Zugangs zum Untersuchungsfeld. Sollte ich zunächst bei der deutschen Zeitung „Die Woche in Australien“ zwecks der Herstellung persönlicher Kontakte ein die Studie initiierendes Praktikum machen? Oder doch direkt ins Feld und nur mit rudimentärem persönlichem Netzwerkwissen ausgestattet nach Sydney fliegen, um gänzlich unbelastet auf die Menschen zuzugehen, deren selbstverständliche und weniger hinterfragte Lebensgestaltung für mich von Interesse war.

– Die zweite Variante erwies sich als praktikabler. Bei diesem Vorhaben kam mir besonders die Gastfreundlichkeit sowie das von persönlichem Interesse an meinem Projekt gekennzeichnete Engagement der Migranten sehr entgegen. Diese Hilfsbereitschaft sowie der stets erkennbare Wille, dem zeitweiligen Besucher ihrer kulturellen Bedeutungslandschaften die Höhen und Tiefen ihrer Lebensgeschichte zu präsentieren, hat entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Ich bin mir bewusst, dass dieses durchweg positive Verhältnis zur Untersuchungsgruppe keine Selbstverständlichkeit darstellt.

Viel Platz räumen Sie der Fachkritik und einer Diskussion über die unterschiedlichen Benennungen des Fachs wie Volkskunde, Völkerkunde, Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie etc ein. Warum?

– Im seinem jüngsten Buch “Anthropology’s World. Life in a Twenty-First-Century Discipline” geht der schwedische Anthropologe Ulf Hannerz unter anderem der Frage nach, wie es um die öffentliche Außendarstellung unseres Faches bestellt ist. Das anthropology-bashing hat nicht nur in den Medien Konjunktur. In Deutschland gelten die Vertreter der Ethnowissenschafen als eine Zusammenkunft bunter Vögel, deren Hauptanliegen darin besteht, Bücher zu Themen zu veröffentlichen, die die Welt allem Anschein nach nicht braucht.

– Gerade weil ein diffuses Wissen über den Zuständigkeitsbereich existiert, waren hier einige mit grundlegender Bedeutung versehene Gedanken notwendig. Es ging mir um die plausible Darstellung der Grundüberzeugung, dass die Art und Weise der Fragestellung, das methodische Rüstzeug und die Wesensart der Ergebnispräsentation dem Fach einen unverwechselbaren Fingerabdruck verleiht. Wir besitzen eine genuine Expertise bei der Untersuchung von Kultur. Vor dem Hintergrund der machtpolitischen Verstrickungen der Volkskunde währen des Nationalsozialismus – auch und insbesondere bei Auftragsarbeiten zu Themen wie Vertreibung, Umsiedlung, Sprachinselforschung und Interethnik – durfte auch an dieser Stelle mit kritischen Worten nicht gespart werden.

Letzte Worte an die Leserinnen und Leser an den Bildschirmen?

– Deutschland oder Australien? Heimat oder Diaspora? Winterliche Schneelandschaften oder Bondi Beach? Bundesadler oder Känguru-Emu-Wappen im Pass? So lauten gegenwärtig die Fragen zahlreicher auswanderungsbegeisterter Menschen. Doch die Zeit der klaren Bekenntnisse war gestern. In der heutigen Multioptionsgesellschaft fallen die Identitäten der Verflüssigung anheim.

– Den Leserinnen und Leser an den Bildschirmen empfehle ich die Lektüre meines Buches deshalb, weil es auf der einen Seite die Geschichten und persönlichen Erfahrungen deutsche Migranten in ethnografisch dichter Weise zur Geltung bringt. Auf der anderen Seite zeichnet die Studie ein perspektivenreiches Porträt, in dessen Zentrum die kulturelle Komplexität von Migrationsdynamiken im Zeitalter der Globalisierung steht.

>> Information über das Buch beim transcript-Verlag

>> Einleitung des Buches (pdf)

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“Ausländerfreie” Schwimmbäder als Ideal?

“Inländer dürften noch in der Überzahl sein”
“Geringer Inländeranteil”
“Hauptsächlich Inländer”

Solche Angaben macht das Wiener Stadtmagazin Wien-konkret in seiner Übersicht über die Schwimmbäder der österreichischen Hauptstadt. Darauf weisst Ingrid Thurner in ihrem Beitrag Sind die Wiener Bäder fremdenfeindlich? auf dem Blog “Teilnehmende Medienbeobachtung” hin.

Die Wiener Anthropologin bittet “die Verantwortlichen der Gemeinde Wien, dafür zu sorgen, dass öffentliche Institutionen, die auch mit Steuergeldern erhalten werden, nicht mit diskriminierenden Inhalten beworben werden”.

Denn trotz mehrer Medienberichte hat Wien-konkret diese “diskriminierenden und ausgrenzenden Beschreibungen des Publikums einiger städtischer Bäder” nicht entfernt, sondern nur leicht abgeändert.

Das Online-Magazin hat auch eine eigene Seite über “Ausländer in Wien”. “Die Ausländerquote ist in Wien mit 20,5% (Stand September 2009) ziemlich hoch”, lesen wir da. Und “Viele Wienerinnen und Wiener haben Angst vor der Überfremdung Wiens.”

Dann folgt eine lange Reihe von Kommentaren, die man früher als rechtsextrem bezeichnet hätte.

Screenshot von wien-konkret.at

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Forschung indonesischer Ethnologiestudierender: Deutsche sind religiöser als erwartet

Schöne Geschichte im Spiegel über Ethnologiestudierende aus Indonesien, die in Deutschland forschen.

Sie fanden u.a. heraus, dass Deutsche religiöser sind als man oft meint. Den Begriff Religion haben sie weit ausgelegt – und das ist gut so. Religiösität fanden sie u.a. bei der Grünen Jugend und bei Veganern

Nach vier Wochen Forschung können die indonesischen Gäste das Vorurteil der Areligiosität der Deutschen nicht bestätigen. So fand Fitria, dass die Veganer durchaus missionarische Züge trugen und dass der Schutz der Umwelt für sie quasi-religiösen Charakter annimmt. Inda Marlina ging es bei ihrem Forschungsgegenstand, der Jugendorganisation der Partei die Grünen, ganz ähnlich. Der konsequente Umweltschutz und der Enthusiasmus der jungen Aktivisten sei beeindruckend. “Für sie ist es eine Art Religion. Sie wollen damit die Welt verändern,” sagt sie.

Die Forschung ist Teil eines Tandemprojektes zwischen der Uni Freiburg und der Gadjah-Mada-Universität im indonesischen Yogyakarta, über das ich früher schon einmal geschrieben habe.

Darin geht es u.a. darum das “schwere Erbe” der Ethnologie zu überwinden, wie Projektleiterin Judith Schlehe dem Spiegel gegenüber erklärt. Denn immer noch ist es oft so, dass Deutsche Indonesier erforschen, selten ist es umgekehrt. Und warum nicht zusammen forschen!

>> weiter im Spiegel

Übrigens: Der Spiegel-Artikel ist eine Kurzversion eines bereits ein Monat alten Artikels in der Jakarta Post, verfasst von derselben Autorin, Anett Keller.

Der kenianische Ethnologe Mwenda Ntarangwi hat das Fortwirken dieses Erbes in der amerikanischen Ethnologie in einem neuen Buch dokumentiert, das obligatorische Lektüre werden sollte, siehe früherer Beitrag How racist is American anthropology?

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