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Ethnologe Christoph Antweiler: Wie universell sind die Menschenrechte?

Heute wurde das 60jährige Jubiläum der Menschenrechtserklärung gefeiert. Das Deutschlandradio unterhält sich aus diesem Anlass mit dem Ethnologen Christoph Antweiler über die Universalität der Menschenrechte: Sind denn die Menschen überhaupt universell genug für universelle Rechte?

Antweiler hat letztes Jahr das Buch geschrieben Was ist den Menschen gemeinsam?: Über Kultur und Kulturen (siehe auch mein Interview mit ihm hier auf antropologi.info).

Im Gegensatz zu seinen amerikanischen Kollegen, die vor 60 Jahren sich gegen die Universalität aussprachen, hält Antweiler die Vorstellung, dass es einen Katalog von Rechten geben kann, der für alle Gegenden der Welt gilt, für eine “sehr gute” und “wichtige” Idee. Jedoch gebe es lokale Varianten der Rechte. Nicht alles liesse sich 1-1 übertragen. “Das Wichtigste ist”, sagt er, “dass man Universales und Relatives, Kulturrelatives, nicht gegeneinander ausspielt.”

Weiter sagt Antweiler:

Bestimmte Kernbestände der Moral gibt es durchaus kulturübergreifend. Aber erst mal muss man dagegen argumentieren gegen diese These, dass es in allen anderen Kulturen einfach völlig andere Moral gebe. Es ist erst mal so, die Idee der Menschenrechte ist vorwiegend im Westen geäußert worden. Sie ist aber absolut nicht rein westlich, schon 1948 in den Gremien saßen Vertreter nichtwestlicher Kulturen.

Zweitens, die Idee der Menschenrechte musste sich im Westen selber erst gegen extreme Widerstände langsam mit vielen Konflikten durchsetzen, was übrigens auch die Kirchen betrifft, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg langsam das wirklich anerkannt haben.

Andererseits, wenn man in andere Kulturen geht, zum Beispiel aktuell jetzt nach China, wo immer gesagt wird, dort gebe es nur so Kommunalorientierung gegen den Individualismus, das stimmt großenteils, aber auch nicht nur. Alle Traditionen, alle großen Traditionen und Religionen haben auch Gegenrichtungen, abweichende Richtungen. So gibt es zum Beispiel durchaus in chinesischen Traditionen, das kann man heute nachweisen, die Idee der individuellen Freiheit

>> zum Interview im Deutschlandradio

In der dänischen Wochenzeitung Weekendavisen (so etwas wie die Weltwoche oder Zeit) erschien vergangenen Freitag ein sehr spannender Text, der mit der weitverbreiteten Auffassung, die Menschenrechtserklärung widerspiegele “westliche Werte”, aufräumt. Als die Erklärung vor 60 Jahren unterschrieben wurde, waren die Menschenrechte alles andere als “westlich”, klärt das eher konservative Blatt auf. Mit den grössten Widerstand gegen die Erklärung kam von den westlichen Ländern, besonders von den USA.

So waren z.B. “muslimische Länder” (leider nicht näher spezifiziert) mehr interessiert daran, soziale Rechte (Recht auf Arbeit, Wohnung, Bildung, Gesundheit etc, Artikel 22-26) in die Erklärung einzubringen als die USA. Diese sozialen Rechte harmonierten mit der Soziallehre des Koran, kollidierten jedoch mit USAs kapitalistischem Ethos. Die Einführung dieser Rechte versuchte die USA zu bremsen. USA meinte, die Menschenrechte sollten sich auf Freiheitsrechte beschränken. Unterstützung bekamen die muslimischen Länder u.a. von sozialistischen Delegierten aus Lateinamerika und von der Sowjetunion.

USA war auch gegen den Artikel 16, wonach Frauen und Männer das Recht haben “ohne Beschränkung aufgrund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion” zu heiraten und eine Familie zu gründen. Dies war in den wenigsten Staaten der USA erlaubt, vor allem nicht in Süden. Erst ab 1967 durften Weisse und Schwarze überall in den USA heiraten. USA allierte sich in dieser Frage mit dem Apartheidstaat Südafrika.

Wenn die Erklärung nicht nur um Männer handelt, haben wir dies Weekendavisen zufolge nicht westlichen Feministen zu verdanken, sondern Frauen aus Lateinamerika und Asien (besonders aus Indien / Pakistan). Diese Frauen sorgten dafür, dass es nicht heisst “all men are created equal”, sondern “all human beings are created equal”.

Interessanterweise gab es auch viel Protest von Ethnologen gegen die Universalität der Menschenrechte. Sie verstanden die Erklärung als “westlichen Imperialismus”. In einem Protestschreiben argumentierte die American Anthropological Association dafür dass weltumspannende Standards auf dem Prinzip basieren sollten, dass der Mensch frei sei, wenn er so lebe wie seine Gesellschaft Freiheit definiere. Hier kann man sich fragen, wer Freiheit definiert: Herrscher, die Frauen steinigen oder die Demokratievorkämpfer im Land, die das Steinigen als Menschenrechtsverletzung ansehen.

Schliesslich sah keiner der UNO-Representanten, die die Erklärung formulierten (Delegierte aus Libanon und China waren entscheidend darin beteiligt), die Rechte als etwas Westliches an. Der Chinese Peng Chen Chang meinte z.B. dass der Konfuzianismus das eigentliche Fundament der Erklärung darstelle.

>> zum Text in Weekendavisen von Jesper Vind Jensen und Klaus Wivel (auf Dänisch)

Zum Thema “universelle Moral” habe ich mich mit dem norwegischen Philosophen Odin Lysaker unterhalten, siehe Does the answer exist in human nature?

SIEHE AUCH:

Mehr Fokus auf die Gemeinsamkeiten der Menschen! – Interview mit Christoph Antweiler

Ethnologen, raus aus der Kulturfalle!

Jack Goody: “The West has never been superior”

David Graeber: There never was a West! Democracy as Interstitial Cosmopolitanism

What holds humanity together? Keith Hart and Thomas Hylland Eriksen: This is 21st century anthropology

Heute wurde das 60jährige Jubiläum der Menschenrechtserklärung gefeiert. Das Deutschlandradio unterhält sich aus diesem Anlass mit dem Ethnologen Christoph Antweiler über die Universalität der Menschenrechte: Sind denn die Menschen überhaupt universell genug für universelle Rechte?

Antweiler hat letztes Jahr…

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Ethnologie zerstört Traditionen?

Viele indigene Gesellschaften interessieren sich für vergessene Traditionen. Dabei greifen sie gerne auf historische Aufzeichnungen von Ethnologen zurück. Doch das ist nicht unproblematisch, schreibt Ethnologe Karl-Heinz Kohl in einem Gastbeitrag im ORF.
 
Denn so “traditionell” wie man gerne meint, war ja das Leben in diesen Ethnographien auch nicht. “Entgegen einer in Europa früher weit verbreiteten Überzeugung”, erinnert Kohl, “waren auch indigene Gesellschaften schon immer historischen Änderungen überlegen, haben neue Institutionen und Gebräuche hervorgebracht und Innovationen von benachbarten Ethnien übernommen.

Der ethnologische Präsenz älterer Werke täuscht:

Zieht man also in Betracht, dass Traditionen ständig im Fluss bleiben müssen, um ihre gesellschaftlichen Funktionen zu erfüllen, dann gibt es für sie eigentlich keine größere Gefahr, als durch ihre Verschriftlichung ein und für alle Mal fixiert zu werden.

Das aber ist in vielen Fällen durch die Reisenden, Missionare und Wissenschaftler geschehen, die den historischen Zustand, in dem sie die entsprechenden Gesellschaften angetroffen haben, als deren scheinbar unveränderliche “Traditionen” festgeschrieben haben.

>> weiter beim ORF

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Der zweifelhafte Einfluss der Ethnologie

“Untouched” Amazone hosted large cities

The French, colonialism and the construction of “the other”

Reconstructing tribal history

How gaming wealth is reviving American Indian traditions

Viele indigene Gesellschaften interessieren sich für vergessene Traditionen. Dabei greifen sie gerne auf historische Aufzeichnungen von Ethnologen zurück. Doch das ist nicht unproblematisch, schreibt Ethnologe Karl-Heinz Kohl in einem Gastbeitrag im ORF.
 
Denn so "traditionell" wie man gerne meint, war…

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Zweisprachigkeit wird unterdrückt

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Ursprünglich wurde im äussersten Südwesten der Steiermark sowohl slowenisch wie deutsch gesprochent. Seit 150 Jahren allerdings wird die slowenische Sprache zunehmend verdrängt. Dies zeigt der Grazer Ethnologe Klaus-Jürgen Hermanik in seiner jüngsten Publikation auf, meldet der ORF.

“Man versteckte die slowenische Sprache in der Steiermark so gut, wie es nur geht”, schreibt er in seiner Monographie “Eine versteckte Minderheit. Mikrostudie über die Zweisprachigkeit in der steirischen Kleinregion Soboth”. Mittels Archivstudien und anonymisierter Interviews erforschte der Ethnologe diesen Prozess.

Die slowenischsprachige Minderheit wurden von der Mehrheitsgesellschaft massiv bedrängt. Zweisprachiger Schulunterricht war kein Thema. Und ein Gefühl des Wir-steirischen-Slowenen ist nicht aufgekommen”.

>> weiter beim ORF

>> Besprechung des Buches auf H-Soz-u-Kult

>> Klaus-Jürgen Hermanik: Die versteckte slowenischsprachige Minderheit in der Steiermark (Artikel in “Trans – Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften”)

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Dänen, Sorben, Rastafaris: Deutsche Minderheitenpolitik

Bilingualism and multiculturalism: New issue of Durham Anthropology Journal

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"Man versteckte die…

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Ethnologiestudenten erforschen KZ-Alltag

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Wie lebte man im KZ? Dieser Frage haben sich auch 15 Studenten des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien angenähert, melden oesterreichische Medien.

In einem dreisemestrigen Projekt konzipierten die Studenten für die Gedenkstätte im Konzentrationslager Dachau die Ausstellung “Zeit Raum Beziehung”, die bis zum 14. September im Wiener Volkskundemuseum zu sehen ist.

In der Ausstellung geht es vor allem um Beziehungen: um Freundschaften, um Kontakte zur Außenwelt – und vor allem um Beziehungen zu Dingen, die zu Erinnerungsstücken wurden. Texte erzählen von heimlichen, geschmuggelten Geschenken, einer Mundharmonika oder einer winzigen Statuette. Zu den Recherchen gehörten auch Interviews mit Zeitzeugen sowie mit deren Angehörigen.

>> Vienna Online: Leben in Dachau: “Zeit Raum Beziehung” im Volkskundemuseum

>> Der Standard: Ausstellung: Die Blechschüssel als “KZ-Lektion”

>> ORF: Alltag im Albtraum. Dachau-Ausstellung im Volkskundemuseum

>> Zeit Raum Beziehung: Webseite der Ausstellung

Uebrigens: Der ORF hat das Institut für Europäische Ethnologie ins Institut für österreichische Ethnologie umbenannt

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Neue Webseite zur Ethnologie im Nationalsozialismus

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Benin-Ausstellung: “Plötzlich sind die Europäer mal die Exoten”

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Die Wanderausstellung Benin – 600 Jahre höfische Kunst aus Nigeria ist nun in Berlin angekommen und ist von nun an im Ethnologischen Museum Dahlem zu sehen. Tagesspiegel-Autor Michael Zajonz findet, dass “wir Europäer” plötzlich mal die Exoten sind:

Wilde, langhaarige Kerle mit zotteligen Bärten, diese Portugiesen, die seit dem 15. Jahrhundert als Handelspartner und Waffenbrüder (Feuerwaffen!) des westafrikanischen Königreichs Benin in Erscheinung treten. Oder die englischen Kaufleute in ihren karierten Anzügen und Tropenhelmen, die sich vier Jahrhunderte später anschicken, die koloniale Ausbeutung des bis dahin unabhängigen, vom Sklavenhandel profitierenden Landes zu organisieren. Auch der Blick der Künstler aus Benin auf uns ist die Sicht aus einer elaborierten Kultur heraus auf das Fremde.

>> weiter im Tagesspiegel

Die Ausstellung ist umstritten. “Ein Großteil dieser Objekte wurde im Jahre 1897 aus Nigeria von den Briten nach einer Strafexpedition geraubt”, meinen Kritiker, siehe frueherer Bericht zur Ausstellung in Wien “Kunstraub aus Nigeria im Wiener Völkerkundemuseum zu besichtigen”

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Die Wanderausstellung Benin – 600 Jahre höfische Kunst aus Nigeria ist nun in Berlin angekommen und ist von nun an im Ethnologischen Museum Dahlem zu sehen. Tagesspiegel-Autor Michael Zajonz findet, dass "wir Europäer" plötzlich mal die Exoten sind:

Wilde, langhaarige…

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