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Werner Schiffauer: Wie gefährlich sind “Parallelgesellschaften”?

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Wie viel Zusammenhalt braucht eine Gesellschaft? Wie viel Segregation (v)erträgt sie? Bereits im letztem Jahr ist Werner Schiffauers Buch “Parallelgesellschaften” herausgekommen. Erst jetzt wurde es in einer Zeitung, dem Standard, besprochen.

In diesem Buch zeigt der Ethnologe dass das Beharren auf die Notwendigkeit gemeinsamer Werte das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Ländern erschwert. Er weist nach, dass gesellschaftliche Solidarität auch entstehen kann, wenn es grosse kulturelle Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft gibt. Notwendig ist ein Klima, das kulturellen Austausch fördert.

Die Besprechung im Standard ist allerdings allzu kurz. Bessere Arbeit hat Süleyman Gögercin auf socialnet.de geleistet. Der Pädagogik-Professor aus Villingen-Schwenningen geht das Buch Kapitel für Kapitel durch und stellt auch die drei Fallstudien, auf denen das Buch basiert, vor. “Ein Ehrdelikt – Zum Wertewandel bei türkischen Einwanderern”, “Die islamischen Gemeinden in der »Parallelgesellschaft«”, und “Großstädtische Identifikationen”.

Gögercin zufolge räumt Schiffauer mit vielen gängigen Vorstellungen auf, z.B. dass islamische Gemeinden Integration verhindern. Schiffauer zeigt auch, dass man sich nicht deutsch fühlen muss, um integriert zu sein. Auch wenn sich gewisse Nachkommen von Einwandern (“2. und 3. Generation der Migranten” – sind ja eigentlich keine Migranten) nur wenig mit Deutschland identifizieren, so bejahen sie die Stadt, in der sie leben. Sie identifizieren sich mehr mit der Stadt als mit der Nation. “Ich bin ein Berliner”, sagen sie stolz.

So abgeschlossen und “modernisierungsresistent” wie es mange glauben, seien Stadtteile mit hohem Migrantenanteil nicht. Es herrscht eine grosse Vielfalt, und “Parallelgesellschaften” stellten sie nicht dar.

Eine kulturell integrierte Gesellschaft, so Schiffauer, zeichnet sich nicht dadurch aus, dass alle Einwohner sich zu den gleichen Werten bekennen. Wichtiger sei, “dass es fließende Übergänge, Überkreuzungen und Überschneidungen”, also eine kulturelle Vernetzung, gäbe. Deshalb brauchen wir “eine kluge Politik der Differenz”.

“Eine Politik, der an gesellschaftlichem Zusammenhalt liegt, wird einen offenen Austausch mit allen Gruppierungen anstreben, die innerhalb der Gesetzesordnung agieren und sie darüber kommunikativ einbinden.” (S. 123) Diese “Politik der Einbindung nutzt das Potenzial von pluralen kulturellen Zugehörigkeiten und Loyalitäten bei der Gruppe der ‚anderen Deutschen’ und vermeidet Eindeutigkeitszwänge.” (S. 125)

Das Beharren auf die Notwendigkeit einer “Leitkultur” und das ewige Gerede über “Parallelgesellschaften” verringere die Chancen solidarischen Zusammenlebens:

“Gerade wenn man den Gedanken teilt, dass Kultur eine wichtige Rolle für den Integrationsprozess und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielt, ist man gut beraten, den Gedanken der Leitkultur aufzugeben und ihn durch den Gedanken der kulturellen Vernetzung zu ersetzen, der in jeder Hinsicht einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft angemessener ist.” (S. 138)

>> Besprechung im Standard

>> Besprechung auf socialnet.de

Der Transkript-Verlag hat eine informative Seite über das Buch erstellt (inkl Mini-Interview). Auf Schiffauers Uni-Webseite kann man sich eine Unmenge von Texten von ihm herunterladen.

Schiffauer scheint übrigens auf alle meine Fragen zu antworten, die ich in meinem Text über die Leitkulturdebatte “Wieviel Zusammenhalt braucht eine Gesellschaft?” stelle

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Buchbesprechung: Unser merkwürdiger Umgang mit “Fremdem”

What holds humanity together? Keith Hart and Thomas Hylland Eriksen: This is 21st century anthropology

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Wie viel Zusammenhalt braucht eine Gesellschaft? Wie viel Segregation (v)erträgt sie? Bereits im letztem Jahr ist Werner Schiffauers Buch "Parallelgesellschaften" herausgekommen. Erst jetzt wurde es in einer Zeitung, dem Standard, besprochen.

In diesem Buch zeigt der Ethnologe dass das Beharren…

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– Ernährungsprogramme ignorieren die Unterschicht

Mit Programmen zur Bekämpfung von Übergewicht können viele Menschen nichts anfangen. Sie sprechen nämlich nur das Bildungsbürgertum an, meint der Sozialanthropologe Jörg Niewöhner, meldet die taz.

Der Ethnologe ist Mitarbeiter des Forschungsprogrammes Präventives Selbst an der Berliner Humboldt Universität.

Zur taz sagt er:

In unserem Forschungsprogramm des “Präventiven Selbst” stellen wir fest, dass das Leitbild, das hinter vielen Präventionsprogrammen steht, eins ist von einer Person, die eine bestimmte Fähigkeit hat, sich selbst zu beobachten, die sich disziplinieren kann, die finanzielle und intellektuelle Ressourcen hat.

Das ist ein bildungsbürgerliches Konzept, ein Mittelschichtsphänomen. Diese Ressourcen, dieses Bild trifft aber für viele Menschen außerhalb dieses Mittelschichtsegments gar nicht zu.

Man macht sich keine Vorstellung, dass viele Leute in einem anderen Milieu, einem anderen Setting leben. Da sieht der Alltag so anders aus, dass Gesundheit gar nicht die Rolle spielen kann. Es gibt einen Mismatch zwischen dem Wunsch, diese Leute zu disziplinieren und dem mangelnden Wissen darüber, was da zählt.

>> weiter in der taz

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Ethnologin: Was Kampfhunde mit Klassenkampf zu tun haben

Analysieren die »Wiederkehr der Klassengesellschaft«

Ethnographic study: Why the education system fails white working-class children

Mit Programmen zur Bekämpfung von Übergewicht können viele Menschen nichts anfangen. Sie sprechen nämlich nur das Bildungsbürgertum an, meint der Sozialanthropologe Jörg Niewöhner, meldet die taz.

Der Ethnologe ist Mitarbeiter des Forschungsprogrammes Präventives Selbst an der Berliner Humboldt Universität.

Zur taz sagt…

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Bilderbuch-Ethnologe ueber gebratene Papageien, Zauber und Sex im Dschungel

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Drei Jahre hat er bei den Lacandón-Indianern im suedmexikanischen Dschungel gelebt und gilt nun als Expert in Sachen Ethnomedizin und Schamanismus. Das Hamburger Morgenblatt hat anlaesslich seines soeben erschienenes Buch “Vom Forscher, der auszog, das Zaubern zu lernen” mit dem Ethnologen Christian Rätsch gesprochen.

Christian Rätsch scheint den typischen Ethnologen im Auge von Nicht-Ethnologen zu verkoerpern: “Gebratene Papageien, Zauber und Sex in der Holzhütte” titelt das Abendblatt. Er ist fasziniert vom “Anderen”, “Exotischem” und kritisch gegenueber “der Zivilisation”. Wie viele besonders deutsche Ethnologen scheint er von einem Hang zum Exotisieren zu leiden. Indianer scheint er einem Amazon-Kritiker zufolge gar als “edle Wilde” zu betrachten.

Solche Tendenzen kommen auch im Interview mit dem Abendblatt zu Tage. Er erzaehlt dass das Indianer-Dorf mittlerweile “durch eine Schotterpiste an die Zivilisation angebunden” sei und “einige Bewohner den Verlockungen der nahe gelegenen Städte erliegen” wuerden und “der Dorfgemeinschaft den Rücken kehren”.

>> zum Interview im Hamburger Morgenblatt

Christian Rätsch hat auch eine eigene Webseite http://www.christian-raetsch.de/ mit vielen Artikeln zur Ethnobotanik sowie mehrere Reiseberichte.

Es gibt auch ein humoristisches Interview mit ihm im ArturMag

AKTUALISIERUNG: Ein sehr schönes Interview hat Freya Morigerowsky mit Christian Rätsch auf ethmundo.de geführt (Link aktualisiert 21.9.15)

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“Wie findet man Naturvölker?”

Paternalistic anthropology in Papua New Guinea

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Journal Ethnologie 2/2007 ueber Medizinethnologie

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Drei Jahre hat er bei den Lacandón-Indianern im suedmexikanischen Dschungel gelebt und gilt nun als Expert in Sachen Ethnomedizin und Schamanismus. Das Hamburger Morgenblatt hat anlaesslich seines soeben erschienenes Buch "Vom Forscher, der auszog, das Zaubern zu lernen" mit dem…

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Neue Ethmundo über Verhexte, Besessene und einen deutschen Schamanen

"Beseelt und besessen – Konzeptionen von Geist und Psyche" heisst das Thema der sechsten Ausgabe des Magazines Ethmundo. Vier spannende neue Texte gibt es, besonders interessant finde ich die Reportage über den deutschen Schamanen:

>> Caro Kim: Reiki für…

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Ab Sommersemester 2008: Masterstudiengang in Medizinethnologie in Heidelberg

Health and Society in South Asia heisst ein neuer viersemestriger Masterstudiengang an der Uni Heidelberg, der sich mit Medizinethnologie in Kombination mit Südasienstudien beschäftigt:

Wie gehen die Menschen Südasiens (Indien, Pakistan, Bangladesh, Nepal, Sri Lanka) mit Gesundheit und Krankheit um? Auf welche Theorien gründen sich die indigenen Medizinsysteme Südasiens wie zum Beispiel Ayurveda, Siddha, Yoga oder Unani und wie werden sie praktiziert? Was sind heutzutage die wichtigsten und dringlichsten Gesundheitsprobleme in Südasien und wie reagieren die unterschiedlichen Gesundheitssysteme, die schulmedizinischen und die indigenen, darauf? Welchen Einfluss haben die Umweltveränderungen auf die medizinische Situation in Südasien? Solche und ähnlichen Fragen sollen in dem neuen Master of Health and Society in South Asia interdisziplinär untersucht werden.

Der Studiengang richtet sich u.a. an Studierende, die vorhaben, im Bereich der medizinischen Entwicklungshilfe zu arbeiten oder dort bereit Berufserfahrung gesammelt haben. Die Unterichtssprache ist Englisch. Man moechte auch südasiatische Studierende und andere internationale Studierende für diesen Studiengang gewinnen.

Um zugelassen zu werden ist jedoch ein mit “überdurchschnittlichem Erfolg erworbener Studienabschluss” in Ethnologie oder anderen relevanten Faechern erforderlich.

Anmeldeschluss ist der 15. Januar 2008.

>> Webseite des Studiengangs mit mehr Informationen

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Interview mit Verena Keck: “Ethnologen notwendig in der AIDS-Bekaempfung”

Bald kann man Ethnologie auch in Luzern studieren

Health and Society in South Asia heisst ein neuer viersemestriger Masterstudiengang an der Uni Heidelberg, der sich mit Medizinethnologie in Kombination mit Südasienstudien beschäftigt:

Wie gehen die Menschen Südasiens (Indien, Pakistan, Bangladesh, Nepal, Sri Lanka) mit Gesundheit und Krankheit um? Auf…

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