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"Aus der FTD vom 6.12.2004        www.ftd.de/heckel

Kolumne: Lieben Sie Deutschland?

Von Margaret Heckel

Deutschland sucht den Super-Patrioten. Der Wettlauf ist ziemlich albern - und ein Ablenkungsmanöver.

Darf ich Ihnen etwas gestehen? Ich finde die derzeitige Patriotismusdebatte außerordentlich ermüdend. Warum muss ich Deutschland lieben? Ich halte es da mit Ex-Bundespräsident Gustav Heinemann und seinem berühmten Spruch "Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau." Nun liebe ich zwar meinen Mann, aber das tut hier nicht wirklich viel zur Sache.

Dennoch, ich scheine zu einer immer kleiner werdenden Minderheit zu gehören. CDU-Chefin Angela Merkel liebt ihr Land. CSU-Boss Edmund Stoiber sowieso und schon immer. SPD-Generalsekretär Uwe Benneter hat bereits seine Landesliebe bekundet. Und nun auch noch Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Wahrer Patriotismus" sei, für sein Land, in dem er "am liebsten von allen lebe", hart zu arbeiten.

Leider hat es mit dem nahenden Weihnachten kaum etwas zu tun, dass wir in Deutschland derzeit so viel über Gefühle und Werte debattieren. Ganz grob vereinfacht stehen sich die beiden politischen Lager mit zwei konträren Botschaften gegenüber: Für Rot-Grün reichen die bislang durchgeführten Reformen aus und sollen nun - so die Hoffnung - in den nächsten beiden Jahren bis zur Bundestagswahl 2006 ihre Wirkung entfalten.

Für Schwarz-Gelb ist das alles viel zu wenig, es muss weiter reformiert werden. Nicht unbedingt eine Gewinnerbotschaft, vor allem, wenn es mit weiteren Zumutungen für den Bürger verbunden ist. Hier nun kommt das Patriotismus-Argument ins Spiel: Die Christdemokraten machen das alles nur, weil sie ihr Land lieben. Der CDU-Vize und niedersächsische Regierungschef Christian Wulff hat es sogar ausgesprochen. "Nur wer Deutschland liebt, ist wirklich motiviert und glaubwürdig, wenn er verspricht, mit aller Kraft seinem Land zu dienen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Prima Kitt für die Union

Hinzu kommt, dass Patriotismus ein prima Kitt ist, um die zerstrittene Union zusammenzuhalten. Also werden wir auf dem gerade in Düsseldorf stattfindenden CDU-Parteitag sehr viel Patriotisches hören. Das hat nun auch Merkel erkannt, die noch vor einigen Jahren die damals aufbrechende Leitkultur-Debatte schnell wieder abwürgte.

Insbesondere angesichts der neu aufgeflammten Multikulti-Gesellschaftsdiskussion bietet der Patriotismus-Wettlauf nun aber offensichtlich genug Ablenkungspotenzial von den eigentlichen Problemen: In der Union war Patriotismus schon immer Pflicht - egal, ob bei Wertkonservativen wie dem baden-württembergischen Noch-Regierungschef Erwin Teufel oder Ex-Jungen-Wilden und Andenpaktlern wie Roland Koch oder Peter Müller. Das Gleiche gilt für die ostdeutschen Ministerpräsidenten und die bayerische Schwesterpartei.

"Vaterlands-, Heimatliebe", so definiert Meyers großes Taschenlexikon von 1981 Patriotismus. Und warnt zugleich: "Die Wirkung des Patriotismus reicht von sozialer und politischer Integration in Notzeiten bis zur nationalen Überheblichkeit (Chauvinismus, Nationalismus), die irrationale Freund-Feind-Verhältnisse züchten kann". Warnendes Beispiel ist der deutsche Hurrapatriotismus der wilhelminischen Zeit.

Preis ist hoch

Nach allem, was wir in der deutschen Geschichte erlebt haben, kann Patriotismus zwar durchaus dazu dienen, ein Volk zu einen. Der Preis dafür war - und ist - aber immer der Ausschluss derer, die nicht zum Volk gehören. Er ist bei inzwischen sieben Millionen Ausländern in Deutschland viel zu hoch. Oder ist ein Mitbürger ohne deutschen Pass nur noch dann ein guter Mensch, wenn er oder sie bekennt, Deutschland zu lieben?

Etwas ganz anderes ist es, stolz auf Deutschland zu sein. Stolz bedingt vorherige Leistung, also tatsächlich Geschaffenes. Viel mehr aber sollte man den Deutschen und all denen, die hier leben wollen, nicht abverlangen. Es gibt viele gute Gründe, stolz auf Deutschland zu sein. Und es gibt sehr vieles hier, auf das man nicht stolz sein kann. Und das sollte dann geändert werden. Mit Reformen. Auch mit schmerzhaften.

Stolz können wir beispielsweise auf die deutsche Einheit sein: Wie gerade in der Ukraine zu besichtigen ist, taugt die friedliche Revolution der Ostdeutschen noch immer als eines der Vorbilder für Demokratiebewegungen weltweit. Stolz ist auch angebracht für die Tatsache, dass Deutschland noch immer eine Wirtschaftsmacht ist - eine der größten der Welt. Oder für das zunehmend weltweite Engagement deutscher Soldaten, beispielsweise in Afghanistan oder auf dem Balkan.

Nicht stolz hingegen kann es uns machen, dass jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlässt. Dass viel zu viele Migrantenkinder und ihre Mütter und Väter kein Deutsch sprechen, obwohl sie hier leben. Oder dass die Hürden am Arbeitsmarkt und in den Tarifverträgen noch immer so hoch sind, dass Hunderttausende Geringqualifizierte kaum Chancen auf eine feste Stelle haben.

Um dies zu ändern, mag es vielleicht hilfreich sein, sein Land zu lieben. Notwendig aber ist es nicht. Für fast alle Reformen reicht die Forderung, Chancengleichheit herzustellen. Was die Bürger dann daraus machen, sollte ihrer Eigenverantwortung überlassen bleiben. Wie auch die Frage, ob sie ihr Land lieben oder nicht.

© 2004 Financial Times Deutschland"
http://www.ftd.de/pw/de/1102146513569.html?nv=hpm





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