Gechlechterunterschiede bei div. Völkern

Anne, Dienstag, 10.01.2012, 13:36 (vor 4699 Tagen) @ Michele Camino

Hallo Michele, Du sprichst viele Sachen an, ich versuch mal Querbeet alles was mir dazu einfällt zu beantworten.

» Ist das Patriarchat (vor allem das Prinzip "der Stärkere kommt durch") (...)

ich vermute, der Satz Darwins "the survival of the fittest" wurde und wird aufgrund eines bestehenden patriarchialen Verständnisses immer wieder als "das Überleben des Stärkeren" fehlübersetzt. Argument dafür: die Benennung des Nomens als männlich, man(n!) hätte ja auch "das Überleben der Stärkeren" draus machen können. Ergo das Prinzip als Folge des Patriarchats, nicht als Ursache.

» Erfindung des Judentums, (...)

ich wage zu behaupten: unter Garantie nicht. Das Judentum (bzw. jede monothetische Religion, die einen männlichen Gott annimmt) wäre ohne längst bestehendes Patriarchat kaum entstanden. Hier also auch Folge des Patriarchiats, nicht Ursache. Selbst wenn man diese (oder das Christentum oder den Islam oder oder) als Ursache ansehen möchte, ist sicher nicht allein "das Judentum" für das Konzept verantwortlich. Wie kommst Du darauf> Wer behauptet das>

oder doch eher eine Entwicklung aus dem kalten und
» rauhen Norden, wo sich das männliche (dichter Bart etc.) vom weiblichen
» viel stärker unterscheidet,

Das tut es nicht. Du glaubst das nur ;) Und Vorsicht vor biologistischen Argumentationen: "Die Asiaten" sind nicht "weniger männlich", weil sie tatsächlich weniger Bartwuchs haben- so wie "die Schwarzen" nicht deswegen "weniger menschlich" sind, weil sie dunklere Haut haben. Soweit ich weiß haben wir zu 98& das gleiche Genom wie eine Kröte. Hautfarbe&Bartwuchs ist nicht notwendig "biologisch/genetisch/natürlich" eine "tatsächliche Differenz". (Und wo immer so argumentiert wird, kann man den Braunen die Hand reichen). Ich bin kein Biologe, aber Ursache ist zB für die Hautfarbe schlicht das (Jahrhunderte lange) Leben unter starker Sonne. Ergo würde sich die Hautfarbe (in Jahrhunderten) auch wieder ändern, so die "dunklen" in den Norden umsiedeln würden.
Ergebnis sämtlicher Genderstudies ist: die Kategorie "Geschlecht" ist immer konstruiert. In "Mann" und "Frau" einzuteilen ist völlig willkürlich. Nicht nur gibt es in anderen Gesellschaftsformen sehr wohl die Vorstellung, dass es nicht nur Mann und Frau, sondern auch ein "drittes Geschlecht" gibt (zB die Hidjras in Indien oder die Xanith in Oman- wohlgemerkt ein islamischer Staat!). Folge davon kann zB sein, dass das Konzept der Homosexualität sich auflöst. Denn wo ein "Xanith" mit einem Mann Sex hat, sind es eben nicht "zwei Männer", die miteinander Sex haben, sondern "ein Mann und ein Xanith". Genauso gibt es die Vorstellung, es gebe überhaupt nur ein einziges Geschlecht- und das war bei uns früher, vor über 100 Jahren, der Fall. Die eine Version sei eben nach außen gestülpt, die andere nach innen, das seien aber eben nicht zwei verschiedene Geschlechter. Geschlecht: immer kulturell konstruiert. Es gibt Vorstellungen von "es gibt nur ein Geschlecht" bis hin zu "es gibt total viele verschiedene Geschlechter". Also aufpassen, was man vielleicht unbemerkt eurozentrisch zugrunde legt!

als etwa in südostasien, wo man in vielen
» Fällen (natürlich abgesehen von den Operationen) eine grössere Ähnlichkeit
» zw. den Geschlechtern feststellen kann>

Da musst Du mal genau gucken, warum Dir das so vorkommt bzw. was da die größere Ähnlichkeit konstruiert. Genaueres weiß ich da nicht, nur fällt mir die Pornoindustrie ein, die sicherlich einiges dazu beigetragen hat, dass man in Europa das Gefühl hat, in Asien seien Geschlechter weniger heterogen. Da will ich nicht ins Detail gehen. Ich vermute aber, dass da (siehe Hidjras) auch Konzepte, die eben etwas anders sind als unsere, zugrundeliegen. Oder eben genau unser Konzept, dass jemand mit wenig Bart weniger männlich ist als jemand mit Bart ;)

könnte das auf ein viel länger
» bestehendes Matriarchat in tropischen Gefilden zurückzuführen sein

Hast Du dafür eine Quelle> Würde mich interessieren. Soweit ich weiß, gibt es hier und da Gesellschaften, die (auch, aber nicht nur) matriarchale Strukturen aufweisen, aber die sind nicht nur ziemlich klein, sondern lassen auch den Beweis von tatsächlich (früher) existierenden "wirklichen" Matriarchaten offen. Soweit ich weiß gibt es für "tatsächliche, reine" Matriarchate wenig bis keine Quellen.

(auf
» Grund von fehlender strikten Trennung zwischen den Berufen, sofern berufe
» überhaupt existierten, da man abgesehen vom reisanbau nur die Früchte von
» den Bäumen "fressen" braucht....)>

Es gibt in tropischen Gefilden keine Arbeitsteilung> Wage ich zu bezweifeln. Ich kenne mich in den Tropen nicht aus, aber zB im subsaharanischen Afrika bei den San siehts eher so aus: Die Auffassung der Umwelt und Natur als "im Überfluss gebend" hat nichts mit fehlender Arbeitsteilung zu tun. Im Gegenteil, alle Beispiele die mir bekannt sind betreiben trotz dieses "Lebens im Überfluss" dennoch sehr wohl Arbeitsteilung. Viele Sammler/Jäger leb(t)en so. Frauen ersammeln bis zu 80% der (pflanzlichen!) Nahrung, die Männer gehen Jagen. Was NICHT heißt, das Frauen NICHT jagen gehen, im Gegenteil, es gibt Berichte, wonach sogar schwangere Frauen genauso jagen wie Männer (und warum auch nicht). Dennoch: korrekt ist weder die Voranstellung der Begrifflichkeit "Jäger (und Sammler)", noch die Idee, Frauen würden nicht jagen. Hier vor allem: Nahrung im Überangebot hat nix mit Arbeitsteilung zu tun.


» Könnte es daher auch wahr sein, dass man etwa in Thailand das patriarchale
» Denken erst im 20.Jhdt vom "Westen" übernommen hat, da man sich um jeden
» Preis, ohne die nachteile des schonungslosen Kapitalismus zu kennen,
» anpassen wollte>

Niemals. Männer gibt es nun wirklich schon länger. :)
Scherz beiseite: Ich kenne mich in der thailändischen Lebensweise nicht genug aus, aber ich wage mal zu behaupten, dass nicht ganz Thailand bis ins 20.Jh hinein ein Matriarchat war (s.o.).


» Falls es dazu Forschungsergebnisse gibt, würde mich das sehr interessieren,
» dann bitte antworten!! :-)


Quellen> Check einfach mal Genderstudies. Da schmeißen sie Dich damit zu ;)
zB
Lenz/Luig 1995: Frauenmacht ohne Herrschaft. Geschlechtsverhältnisse in nichtpatriarchalen Gesellschaften.
Schröter 2002: FeMale. über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern.
Hauser-Schäublin/Röttger-Rössler 1998: Differenz und Geschlecht. Neue Ansätze in der Ethnologie.
Ortner, Sherry B., 1974: „Is Female to Male as Nature Is to Culture>“. In: Michelle, Rosaldo; Lamphere, Louise (Hg.): Woman, Culture and Society. Stanford, Cambridge: Stanfort University Press, 67-87.

So, dann viel Spaß beim Einarbeiten ;)

LG

Anne


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