Der Wert ethnologischer Krankenhausforschung
Wer ist krank? Wer ist gesund und “normal", wer ist “verrückt"? Wie kann man Menschen am besten heilen? In der neuesten Ausgabe von Ethmundo erfahren wir mehr über ethnologische Krankenhausforschung und “transkulturelle Psychiatrie".
In der Medizinethnologie wird seit einigen Jahrzehnten auch die “westliche” Medizin selbst, die sogenannte Biomedizin, erforscht, erklärt Nina Grube:
In der Ethnologie gehen wir davon aus, dass es keine kulturfreien Phänomene, Konzepte und Institutionen gibt. Auch die Biomedizin beruht auf bestimmten kulturellen Vorstellungen, wie dem Glauben an eine Trennung von Körper und Geist, der Annahme der Objektivität naturwissenschaftlicher Fakten oder der Vorstellung vom menschlichen Körper als einer Art Maschine, die man reparieren kann.
Ethnographische Untersuchungen von Krankenhäusern, so Grube weiter, fanden bis auf wenige Ausnahmen in der Sozialanthropologie lange Zeit kaum Beachtung. Es existieren grosse Forschungslücken - zum einen weil Krankenhäuser für manche Ethnologen nicht exotisch genug sind, zum anderen weil Krankenhäuser stark hierarchisch strukturierte und geschlossene Institutionen sind, die Forscher kaum oder nur unter großen Auflagen zulassen.
Sie schreibt über ihre jetzige Forschung in Berlin:
Für mich stand bei meiner Forschung besonders die Frage im Mittelpunkt, wie Mitarbeiter, Patienten und Angehörige mit kulturellen Differenzen in der Psychiatrie umgehen. Meine bisher ausgewerteten Ergebnisse legen in der Tendenz den Schluss nahe, dass diese Differenzen, entgegen meiner Annahmen, kaum eine Rolle spielen. Die Psychiatrie schafft hingegen selbst eine “klinische Kultur", versteht sich jedoch als kulturlos, wissenschaftlich-objektiv und universell.
Dieser Anspruch, kulturlos und universell zu sein, ist problematisch, meint Helene Basu. Sie bietet regelmässig Lehrveranstaltungen in Transkultureller Psychiatrie an der Uni Münster an. Die Medizinethnologie hinterfragt den alleinigen Gültigkeitsanspruch der Biomedizin und der Psychiatrie, erklärt sie:
Die Biomedizin erhebt den Anspruch, wissenschaftlich zu sein und rationale, wahre Erklärungsmodelle anzubieten, während alles, was davon abweicht, als Glaube betrachtet wird - im besten Falle Placebo und im schlimmsten Falle einfach abergläubisch und rückständig.
Da ist die Ethnologie sehr kritisch, wobei man nicht leugnen kann: Wenn man sich zum Beispiel ein Bein bricht, geht man eher ins Krankenhaus als zu einem Heiler. So sehen es durchaus auch viele Menschen in Indien. Medizinischer Pluralismus ermöglicht vielfältige Handlungsweisen. Eine Schwarz-Weiß-Sicht wäre da unangebracht.
Basus Forschung ist übrigens Teil eines Exzellenzclusters mit einem Titel, der eigentlich der einer Vergangenheit angehört, von der sich unser Fach distanziert: Religion and Politics in Pre-Modern and Modern Cultures.
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