Es ist erfreulich, dass Ethnologiestudierende in neuen Online-Initiativen unser Fach bekannter machen wollen. Doch welches Bild von Ethnologie und Gesellschaft vermitteln sie?
Bei der Lektuere von Ethnologik und Ethmundo kommen gelegentlich Fragen auf wie: Warum sind die "kulturell Fremden" immer nur Auslaender oder Schamanen in Sibirien und nicht auch weisse Konzernchefs oder protestantische Pfarrer? Wieso soll die Ethnologie nur die "westliche" Perspektive erweitern? Wie up-to-date ist ihr Ethnologie-Verstaendnis?
Warum z.B. werden Studien ueber Phaenomene in der Mehrheitsgesellschaft (oft ethnozentrisch als "eigene Gesellschaft" bezeichnet) immer noch als etwas Neues (und evtl Problematisches) dargestellt? Wieso kann man anno 2007 noch schreiben "Ethnien und deren Kultur sind bekanntermaßen der Forschungsschwerpunkt von Ethnologie-Studierenden"? Und wieso wird auf der neuen Webseite der AG Musikethnologie an der Uni Muenchen, folgende (ueberholte) Definition von Musikethnologie benutzt?
"Die Musikethnologie / Ethnomusicology beschäftigt sich mit Musik in fremden Kulturen. Die Musikethnologie wird definiert als "jene Wissenschaft, die die musikkulturalen Werte ethnischer Gruppen außerhalb oder in Bezug zur Kunstmusik untersucht..."
(siehe Diskussion auf ethno::log dazu).
Mechthild von Vacano hat einen schoenen Text geschrieben, in dem sie einen Ethnozentrismus in der Ethnologie aufzeigt, der leider zu wenig debattiert wird. Ihr Text "Ethnologie aus kritisch-weißer Perspektive" basiert auf einem Vortrag, den sie auf dem Ethnologischen Symposium der Studierenden 2006 "Wir und die anderen" gehalten hat.
Sie schreibt:
Die Ethnologie begreift sich nicht nur als Wissenschaft von dem „Anderen“, sondern traditionell damit gleichgesetzt als die Wissenschaft von außer-europäischen Gesellschaften oder in moderner Variation von (außer-europäischen) MigrantInnen oder Diaspora-Gruppen. Hier stellt sich die Frage: Was für ein Ethnologe oder was für eine Ethnologin wird mit dieser Selbstdefinition konstruiert? – ein(e) weiße(r).
(...)
Vor diesem Hintergrund möchte ich das Motto und Logo dieses Ethno-Symposiums problematisieren: Wer ist beim Motto „Wir und die anderen“ gemeint?
Eine solche Ethnologie leistet ihrem Fach (und der Gesellschaft) einen Baerendienst. Das Bild das wir von "den anderen" liefern ist einseitig und alles andere emisch "from the native's point of view".
Um diesen Mangel zu beseitigen muessen wir daher stets Weißsein als spezifische Daseinsform und soziale Praxis problematisieren (und untersuchen), schreibt sie.
Doch was ist (kritisches) Weißsein? Sollten wir nicht aufhoeren, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu definieren?
Mechthild von Vacano erklaert:
Die Nicht-Existenz von menschlichen biologischen „Rassen“ bedeutet keinesfalls, dass die biologistisch konstruierte Idee der „Rasse“ nicht bis heute gesellschaftliche Verhältnisse prägt: Auch wenn es keine „Rassen“ gibt, Rassimus gibt es sehr wohl. Vor diesem Hintergrund markiert weiß diejenige Machtposition, die von Rassimus (strukturell) profitiert.
(...)
Es geht um weiß als eine soziale Konstruktion, die sich auf rassierte Körperkonstruktionen, aber auch andere Merkmalkonstruktionen wie z.B. Name oder Akzent bezieht.
Es geht darum, Weissheit als Norm, als das "Normale" zu problematisieren. Warum sind "Schwarze" automatisch "die anderen"?
Eine weiße Position zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie „normalerweise“ keine explizit weiße Position, sondern unmarkiert ist. Schwarze Positionen hingegen werden ständig als das rassierte Andere thematisiert. So sind z.B. Opfer rassistischer Gewalt immer als Schwarz markiert, die TäterInnen jedoch nie als weiß.
Nicht nur gesellschaftlich ist weiß eine unmarkierte Position, vielmehr halten Weiße ihr Weißsein selbst für unsichtbar. Während Weiße mit aller Selbstverständlichkeit und wissenschaftlichen Legitimation „das Andere“ beobachten, reagieren sie mit empörter Verwunderung, wenn Schwarze Beobachtungen über Weiße anstellen, „da nur ein Subjekt beobachten kann“. Weiße Menschen beanspruchen diese Subjektposition als Teil ihres Selbstvertändnisses, während sie Schwarzen Personen die Objektposition der Beobachteten zuweisen. Schwarze Menschen als Subjekte passen nicht in ein solches weißes Weltbild und rufen bei Weißen Irritation und Abwehr hervor.
Mit der Nicht-Markierung funktioniert Weißsein im hegemonialen Diskurs als unbenannte Norm. Dabei wird Weißsein als Menschsein gesetzt. Die spezifisch weiße Position produziert sich als universelle Daseinsform, während das „Andere“ immer wieder das Partikulare darstellt. Weiße Menschen sind Menschen, während Schwarze Menschen Schwarze Menschen sind.
Sie bezieht sich hier auf ein Feld an Auseinandersetzungen, die akademisch unter dem Titel Kritische Weißseinsforschung bzw. Critical Whiteness geführt werden. "Dabei ist hervorzuheben, dass die kritische Auseinandersetzung mit der Kategorie weiß auf der Grundlage Schwarzer Kritik beruht", so die Ethnologin.
Ihr Text ist zu finden im Reader Reader - Ethno-Symposium 2006 auf Seite 80. Eine kuerzere Version hat sie bereits Ende November auf Ethmundo veroeffentlicht.
Urmila Goel hat viel zu diesem Thema auf ihrem Blog anders deutsch geschrieben. U.a. meint sie , dass die biologistische Kategorisierung von Menschen in 'Rassen' sich in anderen Begriffen wiederfindet, z.B. wie 'Kultur' oder 'Ethnie'. "Es bedarf also weiterer Anstrengungen, Rassismus zu bekämpfen", schreibt sie. Zu diesem Thema ist auf anders deutsch auch das Paper 'Andere Deutsche’ – Strategien des Umgangs mit Rassismuserfahrungen" von Mareile Paske zu finden (siehe auch Urmila Goels Publikationen).
Sehr informativ ist der Wikipedia-Eintrag ueber Weiss-Sein.
Weniger Ethnozentrismus und eine globalere Ethnologie ist ein wichtiges Ziel des World Anthropologies Network.
FRUEHER DAZU AUF ANTROPOLOGI.INFO:
Thesis: "Unlearning White Superiority. Consciousness-raising on an online Rastafari Reasoning Forum"
Fieldwork in Papua New Guinea: Who are the exotic others?
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