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Journal Ethnologie über Second Life und andere “digitale Welten”

“Aus sozialanthropologischer Perspektive ist das besondere an second life und anderen virtuellen Welten, dass sie uns gleichsam die geheimen Wünsche, die schönsten Erinnerungen der Menschheit an Landschaften, Räume und Situationen zeigen oder sagen wir eher, wie kleine Bühnenstücke mit ganz eigener Kulisse präsentieren”, schreibt Urte Undine Frömming. “Ebenso werden die dunklen oder verdrängten gesellschaftlichen Aspekte sichtbar.”

Das Schwerpunktthema der neuesten Ausgabe von Journal Ethnologie heisst “Digitale Welten”

Zu den Texten:

Urte Undine Frömming: A personal rainstorm in my Inventory
Über kulturelle Ursachen, Wirkungen und die sinnliche Wahrnehmung von second life und anderen virtuellen Welten – eine sozialanthropologische Analyse. Urte Undine Frömming hat mit ihrem Avatar eine teilnehmende Beobachtung in second life durchgeführt.

Mark Butler: Cyborg-Ethnographie. Zur Kultur des Computerspielens
“Was erleben die User von Computerspielen?” hat sich Mark Butler gefragt und Interviews mit Spielern geführt über deren Erleben in der realen und virtuellen Welt.

Patrick Neveling: Zur Stiftung sozialen Sinns (Online) und der Lackierung eines Doppeldeckerbusses (Offline)
Patrick Neveling zeigt uns, welche ganz praktische Rolle das Internet in der realen Welt beim Lackieren eines Vereinsbusses gespielt hat.

Werner Trieselmann: Die Überwindung des digitalen Grabens. Ein medienethnologischer Ansatz für marginalisierte Kids in Rio de Janeiro
Werner Trieselmann skizziert ein ethnologisches Forschungsprojekt in der realen Welt, bei dem es um die bewußte Einsetzung und Wirkung digitaler Möglichkeiten geht. Es geht um die Inszenierung von Fremdheit vor einer Filmkamera.

Thomas Becker: Matrix versus The Ghost in the Shell
Die neuen Mythen der virtuellen Welt sind nicht mehr allein diskursiv analysierbar. Ueber den virtuellen Bilderstrom als Mythos des Massenmarktes.

Doris Hallama: Sichere Alpen. Von Landschaftsbildern und verunsicherten Räumen
Doris Hallama weist er auf gesellschaftliche Veränderungen in unserem Verhältnis zur Natur hin, die ursächlich mit Erkenntnisprozessen zu tun haben, die durch die Existenz “Digitaler Welten” angestoßenen wurden.

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Now online: EASA-conference papers on media anthropology

Mehr Cyberanthropology bei Xirdalium

"Aus sozialanthropologischer Perspektive ist das besondere an second life und anderen virtuellen Welten, dass sie uns gleichsam die geheimen Wünsche, die schönsten Erinnerungen der Menschheit an Landschaften, Räume und Situationen zeigen oder sagen wir eher, wie kleine Bühnenstücke mit ganz…

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Feldforschung machte Ethnologin zum Filmstar

Das ist teilnahmende Beobachtung: Wenn man als Ethnologin ueber die Filmszene forscht, wird man schnell selber zu einer Schauspielerin. So erging es der Mainzer Ethnologin Claudia Böhme. Für ihre Doktorarbeit beobachtete sie die Film- und Videoszene Tansanias direkt vor Ort – und fand sich bald darauf vor der Kamera wieder. In dem Film “Welcome Back” spielte sie an der Seite von King Majuto, einem der beliebtesten Komödiendarsteller Tansanias, schreibt der Main-Rheiner.

Wir lesen:

“Die Arbeit war als teilnehmende Beobachtung konzipiert. Ich hatte zunächst eher an Kamerafrau oder sowas gedacht”, erklärt die unverhoffte Schauspielerin. Doch für die tansanischen Filmcrews war die weiße Frau tatsächlich etwas Besonderes. Über eine Schauspielgruppe kam sie in Kontakt mit der Szene. Es folgten zwei Gastauftritte in heimischen Fernsehserien.

Die Auftritte in den Seifenopern waren gewissermaßen der Durchbruch für die Schauspielkarriere. “Auf einmal war ich bekannt. Das war wie ein Türöffner”, erinnert sich Claudia Böhme. Es folgten tatsächlich viele weitere Angebote. “Die haben dort eigentlich keine weißen Darstellerinnen. Für die ist das eine echte Attraktion”, sagt die Ethnologin.

(…)

Veröffentlicht wurde der Film auf Video und DVD, die sich die Menschen oft gemeinsam in kleinen Videokinos, die es im ganzen Land gibt, anschauen. “Von da an wurde ich überall erkannt. Kleine Kinder haben mir auf der Straße Zitate aus dem Film zugerufen”, beschreibt die Nachwuchshoffnung des tansanischen Kinos den Starrummel.

>> weiter im Main-Rheiner

Claudia Böhme ist Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Populäre Kultur an der Schnittstelle des Globalen und Lokalen. Musik-, Bild- und Textproduktion in Ostafrika.

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Das ist teilnahmende Beobachtung: Wenn man als Ethnologin ueber die Filmszene forscht, wird man schnell selber zu einer Schauspielerin. So erging es der Mainzer Ethnologin Claudia Böhme. Für ihre Doktorarbeit beobachtete sie die Film- und Videoszene Tansanias direkt vor Ort…

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“Der geteilte Schmerz ist der Kern jener teilnehmenden Beobachtung”

Er lässt sich schlagen, beschneiden, bespucken und mit Exkrementen beschmieren. Um Gedanken und Gefühle der Einheimischen besser zu verstehen, ist ein echter Ethnologe zu fast allem bereit, schreibt Ethnologe Nigel Barley in der NZZ Folio zum Thema Schmerz.

Schmerz ist nicht nur etwas Negatives, zeigt er an mehreren Beispielen – das betrifft auch Ethnologen schreibt er in seinem bekannten humoristischen Stil:

Denn der geteilte Schmerz gilt als unschlagbarer Beweis für die Ernsthaftigkeit der ethnologischen Absicht, für Sympathie und Empathie mit den Gastgebern. Der geteilte Schmerz ist der Kern jener teilnehmenden Beobachtung, die gleichsam das einzige intellektuelle Kapital des forschenden Subjekts ausmacht.

(…)

Knaben wird bei der Erektion der Penis aufgeschnitten, damit er sich öffnet wie eine Blüte. Oder sie treiben sich Nadeln durch Nase und Zunge. Erwachsene Männer schlitzen sich ihre Genitalien mit Glasscherben auf. Mädchen wird die Klitoris abgeschnitten, ihre Lippen werden durchbohrt oder ihre Füsse gefesselt. Rücken und Gesichter und Bäuche werden mit stumpfen Nägeln gestochen, aufgeschlitzt, tätowiert. Leute werden entstellt und verstümmelt und verkrüppelt. Die menschliche Kultur ist voll von Schmerz. Zum Teil wird er sogar freiwillig erlitten. Denn Schmerz ist eine wichtige kulturelle Ressource.

Sogar wir Westler wachsen in einer Ökonomie des Schmerzes auf. Als Kind erklärte man mir, dass Christus auch für mich gelitten habe. Auch ich würde durch Leiden erlöst, und falls ich einmal zu leiden hätte, sollte ich ihm meinen Kummer und Schmerz darbringen.

Schmerz hat “spirituelle Funktionen”, deshalb haben vermutlich Reformer, die gegen die Brutalität schmerzhafter Rituale zu Felde ziehen, so wenig Erfolg, schreibt Barley.

>> zum Text in NZZ-Folio “Ein Schmerz und eine Seele”

Den Text gibts auch auf Englisch und der Uebersetzung vorzuziehen. Mir ist aufgefallen, dass im deutschen Text Begriffe vorkommen, die man nicht mehr in der Ethnologie benutzt – wie etwa “Naturvölker” oder “Stamm”. Dies liegt an der Uebersetzung. Bailey spricht nicht von “tribes”:

The words of an anthropologist describing his initiation into a men’s masking society in East Africa.

wird so uebersetzt:

Mit diesen Worten schildert ein Ethnologe seine Initiation in eine Maskengesellschaft der Männer in einem ostafrikanischen Stamm

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Schmerz ist nicht…

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Feldforschung am Tresen: Magisterarbeit über Münchens Bierstüberl

Nach einem Jahre Feldforschung in Münchner Bierstüberln war Johannes Lauer pleite. Daher hat es ihn besonders gefreut, dass er neulich den Hochschulförderpreis der Stadt München gewonnen hat. Jetzt.de – das Magazin der Sueddeutschen, hat den frischgebackenen Ethnologen interviewt ueber seine Magisterarbeit „Stüberl in München. Heimat – Entspannungsoase – Katzentisch? Teilnehmende Beobachtung im Münchner „Stüberl“.

Angefangen hat all das mit einem Feldforschungsseminar, lesen wir:

Da sollten die Studenten in München Orte suchen und auch aufsuchen, die ihnen fremd waren – „the alien next door“. Für manche Studenten war das der örtliche Tennisclub oder die Schwulen-Szene. Für Johannes und ein paar Kommilitonen waren es die Stüberl Münchens. Gemeinsam untersuchten sie zunächst ihre eigenen Vorurteile, Vorbehalte und Ängste, dann überwanden sie die und begaben sich an diese „fremden Orte“. Nach dem Seminar löste sich die Gruppe auf, doch Johannes Lauer blieb bei den Stüberln hängen.

Bei seiner Recherche hat Johannes Lauer Unmengen dieser Stüberl aufgesucht und sehr viel Bier getrunken und – diese Erfahrung haben sicher viele Feldforscher gemacht – seine anfängliche Angst hat er sich abgewöhnt. Die Angst und viele der Vorurteile, die er vorher hatte, stellt er fest, waren zum größten Teil unbegründet:

Stüberl sind von außen nicht einsehbar. Durch die Abschottung des Draußen entsteht im Inneren der Kneipe ein Rückzugsgebiet für die, die mit der Welt draußen, und sei es nur für ein paar Stunden, nichts zu tun haben wollen.

Stüberl sind, hat man sich erst einmal reingetraut, nicht halb so schlimm wie ihr Ruf. Es gibt Bier, eine robuste Schnaps-Auswahl und längst vergessen geglaubte Mixgetränke wie Rüscherl oder Whiskey-Cola. Man geht ausgesprochen familiär miteinander um, und wenn ein Gast eine halbe Stunde dort verbracht hat, kennt er vermutlich alle anderen Anwesenden mit Namen. Denn im Stüberl wird, im Gegensatz zu den sonst üblichen Kneipen-Regeln, der Kontakt gesucht.

Doch diese Stüberl, hat Johannes Lauer festgestellt, sind eine bedrohte Art:

Wenn das Stüberl-Sterben noch nicht begonnen hat, so kündigt es sich zumindest an. Das haben ihm auch viele Gäste und Wirte bestätigt. Es gibt keinen Nachwuchs. Es gibt immer weniger Arbeiter, aus ehemaligen Arbeiter-Vierteln werden teure Wohnlagen und die Mieten gehen entsprechend hoch. Die Stüberl leben fast ausschließlich von der Stammkundschaft, die nachziehenden Bewohner dagegen wandern von einer Kneipe, die momentan in ist, zur nächsten. Die Nähe, die in einem Stüberl entsteht, ist ebenfalls nicht jedermanns Geschmack. Man redet miteinander, jeder weiß vom Leben des anderen und passt auch aufeinander auf. Da lässt sich schwer an der eigenen Legendenbildung basteln oder eine coole Fassade aufbauen.

>> weiter beim Magazin Jetzt.de

>> isarplatz.de: Stadt vergibt LMU-Preis für Arbeit über “Stüberln in München”

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Anthropologist gets paid for hanging out in bars

The Anthropologist as Barman

Drinking Cultures – Anthropology of Food

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Fremde Feinde: Von Ethnologen und ihren Informanten

“Selten wird so frank und frei über persönliche Erlebnisse mit Informanten und Nachbarn berichtet”, schwaermt Achim Sibeth in seiner Besprechung des Buches “Fremde Freunde. Gewährleute in der Ethnologie”. Hier erzählen Ethnologen von Erfolg und Misserfolg bei der Kontaktaufnahme mit Informanten in Indonesien, Burkina Faso, Kuba, Indien, Nepal und auf den Philippinen.

>> weiter im Journal Ethnologie

Bereits vor einem knappen Jahr wurde das Buch im Deutschlandfunk besprochen. Da erfahren wir konkreteres. Zum Beispiel ueber Verwirrungen und Missverstaendnisse im Feld, und ueber Tabus. Es ist z.B. nicht ratsam, Viehhirten in mehreren afrikanischen Gesellschaften zu fragen, wie viel Stück Vieh sie besässen:

Die Frage, wie viel Stück Vieh die Familie besäße, erscheint uns harmlos. In der Kultur der Ovambo aber – und vieler afrikanischer Völker – berührt die Frage ein Tabu. Manchmal schließen sich dann die Türen für Besucher aus dem Norden.

(Ich nehme an, hiesige Informanten wuerden aehnlich reagieren, wenn ein Ethnologen sie fragen wuerde, wieviel Geld sie beseassen).

Romana Büchel und Susanne Loosli die Tücken berichten von der Herzlichkeit, mit der sie in Indonesien aufgenommen wurden:

Als “teilnehmende Beobachterinnen” sind die beiden Schweizerinnen fest verankert im Alltag ihrer Gewährsfrau. Sie helfen der alten Frau (Mia) im Haus und hacken auf ihren Feldern.

“Überraschend erklärt Mia, dass das von mir bearbeitete Feld fortan mir gehören werde. Ich wehre entsetzt ab. Erst nach und nach, als ich (…) vom Verlust der drei Töchter erfahre, realisiere ich die Botschaft, welche hinter ihrer symbolischen Vererbung des Landstückes steckt: Mia hat in uns ihre drei verlorenen Töchter wieder gefunden.”

Noch mit 33 Jahren adoptiert, wieder Kind zu werden, stürzt Romana Büchel ein Dilemma.

>> weiter beim Deutschlandfunk

"Selten wird so frank und frei über persönliche Erlebnisse mit Informanten und Nachbarn berichtet", schwaermt Achim Sibeth in seiner Besprechung des Buches "Fremde Freunde. Gewährleute in der Ethnologie". Hier erzählen Ethnologen von Erfolg und Misserfolg bei der Kontaktaufnahme mit…

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