Ethnologe: “Ethnien und Religion sind keine Kriegsursachen”

“Kulturelle Verschiedenheit korreliert nicht mit der Konflikthäufigkeit”, erklärt Günther Schlee, Direktor am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle an der Saale, in einem langen Interview mit der Sueddeutschen.

Wir finden wir häufig Konflikte gerade zwischen kulturell besonders ähnlichen Gruppen, sagt er. Als grobe Faustregel koenne man sagen: Zwischen Menschen mit völlig unterschiedlichen Kulturen ist die Konfliktwahrscheinlichkeit geringer.

Konflikte hätten häufig eine ethnische oder religiöse Ausdrucksform. Aber die eigentlichen Konflikt- oder Kriegsursachen haben damit sehr wenig zu tun. Die eigentlichen Konfliktursachen seien oft der Zugang zu materiellen Ressourcen sein, Macht etc. Als sich einander ausschließende Einheiten wurden die ethnischen Gruppen aber erst im Konflikt erschaffen. Die ethnische Zugehörigkeit war nur ein wichtiges Mobilisierungselement für bestimmte Akteursgruppen, die den Konflikt wollten.

>> zum Inteview in der Sueddeutschen

Auf der Webseite des Department Integration and Conflict des Max Planck Instituts gibt es auch zwei Radioprogramme zum Herunterladen, u.a. “Soziale Konstruktion von Feindschaft” (mp3)

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5 thoughts on “Ethnologe: “Ethnien und Religion sind keine Kriegsursachen”

  1. Hm, ein recht simples Ergebnis auf rational choice aufbauend. Wahnideen sind offensichtlich bei Schlee dem ökonomischen Interesse untergeordnet. Wie aber erklärt sich diese Ableitung einer Psychopathologie aus einem ökonomischen Wunsch, der kaum Verdrängung fördern kann? Wo wird das ökonomische Interesse vorgeschoben, um die Psychopathologie zu verdecken, wie im Falle der Lebensraum-Wahnvorstellung der Nazis?
    Das erscheint mir nicht schlüssig. Auch die Grundthese, Religionen hätten nichts mit Konflikten zu tun, erscheint mir fragwürdig. Dem widersprechen Studien zum christlichen Antisemitismus, u.a. bei Grundberger/Dessuant, die recht eindeutig belegen, dass das Christentum als Ideologie den Antisemitismus stark begünstigt durch narzisstische Konstellationen.

  2. Das Übrige erinnert stark an Freuds Befund der kleinen Unterschiede, die gerade die Nahegelegenen zur Abwehr reizen, ein Axiom, aus dem er teilweise den Antisemitismus erklärt. Dabei geht aber auch unter, wer den Distinktionsgewinn jeweils einfährt. Im Falle des Islams und des Christentums haben ja nur diese beiden einen Gewinn von ihrer Abgrenzung, die ja nicht Abgrenzung wie beim herkömmlichen Ethnozentrismus bleibt, sondern in einen ökonomisch nicht rationalisierbaren Vernichtungswunsch mündet. Das erinnert stark anVersuch, in einem Allgemeinen wie “Menschenfeindlichkeit” die Spezifika der einzelnen Wahnsysteme Rassismus, Ethnozentrismus und Antisemitismus untergehen zu lassen.

  3. Ja, wie Du schreibst, so kann man nicht alles auf die Oekonomie schieben und ich habe auch oft den Eindruck, dass einige Rassisten und Islamophoben eine psychische Behandlung brauchen.

    Ich denke die wichtigste Botschaft hier ist dass viele Konflikte, die auf ersten Blick ethnische oder religioese Konflikte sind, in Wirklichkeit viel komplexere Phaenomene sind. Es kann sich um Oekonomie, Machtfragen und vieles andere handeln. Das Wichtigste ist, in jedem Fall genau hinzuschauen um herauszufinden woraus der Konflikt eigentlich besteht.

    Das Problem ist ja dass viele Journalisten zu schnell von “religiøsen Konflikten” oder “ethnischen Konflikten” schreiben.

    Bzgl “kleine Unterschiede” gibt es ja mehrere Studien /Theorien, denen zufolge ein grosses Abgrenzungsbeduerfnis besteht zwischen Gruppen die sich aehneln (Barth 1969 u.a.) Man denke u.a. Nachbarstaedte oder Grenzregionen wie Schweiz/Deutschland. Daraus entstehen allerdings nicht unbedingt Kriege.

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