Fast 500 Ethnologinnen und Ethnologen aus dem In- und Ausland sind nach Frankfurt gereist, um bei der 33. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde das Thema “Kulturelle Aneignungen: Anpassung – Anverwandlung – Camouflage” zu diskutieren. Vor wenigen Stunden ist die mit Spannung erwartete Diskussionsveranstaltung „Ethnologen in Krisen- und Kriegsgebieten: Ethische Aspekte eines neuen Berufsfeldes“ zuende gegangen.
Es sind noch keine Presseberichte erschienen, gebloggt wird auch nicht, doch die Ethnofachschaft in Frankfurt ist aktiv am Twittern und hat viele gute Bilder ins Netz gestellt.
Allgemeine Informationen ueber die Tagung gibt die Medienmitteilung und die Tagungs-Webseite
AKTUALISIERUNGEN
Im Laufe der kommenden Woche wird auf dem Blog der Ethnofachschaft Frankfurt ein Bericht ueber die Konferenz erscheinen, meldet die Fachschaft via twitter
Frankfurt zurzeit Mekka der Völkerkundler (Frankfurt-live.com, 3.10.09)
SIEHE AUCH:
Der Volkskunde-Kongress bloggt
Conference Podcasting: Anthropologists thrilled to have their speeches recorded
Hallo,
leider konnte ich nicht anwesend sein, aber interessant anzumerken ist vielleicht dass Volker Harms’ Antrag auf den Ausschluss von Geheimdienstmitarbeitern aus der DGV zum inzwischen dritten Mal abgelehnt wurde. Dieses Jahr anscheinend weil u.a. eine Eindeutige Definition von “Geheimdiensten” fehlte…
kann jemand der dabei war konkretere Informationen darüber und über die Podiumsdiskussion mit Harms, den Leuten von der Ethikkommission und den Vertretern der Bundeswehr etc. berichten?
Aha interessant. Weisst Du, wie sich die Ethnologen-Organisationen in anderen Laendern dazu verhalten?
Wuerde auch gern mehr ueber Diskussion hoeren!
Den neuesten Informationen zu Folge wurde der Antrag abgelehnt weil die Formulierung „Geheimdienste“ von Harms ad-hoc in „Informationsdienste“ geändert werden sollte. Einer Änderung wurde nicht zugestimmt, der Antrag in Folge abgelehnt.
Was die Position der einzelnen Organisationen angeht, so ist das eine längere Debatte: Ich würde mal damit anfangen zu sagen, dass sich die meisten Ethno-Organisationen nicht per se gegenüber Geheimdiensten abschotten, sondern vor allem gegen die Geheimhaltung der Erforschung und den daraus gewonnenen Daten gegenüber den Erforschten – ihr Schutz ist allem anderen vorangestellt. Im Detail unterscheiden sich die Positionen natürlich, das aufzuzählen würde jedoch den Kommentar-Status sprengen. Ein, zwei Positionen habe ich gerade kurz nachgeschaut, die kann ich hier darstellen (jedoch ohne Garantie auf Vollständigkeit):
Im AAA Code-of-Ethics steht zB:
des weiteren:
am wichtigsten ist wohl aber:
Im Falle der Britischen ASA sieht es ähnlich aus. Auch sie sieht vor ihre Informanten zu schützen:
,
ferner:
Unter “Open research” steht:
Und zum Schluss:
Auf der Tagung in Frankfurt wurde nun die sogenannte Frankfurter (Ethik-)Erklärung verabschiedet. Sie zielt vor allem auf die Selbstreflexion des Forschers ab, weniger auf eine Art “Bestimmung” die von Seiten der Organisation (in diesem Fall die DGV) ausgehen sollte. Die Erklärung stellt einige Punkte dar, in denen ethische Konflikte auftauchen können, diese sind jedoch „als eine Anregung zur differenzierten Auseinandersetzung mit ethischen Dilemmata der ethnographischen Tätigkeit zu verstehen und werden deshalb bewusst als Fragen formuliert“.
Ich gebe hier mal die in der Erklärung genannen „Ethischen Aspekte ethnographischen Arbeitens“ wieder:
Außerdem wird noch kurz unter “Grundlegendes” (4.) auf die Verantwortung des Wissenschaftlers eingegangen:
„Zur Verantwortlichkeit von Ethnologen gehört darüber hinaus die Bereitschaft, die Implikationen und Konsequenzen eigener Forschungspraxis und Forschungsdaten im Blick auf lokale und globale Machtbeziehungen zu klären.“
Einige andere Punkte (zB Punkt 2 unter „Gundlegendes“) haben wohl zu Diskussion geführt, letztendlich hat eine Mehrheit nun aber für diese Ethikerklärung gestimmt.
In “Eine Frage der Ethik? Die Leitlinien der AG Entwicklungsethnologie” schreibt Michael Schönhuth, Mitentwickler der Frankfurter Erklärung, zu den Ethikrichtlinien der „DGV-Arbeitsgemeinschaft zur Entwicklungszusammenarbeit“, dass sich diese auch als “individuelle Selbstverpflichtung, nicht als ethischer Kodex” verstehen. Der Grund auch hier: “Um einen Verhaltenskodex durchzusetzen, bräuchte es eine Institution, die bei Fehlverhalten wirksame Sanktionen aussprechen kann”, weil ” (…)die Wirksamkeit von Ethischen Kodizes auch mit ihrer Verbindlichkeit, einem funktionierenden Monitoringsystem und den Sanktions-möglichkeiten zusammen, die beim Missbrauch zur Verfügung stehen (abhängt)”.
Um die Frage von oben nochmal in Kürze zu beantworten: Auch die Britische ASA ( siehe “A statement on ethics from the Chair” erklärt “the Association does not and will not act as a tribunal for judging whether individuals have committed some infraction of our codes”.
Gleiches gilt für die AAA: „The purpose of this Code is to foster discussion and education. The American Anthropological Association (AAA) does not adjudicate claims for unethical behavior.“ (Preambel der Code-of-Ethics 2009)
Die hieraus erfolgende Problemstellung der fehlenden nennt auch Carolyn Fluehr-Lobban, die in etlichen AAA-Kommissionen saß und sitzt: “Codes can be enforced only when tied to licensing or accreditation standards and grievance procedures” ( aus: Fluehr-Lobban, C.: In Anthropology and ethics in America’S declining imperial age. Anthropology Today 24(4) August 2008, S.22).
Doch Volker Harms Antrag hatte wohl genau das vorgesehen. Mehr als nur reines Fragenstellen, sondern auch Sanktionen einleiten gegenüber unethisch handelnden Personen bzw der Mitarbeit von Ethnologen an Projekten, deren Hintergrund, Ziele und Ausmaß für den Wissenschaftler nicht nur nicht gut zu beurteilen sind oder ungeklärt bleiben, sondern aller Voraussicht nach gegen solche Richtlinien verstossen – seiner Auffassung nach die Tätigkeit für Geheim- bzw. Informationsdienste. An sich schwingen in diesem Verbotsantrag noch viele weitere Fragen und Probleme mit, die ich hier jedoch nicht darstellen will.
Beide, AAA und ASA, haben sich in der Vergangenheit jedoch mit spezifischen bedenklichen Programmen auseinandergesetzt und in speziellen “statements” oder öffentlich gemachten Briefen davor gewarnt oder ihre Meinung kritisch dargelegt (zB AAA bei HTS oder dem Minerva-Auswahlverfahren, ASA bei PRISP).
Ob die DGV solche (internationalen oder nationalen) Debatten auch aufgreift oder ob sich in zwei Jahren eine Mehrheit für einen Antrag wie der von Volker Harms findet oder ob bis dahin sich die Landschaft ethnologischer Zusammenarbeit mit Informationsdiensten sowieso grundlegend geändert hat, bleibt abzuwarten.