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Unverständliche Wissenschaft: Ohne KI kann man Texte auf Deutsch kaum lesen

Wissenschaftliche Sprache ist künstlich kompliziert, vielleicht besonders auf Deutsch, und vielleicht besonders in den Geisteswissenschaften, auf jeden Fall in der Sozial- und Kulturanthropologie. Auch wenn jetzt immer mehr Artikel und auch Bücher im Netz frei zugänglich sind, so laden diese Texte nicht zum Dialog mit der Öffentlichkeit ein.

Ich wollte gerade etwas schreiben über ein Buch, das Open Access ist, und auf Deutsch, und das aus den Forschungen der Sozial- und Kulturanthropologie der FU Berlin herausspringt, die so von Kürzungen bedroht ist. Doch die Lektüre war alles andere als eine Freude.

Hier ein Ausschnitt eines potenziell interessanten Textes über ein wichtiges aktuelles Thema:

Die systematische und iterative Relevantsetzung der Hautfarbe sowie der ethnischen, kulturellen und religiösen Zugehörigkeit kann als Strategie der Differenzmarkierung verstanden werden, die Zugehörigkeitsordnungen erfahr- und greifbar machen will.

Die Praxis der Differenzmarkierung im deutschen Kontext impliziert vor allem die Zuschreibung bestimmter Merkmale, die immer in Relation zu der hegemonialen Gruppe der weißen Mehrheit deutscher Personen steht. Die konstruierten Zuschreibungen werden häufig als unüberwindbar dargestellt, also „naturalisiert“.

Damit eignen sie sich gerade für eine politische Instrumentalisierung, bei der sie unterschiedliche Arten der In- und Exklusionspraxen begünstigen bzw. beeinträchtigen. Diese althergebrachte und bereits in unterschiedlichen Kontexten untersuchte Form der Differenzmarkierung (vgl. Mills 1997; Hall 1997; Balibar 1990) wird gegenwärtig mit neuen Strategien der Affizierungspraxen verknüpft, um negative Affekte zu mobilisieren, die systematisch auf „Menschen mit Migrationshintergrund“ bezogen werden.

Ich habe diesen Text von Perplexity.ai vereinfachen lassen. Heraus kam Folgendes:

Oft wird in unserer Gesellschaft ganz bewusst auf Merkmale wie Hautfarbe, Herkunft, Kultur oder Religion geachtet. Das soll zeigen, wer „dazugehört“ und wer nicht. Besonders in Deutschland werden Menschen meist nach bestimmten Eigenschaften bewertet – diese Orientierung geschieht immer im Vergleich zur weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft.

Diese Eigenschaften werden oft so dargestellt, als seien sie fest und unveränderbar („so geboren“), was dazu führt, dass Unterschiede zwischen Menschen „natürlich“ wirken. Das wiederum wird politisch genutzt: Es entsteht eine Grundlage, auf der Menschen entweder eingeschlossen oder ausgeschlossen werden können. Wer die Macht über solche Einteilungen hat, kann darüber bestimmen, wie Zugehörigkeit gestaltet wird und wer als „anders“ gilt.

In den letzten Jahren werden diese Methoden mit neuen Strategien verbunden, etwa indem gezielt negative Gefühle gegenüber „Menschen mit Migrationshintergrund“ ausgelöst werden. Dadurch wird die Ablehnung verstärkt und gesellschaftliche Ausgrenzung gefördert

Die KI schreibt kein schlechteres Deutsch als der Mensch, oder?

Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass wissenschaftliche Artikel – nicht nur auf Deutsch – mit der Zeit immer unverständlicher geworden sind, auch für die Forschenden. Thomas Hylland Eriksen, kürzlich verstorben, hat in seinem Buch Engaging Anthropology  dieselbe Entwicklung für die Sozialanthropologie aufgezeigt .

Wissenschaftliche Sprache ist künstlich kompliziert, vielleicht besonders auf Deutsch, und vielleicht besonders in den Geisteswissenschaften, auf jeden Fall in der Sozial- und Kulturanthropologie. Auch wenn jetzt immer mehr Artikel und auch Bücher im Netz frei zugänglich sind, so laden diese…

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Fast keine Artikel auf Deutsch in Open Access Zeitschriften

Seit kurzem ist die altehrwürdige Zeitschrift für Ethnologie  frei zugänglich. Alle Artikel der neueren Ausgaben (ab 2023) sind gratis zu lesen. Doch so gut wie alle Artikel sind auf Englisch.

Paywalls überall: Wie kann man sich noch über Sozial- und Kulturanthropologie / Ethnologie informieren?  hab ich vor vier Jahren gefragt. Zugang zu Wissen, der so essenziell ist für eine funktionierende Demokratie, wird schwieriger, da fast alle Zeitungen und Online-Medien sich vom offenen Internet verabschiedet haben. Neuere Online-Magazine sind auch meist nur für Abonnenten zugänglich, Blogs gibt es auch kaum mehr. Und die Zeitschriften? Die haben eine umgekehrte Entwicklung vollzogen, von geschlossen zu offen. Das wäre der Moment für Zeitschriften – und damit der Wissenschaften, mehr in Kontakt mit der Öffentlichkeit zu treten.  Eigentlich wären Zeitschriften jetzt wichtiger denn je.

Es gibt nicht viele sozial- oder kulturanthropologische Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Neben der Zeitschrift für Ethnologie gibt es noch die  Schweizerische Zeitschrift für Sozial- und Kulturanthropologie sowie Ethnoscripts. Doch in keinem dieser Publikationen findet man – von Buchbesprechungen abgesehen – etwas auf Deutsch zu lesen. Damit bleiben die Texte – auch wegen des Jargons – nur einer Minderheit hierzulande zugänglich.

Die Anglifizierung ist ja eine gute Sache, was den internationalen Austausch betrifft, für den gesellschaftlichen Diskurs im Land jedoch weniger.

Besser sieht es auf Deutsch lediglich in Zeitschriften aus, die sich mehr in Richtung – wie man früher sagte – “Volkskunde” oder “Europäische Ethnologie” orientieren. Beispiele hierfür sind das Hamburger Journal für Kulturanthropologie oder interdisziplinäre Zeitschriften wie suburban.

Damit haben sich die wissenschaftlichen Blätter im deutschsprachigen Raum für einen anderen Weg entschieden als Publikationen in Norwegen, wo es immer noch erstaunlich viele wissenschaftliche Zeitschriften gibt, in denen so gut wie alle  Texte auf Norwegisch sind, so auch in Norsk Antropologisk Tidsskrift.  In Norwegen werden Norwegisch-sprachige Zeitschriften auch besonders vom Staat gefördert.

Auch in der dänischen Tidsskriftet Antropologi lässt sich alles bequem auf seiner Muttersprache lesen, und in der schwedischen Kulturella Perspektiv  zumindest teilweise. Und besonders gut sieht es aus für die Spanisch-Sprechenden; Auf dieser Sprache gibt es fast die meisten offenen Zeitschriften.

Zum Schluss ein Verweis auf den einzigen Artikel auf Deutsch in der Zeitschrift für Ethnologie:

Peter Rohrbacher: Politisches Chamäleon: Richard Thurnwald und seine kolonialethnologischen Ansätze in der NS-Zeit (2/2024)

Und zwei Artikel auf Deutsch gab es in  der Schweizerischen Zeitschrift für Sozial- und Kulturanthropologie in den letzten 5 Jahren:

Mélanie Pitteloud: Sozialfirmen und ihre Beziehungen zu potenziellen Arbeitgeber·innen: Praktiken und Handlungslogiken der Stellenvermittler·innen (2021)

Mira Menzfeld: «Wo ist deine Eifersucht? Wo ist deine Religion?»: Emotionsmanagement in polygynen salafitischen Partnerschaften (2022)

Und – interessant – 2022 gab es eine Extra-Ausgabe von Ethnoscript zum Fall Kabuls 2021 – “eine Sonderausgabe (nicht nur) für die interessierte Öffentlichkeit”, die mehr über Afghanistan und die Taliban wissen möchten mit Texten auf Deutsch und Englisch!

UPDATE: Aber vielleicht spielt das alles ja keine große Rolle, denn: Unverständliche Wissenschaft: Ohne KI kann man Texte auf Deutsch kaum lesen

Aus dem Archiv:

Ist verständliche Sprache unwissenschaftlich?

Verständliche Wissenschaft: Der Siegeszug der Science Slams

Instituts-Webseiten: Immer noch keinen Dialog mit der Öffentlichkeit

Marianne Gullestad and How to be a public intellectual

 

Seit kurzem ist die altehrwürdige Zeitschrift für Ethnologie  frei zugänglich. Alle Artikel der neueren Ausgaben (ab 2023) sind gratis zu lesen. Doch so gut wie alle Artikel sind auf Englisch.

Paywalls überall: Wie kann man sich noch über Sozial- und Kulturanthropologie…

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Protest gegen Kürzungen: Bald keine Sozial- und Kulturanthropologie mehr an der FU Berlin?

Flyer zur Kundgebung am 14.7.2025
Flyer zur Kundgebung am 14.7.2025 (GEW)

Mein erster Post nach langer Zeit ist alles andere als erfreulich: Der Berliner Senat will weniger Geld für Bildung ausgeben und kürzt drastisch an den Hochschulen. Berliner Hochschulen stehen laut ZDF Heute vor den größten Kürzungen ihrer Geschichte.

“Wegen rigider Kürzungspläne stehen ganze Studiengänge vor dem Aus”, meldet die taz. Unter diesen bedrohten Studiengängen befindet sich auch die Sozial- und Kulturanthropologie an der FU Berlin.

Die Kürzungspläne treffe die Sozial- und Kulturanthropologie besonders hart, sagt Hansjörg Dilger, der dort Professor ist, der taz. Laut FU sollen jedoch alle Fachbereiche seien „gleichermaßen von einer Kürzung von 10 Prozent betroffen” sein.

Doch haben diese zehn Prozent offenbar nicht überall dieselben Konsequenzen. Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat nämlich die Streichung der einzigen sogenannten “W3-Professur” des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie vorgeschlagen, die aktuell kurz vor ihrer Nachbesetzung steht, lernen wir auf der Webseite des Instituts. Eine Nachbesetzung der Professur für Psychologische Anthropologie würde auch schon seit drei Jahren ausstehen.

W3-Professoren sind, wenn ich diesen Begriff richtig verstehe, oft Lehrstuhlinhaber, sie sind im Gegensatz zu W1- und W2-Professoren unbefristet angestellt. Durch die Kürzungspläne wäre das Institut gezwungen,  das Bachelor-  oder Master-Studienprogramm  einzustellen. Auch viele laufende Forschungsaktivitäten stünden vor dem Aus.

Wir sehen hier die deutsche Version eines Trends, den es in vielen Teilen der Welt gibt, am prominentesten in den USA (Trumpismus), siehe unter anderem Feindbild Uni (Adefunmi Olanigan, taz 25.4.2025). Die kritischen Sozialwissenschaften, so Dilger zur taz seien “im Moment weltweit und auch in Deutschland unter Beschuss”.

Nicht gerade überraschend trifft es nicht nur die Kultur- und Sozialanthropologie, sondern – wie zum Beispiel an der Uni Göttingen –  die Diversitätsforschung, die dort ihre  Professur verliert.

In einem Offenen Brief der Fachgruppe Geschlechterforschung in Göttingen, den die taz erwähnt, gehörten die Geschlechter- und Diversitätsforschung zu den gesellschaftlich umkämpftesten Fächern – „sie polarisieren, sie stellen Machtverhältnisse infrage, sie haben weniger Rückhalt in konservativen akademischen Strukturen.“

>> zum Text in der taz: Kürzungen an Hochschulen: Kampf gegen das Spardiktat

Heute, am 14.7.2025, war ein Aktionstag gegen die Kürzungen unter dem Motto “Die Hochschulen sind unkürzbar”: “3000 Berliner protestierten am Montag vor der Wissenschaftsverwaltung gegen die Kürzungen”, schreibt der tagesspiegel. Siehe auch eine Info-Seite der FU zu den Kürzungen und Unterschriftensammlung: Offener Brief gegen die Kürzungen an den Berliner Hochschulen
sowie Kürzungen an Hochschulen “Eigentlich sollten alle Studierenden Berlins jedes Wochenende auf der Straße sein” (rbb 11.7.2025)

AUS DEM ARCHIV:

“Die Frage ist, ob die Unis ein Fach wie Ethnologie brauchen”

Uni Bonn schafft Volkskunde / Kulturanthropologie ab

Petition lanciert – Ethnologie in Heidelberg vor dem Aus?

Protestblog und Bilder: Kollaps des Instituts für Sozialanthropologie in Wien

Was ist Ethnologie? Eine schöne Definition

Flyer zur Kundgebung am 14.7.2025

Mein erster Post nach langer Zeit ist alles andere als erfreulich: Der Berliner Senat will weniger Geld für Bildung ausgeben und kürzt drastisch an den Hochschulen. Berliner Hochschulen stehen laut ZDF Heute vor den größten Kürzungen ihrer Geschichte.

“Wegen rigider Kürzungspläne…

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Paywalls überall: Wie kann man sich noch über Sozial- und Kulturanthropologie / Ethnologie informieren?

Bis vor etwa fünf bis zehn Jahren habe ich regelmäßig hier auf antropologi.info über Nachrichten aus dem Fach berichtet. Aufgrund Änderungen privater und beruflicher Natur blieb in den letzten Jahren für die Webseite nur wenig Zeit. Den zahlreichen Corona-Lockdowns sei Dank konnte ich mich wieder mehr meinen Interessen zuwenden, ich aktualisierte die Blog-Software, beseitigte viele tote Links, experimentierte mit einem Open Access Journal Ticker, der die neuesten Artikel von Open Access Zeitschriften anzeigt, lernte auch etwas mehr über Webdesign, Linux und die Open Source Welt.

Anfang des Jahres machte ich einen ernsthaften Versuch, so wie früher mehrmals wöchentlich die Nachrichten nach interessantem anthropologischen Stoff zu durchforsten. Das Resultat: ein knappes Dutzend Blogbeiträge, allerdings nur auf Englisch. Warum?

Klar, ich habe früher auch viele eigene Beiträge wie Interviews, Buchbesprechungen usw geschrieben. Viele Beiträge auf dieser Webseite begannen jedoch mit einer simplen Google-News-Suche. Auf Deutsch bringt dieselbe Suche heute weniger interessante Resultate als früher.

Der Grund: Die meisten deutschsprachigen Zeitungen und auch viele andere Netzpublikationen haben sich vom offenen Internet verabschiedet. Ein Grossteil der Klicks auf die Ergebnisse meiner Google-Suche führt zu Login-Boxen: Nur für Abonnenten! Das betrifft deutschsprachige Publikationen mehr als englischsprachige. Ich müsste Hunderte oder eher Tausende von Euros monatlich für Abonnements aufbringen, um einen ähnlich umfangreichen Überblick wie früher über "Ethnologie in den Medien" bieten zu können.

https://twitter.com/klein0r/status/1386325999650951169

Gleichzeitig sind auch die meisten Forschenden selbst vom offenen Internet verschwunden. Früher gab es viele Anthropologen, die auf Deutsch bloggten – sei es Studierende, Doktoranden oder etablierte Forscher. Eine ethnologische Blogosphäre, in der es wie früher um gegenseitigen Austausch geht, gibt es nicht mehr auf Deutsch. Stattdessen tummeln sich viele Forschende in den weniger offenen Silos der kommerziellen sozialen Medien wie Facebook oder Instagram. Diese Entwicklung machte auch nicht vor dem ersten deutschsprachigen ethnologischen Gruppenblog halt – ethno::log. Ende 2019 erschien dort der letzte Beitrag mit den Worten:

I think it’s time to close the weblog, it’s already sleeping since years. People went to other places online and offline, which is quite natural. It was fun! CU somewhere else.

Die Konsequenz: Unterm Strich finden wir weniger deutschsprachige sozial- oder kulturanthropologische Inhalte im Netz als noch vor zehn Jahren.

Wer auf Deutsch googelt, bekommt weniger interessante Antworten – und vor allem keine fachlichen.

Ein zunehmender Anteil der noch gratis zugänglichen Inhalte im Netz ist mehr oder weniger offenkundige Werbung.

Das betrifft auch Webseiten von Anthropologen. Wer von ihnen heutzutage eine eigene Seite ins Netz stellt oder bloggt, tut dies in vielen Fällen, um sich auf dem zunehmend prekären Arbeitsmarkt möglichst attraktiv darzustellen. Ähnliches kann man über universitäre Einrichtungen, Institute und Organisationen sagen. In denen für sie offenbar so wichtigen Bestrebungen, stets "weltweit führend" und so für potentielle Geldgeber attraktiv zu sein, geht es ihnen in ihren Publikationen immer mehr um Selbstvermarktung als um demokratisch motivierte Forschungskommunikation. Verstärkt wird diese Entwicklung natürlich von den kommerziellen sozialen Medien, in denen nicht nur Institute, sondern auch Einzelpersonen sich als "Brand" vermarkten können.

Bei den Artikeln, die nicht Werbung sind und trotzdem gratis im Netz zugänglich sind, stellen sich andere Hindernisse in den Weg. So gut wie alle Publikationen wollen uns nur ihre Artikel lesen lassen, wenn wir unsere Internetaktivitäten von ihnen und anderen oft dubiosen Akteuren überwachen lassen.

Ich denke, wir sind alle genervt von den Cookie-Bannern. Die meisten Publikationen benutzen Techniken, die "Dark Pattern" genannt werden und in vielen Fällen illegal sind.

Dark Pattern: Ablehnen nicht so leicht möglich. Viele Medien wollen sich unsere Zustimmung zur Überwachung erschleichen

Laut GDPR müssen sie von uns die Zustimmung zur Überwachung einholen. Die Möglichkeit, die Überwachung abzulehnen, geben sie uns jedoch nicht so leicht. Viele Extra-Klicks und ein waches Auge sind notwendig, um nicht auf ihre Tricks hereinzufallen, mit denen sie sich unsere Zustimmung zur Überwachung erschleichen wollen.

Illegal: Vorausgefülltes Ja zur Überwachung der Nutzer bei der Frankfurter Allgemeinen (FAZ).

Manche Publikationen sind hier besonders dreist. Dem Spiegel, der Zeit und dem Standard zum Beispiel reicht die Zustimmung, dass sie uns mit Cookies überwachen dürfen, nicht.

Sie verlangen auch, dass wir sämtliche Browser-Erweiterungen, die uns vor Schad- und Spionsoftware schützen, ausschalten.

Vermutlich auch illegal: Erzwungenes Tracking beim Standard

Wie ich haben eine wachsende Anzahl von Internetnutzern eingesehen, dass es unverantwortlich ist, im Internet ohne Werbe- und Trackingblocker unterwegs zu sein. Uns lassen Der Spiegel, Die Zeit und der Standard erst gar nicht rein. Wir sind Opfer kommerzieller Zensur.

Macht es da noch Sinn – oder Spass-, weiter auf Deutsch zu bloggen?

Die Google News Suche, die mich stets zu Login-Boxen führte, empfinde ich als reine Zeitverschwendung. Und will ich in meinen Blogposts Artikel verlinken, die sich auf mit Trackern verseuchten Webseiten befinden? Solche Fragen habe ich mir in der letzten Zeit oft gestellt.

Auf der anderen Seite: Das Internet ist broken, ja, so ist es. Das Internet als Ort um uneigennützig Wissen zu teilen und vor allem allen Menschen unahängig ihres Geldbeutels Zugang zu Wissen zu ermöglichen – von dieser Vision aus den Anfangsjahren des Internets (Wikipedia ist ein Relikt davon) – haben wir uns so gut wie völlig entfernt.

Auf der anderen Seite, finde ich, sollten wir dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschauen. Der Widerstand scheint auch zu wachsen, und auch in der Sozial- und Kulturanthropologie wird inzwischen kritisch zu diesen Themen geforscht, siehe einen Beitrag vom Januar hier auf antropologi.info: Pregnancy and baby apps, smart home devices: Anthropologist shows how surveillance capitalism targets children

Ich werde mich nun mal wieder etwas systematischer im Netz umschauen, wie man sich abseits der kommerziellen Webseiten auf Deutsch über sozial- und kulturanthropologische Forschung informieren kann. Wie sieht es an den Instituten aus? Engagieren sich anthropologische Organisationen? Gibt es gute Zeitschriften im Netz? Und sonst? Podcasts? Youtube-Channels? Für Tipps bin ich immer dankbar.

Bis vor etwa fünf bis zehn Jahren habe ich regelmäßig hier auf antropologi.info über Nachrichten aus dem Fach berichtet. Aufgrund Änderungen privater und beruflicher Natur blieb in den letzten Jahren für die Webseite nur wenig Zeit. Den zahlreichen Corona-Lockdowns sei…

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Wozu Arbeit, Stress und Hierarchien? Vergessener Klassiker wieder erhältlich

Im Blatt Freitag stellt Thomas Wagner einen Klassiker der Ethnologie umd Sozialanthropologie vor, der jetzt zum ersten Mal seit 1976 in einer Neuauflage wieder verfügbar ist: Staatsfeinde von Pierre Clastres.

Einer der wichtigsten Aufgaben unseres Faches ist es zu zeigen, dass die Welt oft anders funktioniert als wir meinen, dass Vieles, das von der Mehrheit als normal erarchtet wird, gar nicht normal ist, wenn wir über unseren beschränkten Tellerrand hinausblicken. Die Vielfalt menschlichen Lebens ist nämlich grenzenlos.

Pierre Clastres, schreibt Wagner, hat einen “wichtigen frühen Beitrag zur heute erst richtig in Fahrt gekommenen Debatte um die Dekolonisierung des politischen Denkens” geleistet. Er forderte nämlich in seinem 1974 veröffentlichten Hauptwerk La Société contre l’État (Die Gesellschaft gegen den Staat), so Wagner, nichts weniger als eine „kopernikanische Revolution“: Statt „die primitiven Kulturen um die abendländische Zivilisation“ kreisen zu lassen, forderte er, diese aus sich selbst heraus zu verstehen.

Das ist natürlich eine klassisch ethnologische Position, doch auch in seiner Disziplin sah Clastres einen Ethnozentrismus. Er kritisierte vor allem Theorien, denen zufolge der Staat die krönende Schöpfung jeder Gesellschaft ist. Gesellschaften ohne Staat sind, so Clastres, nicht unterentwickelt oder “primitiv”.

Seine Thesen basieren u.a. auf seine eigenen Feldforschungen bei den Guayaki und Guarani in Paraguay und Brasilien.

Zwang und Unterwerfung bilden Clastres zufolge keineswegs „überall und immer das Wesen der politischen Macht “. Das politisches Handeln vieler Bevölkerungsgruppen in Nord- und Südamerika ziele darauf ab, die Konzentration von Macht in einer Hand so effektiv zu blockieren, dass so etwas wie ein Staat erst gar nicht entstehen konnte.

Die Bedeutung der “Häuptlinge” hätten viele Europäer ihm zufolge überschätzt. Wagner schreibt:

Selbst jene herausgehobenen Personen, von denen die Europäer dachten, sie verfügten über so etwas wie Kommandogewalt, die sogenannten Häuptlinge, waren nicht in der Lage, ihre vermeintlich Untergebenen zu irgendetwas zu zwingen. (…) „Fast immer wendet sich der Anführer täglich bei Morgengrauen oder in der Abenddämmerung an die Gruppe. In seiner Hängematte liegend oder neben seinem Feuer sitzend, spricht er laut die erwartete Rede. Und gewiss muss seine Stimme kräftig sein, um sich vernehmbar zu machen. Denn es herrscht keinerlei Andacht, wenn der Häuptling spricht, keine Stille, jeder fährt in aller Ruhe fort, seinen Beschäftigungen nachzugehen, als ob nichts geschähe.“

Dieses Fehlen einer zentralen Macht hat auch Einfluss auf das Bild von Arbeit. Nicht alle Menschen leben in erster Linie, um zu arbeiten, wenn sie nicht dazu gezwungen werden.

Die ersten europäischen Beobachter stellten unter großer Missbilligung fest, „dass gesunde Burschen sich lieber wie Weiber anmalten und mit Federn schmückten, als in ihren Gärten zu schwitzen. Leute also, die entschieden nicht wussten, dass man sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen muss.“
(…)
Anders als vielfach angenommen, seien sie nicht etwa nicht dazu in der Lage gewesen, einen ökonomischen Überschuss zu erzielen, sondern legten überhaupt keinen Wert darauf, mehr zu produzieren, als sie benötigten.

Thomas Wagner merkt jedoch an, dass Clastres’ Überlegungen zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern in staatslosen Gesellschaften nicht überzeugen können.

>> zum Text auf freitag.de: Heimlicher Klassiker

Ansonsten wird Clastres oft vorgeworfen, dass er zu sehr romantisiere, staatenlose Gesellschaften darstelle als friedlich und konfliktfrei, die Gegensätze zwischen den staatslosen Gesellschaften und der sogenannten westlichen Welt übertreibe, siehe unter anderem weitere Besprechungen auf goodreads.com sowie von Marc Purcell von der University of Washington und Stephen Machan auf Thoughts Explained.

Das Buch kann man in seiner älteren deutschen Ausgabe vom Mois-Blog herunterladen. Die englische Ausgabe gibt es bei archive.org. Die Neu-Ausgabe kann man bei der Konstanz University Press bestellen.

SIEHE AUCH:

“Leben wie in der Steinzeit” – So verbreiten Ethnologen Vorurteile

“Leben doch nicht im Einklang mit der Natur”

Anthropologists condemn the use of terms of “stone age” and “primitive”

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