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Migrationspolitik: "Abgelehnte Asylbewerber sind die perfekten Ansprechpartner"

*Foto: [Rasande Tyskar, flickr ](https://flic.kr/p/2bxNQBP) Demonstration in Hamburg am 29.09.2018 mit 30 000 Teilnehmern*


Viele Menschen, die aus ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet sind, dürfen nicht bleiben. Was passiert mit den Rückkehrern in ihrer alten Heimat? [Usman Mahar](https://www.ethnologie.uni-muenchen.de/personen/mitarbeiterinnen/mahar/index.html), Doktorand am Institut für Ethnologie an der Uni München, forscht über Asylbewerber aus Pakistan, die abgeschoben wurden oder “freiwillig” wieder zurückgekehrt sind,

In einem [Interview im Spiegel](https://www.spiegel.de/politik/ausland/pakistan-wie-aus-deutschland-abgeschobene-zurueck-in-die-gesellschaft-finden-a-c34091f1-3171-41da-8c82-662f75d97e6c) sagt der Forscher, dass die Rückkehrer nur einen Gedanken im Kopf haben: Was muss ich besser machen, damit mein nächster Versuch klappt? Das bisherige System, wonach “freiwillige” Rückkehrer ein paar Tausend Euro Starthilfe bekommen, funktioniert seiner Meinung nach nicht. Der Drang, wieder aufzubrechen, sei zu groß:

> Die meisten wollen sich sofort wieder auf den Weg machen. Sie nehmen eine weitere Flucht in Kauf, die oft in einer der folgenden Varianten endet: erwischt, eingesperrt, abgeschoben zu werden – oder unterwegs zu sterben. (…)

>Ich beobachte eine Migrationsbewegung, die wie ein Multi-Generationen-Kreislauf funktioniert. Ein System, das ständig dazulernt – jede neue Generation von Migranten lernt aus den Rückschlägen der vorherigen. Ein Beispiel: Ein pakistanischer Vater verlässt die Heimat, schafft es bis nach Iran oder in die Türkei, verdient dort ein bisschen Geld, wird dann abgeschoben. Zu Hause ist sein Sohn mittlerweile alt genug, um sich selbst auf den Weg zu machen. Er nutzt die Erfahrungen seines Vaters – und schafft es vielleicht bis nach Griechenland.

Wenn man diesen Kreislauf unterbrechen und den Menschen bei ihrem Neuanfang helfen wolle, müsse man nicht nur an die Einzelperson denken, sondern auch an das Umfeld, an die Strukturen vor Ort. Hier käme den Rückkehrern eine zenzttrale Rolle zu, sagt Mahar:

>Das Geld für die Reintegration müsste viel breiter investiert werden. Nicht nur in Einzelpersonen, sondern gerade in die Dörfer und Städte, wo der Exodus geschieht. Dafür könnte man gerade Rückkehrer einbinden. Sie wären die perfekten Ansprechpartner, um Fragen zu beantworten: Was bringt Menschen dazu, zu fliehen? Und was müssen Orte anbieten, damit die Leute dableiben? Rückkehrer hätten so eine verantwortungsvolle Aufgabe. Und die Drehtür außer Landes würde aufhören, sich zu drehen.

Sein Lösungsvorschlag sei zwar teurer. Diese Summe, so Mahar, käme EU-Staaten trotzdem weit günstiger als eine zwangsweise Abschiebung.

[ >> zum Interview im Spiegel](https://www.spiegel.de/politik/ausland/pakistan-wie-aus-deutschland-abgeschobene-zurueck-in-die-gesellschaft-finden-a-c34091f1-3171-41da-8c82-662f75d97e6c)

Usman Mahar hat in der pakistanischen Zeitung *The Nation* ein paar schöne Texte veröffentlicht:

[Evil is banal – and the devil is in the details](https://nation.com.pk/06-May-2017/evil-is-banal-and-the-devil-is-in-the-details): The complex times we live in require us to equip ourselves with a better understanding of everything that is human in a more human, more anthropological way

[A case against culture and tradition](https://nation.com.pk/10-Apr-2017/a-case-against-culture-and-tradition): Could it all be mere habit and practice?

[The business of violence and human rights](https://nation.com.pk/25-Mar-2017/the-business-of-violence-and-human-rights): The case of Balochistan — when human life and reason are both collateral damage

Ich muss an die Forschung von [Heike Drotbohm](https://www.uni-mainz.de/presse/76055.php) vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Uni Mainz denken. Vor einigen Jahren nahm sie an einer Tagung an der Uni Oslo teil und erzählte dort von den Folgen restriktiver Migrationspolitik für abgeschobene Migranten. [Meine Zusammenfassung](https://www.sv.uio.no/sai/english/research/projects/overheating/news/2015/drotbohm.html) begann so:

> When Jacky was deported from the USA to Cape Verde, his life came to a sudden standstill. Within a short time his face grew deep wrinkles; it looked resigned, exhausted, and drained. Merely at his age of 45, Jacky looked like an old man.

**SIEHE ALSO:**

[Erforschte das Leben illegalisierter Migranten](https://www.antropologi.info/blog/ethnologie/2008/erforschte_das_leben_illegalisierter_mig)

[The “illegal” anthropologist: Shahram Khosravi’s Auto-Ethnography of Borders](https://www.antropologi.info/blog/anthropology/2010/illegal-traveller)

[“Human smugglers fight global apartheid”](https://www.antropologi.info/blog/anthropology/2010/human-smugglers)

Foto: Rasande Tyskar, flickr Demonstration in Hamburg am 29.09.2018 mit 30 000 Teilnehmern

Viele Menschen, die aus ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet sind, dürfen nicht bleiben. Was passiert mit den Rückkehrern in ihrer alten Heimat? Usman Mahar, Doktorand am Institut…

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– Lebensstil ein grösseres Problem als Bevölkerungswachstum

Im Deutschlandradio hat es ein interessantes Interview mit der Ethnologin Shalini Randeria von der Uni Zürich.

Reporter Matthias Hanselmann ist sehr auf das Bevölkerungswachstum in Indien und China als ein Problem fixiert: Mehr Armut `= mehr Naturzerstörung? Die Ethnologin widerspricht ihm. Die Forderung des Westens, den Bevölkerungsanstieg zu stoppen, findet sie falsch:

Nein, also es gibt keinen unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Armut. (…) Wir müssen von vornherein darauf achten, dass wir hier im Westen, Sie und ich, unseren Lebensstil ändern, nicht das Bevölkerungswachstum in Indien drosseln, weil die Armen in Indien verbrauchen kaum etwas im Vergleich zu dem, was Sie und ich täglich verbrauchen.

Also man muss sich die Größenordnung so vorstellen: Die Stadt New York verbraucht an einem Tag so viel Strom wie der ganze Kontinent Afrika. Das heißt, das Bevölkerungswachstum in Afrika kann so hoch sein, wie es will. Es führt nicht zum selben Energiekonsum.(…)

So lange wir alle mit dem Finger Richtung Indien und China zeigen und sagen, sie sollen ihr Bevölkerungswachstum bremsen, weil wir die falsche Problemdiagnostik haben, solange natürlich wird sich hier auch wenig ändern. Wir müssen einfach die Finger Richtung uns selber zeigen und sagen: Welchen Beitrag kann ich leisten? Nicht: Welchen Beitrag soll jemand anderes leisten?

Als der Reporter dann sagt “es kann ja nicht angehen, dass in der Unterschicht immer mehr Kinder geboren werden, um sich sozial abzusichern, und damit die Bevölkerung erst recht explodiert”, protestiert die Ethnologin:

Aber die Bevölkerung explodiert nicht. Erstens bin ich sehr, sehr allergisch gegen diesen Ausdruck. Das sind Menschen! Die explodieren nicht. Und zweitens, die Bevölkerung wächst, Menschen bekommen Kinder, weil sie diese Kinder möchten, oder sie bekommen welche, weil sie darauf bauen müssen, dass ihre Kinder sie im Alter versorgen, wenn man einen fehlenden Sozialstaat hat, dann ist man auf die Kinder angewiesen bei Krankheitsfall, im Alter. Man hat weder Rente noch Krankenversicherung.

Das heißt, man ist ökonomisch auf Kinder angewiesen, emotional haben Kinder einen großen Stellenwert, einfach auch in der Werteskala haben Kinder einfach eine andere Bedeutung als im Westen.

Sie erklärt auch wie problematisch Programme zur Bevölkerungskontrolle sind. Möchte man das Bevölkerungswachstum verlangsamen, solle man eher für eine Reduktion der Mutter- und Säuglingssterblichkeit sorgen.

Siehe auch frühere Beiträge über Shalini Randeria:

Die Gefahren des eurozentrischen Weltbildes

Ethnologin Shalini Randeria zum Kastensystem und Hindunationalismus

Auf dem Word Peope’s Blog werden einige ihrer früheren Publikationen vorgestellt

Im Deutschlandradio hat es ein interessantes Interview mit der Ethnologin Shalini Randeria von der Uni Zürich.

Reporter Matthias Hanselmann ist sehr auf das Bevölkerungswachstum in Indien und China als ein Problem fixiert: Mehr Armut `= mehr Naturzerstörung? Die Ethnologin widerspricht…

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– Ethnisierung verhindert Frieden

Kirgisien: Ethnischer Konflikt nur vorgeschoben, meldet pressetext.ch.

In dieser Pressemeldung warnt Ethnologin Sophie Roche vor einer Ethnisierung des Konfliktes.

Die Lage in Kirgisien verschärfe sich unnötig, wenn Politiker und Medien die jüngsten Konflikte in der Ex-Sowjetrepublik vereinfacht als Auseinandersetzung von Volksgruppen darstellen, sagt sie:

“Man wird der Situation viel eher gerecht, wenn man die Spannungen als Folge der wachsenden Bevölkerung, der Jugendarbeitslosigkeit oder des Ressourcenkampfes ansieht. Die Ethnisierung, die die Medien betreiben, schaukelt die Lage nur auf und verhindert Frieden.”

Bereits zwei Wochen zuvor hatte eine andere Ethnologin – Judith Beyer – in einem Interview mit dem Deutschlandradio erklaert, warum Ethnizität nicht der Auslöser des Konfliktes ist.

Ethnifizierende Medienberichte sind gang und gäbe. Die Welt schreibt zum Beispiel über die “von ethnischer Gewalt erschütterte Stadt Osch in Kirgistan”, und auch die taz bietet keine alternativen Perspektiven, das Blatt schreibt mehrmals von “ethnischen Unruhen”.

SIEHE AUCH:

Ethnologe: “Ethnien und Religion sind keine Kriegsursachen”

Cameroon: “Ethnic conflicts are social conflicts”

Really an ethnic conflict? An anthropologist on the Kenya-crisis

Thesis: That’s why there is peace

Kirgisien: Ethnischer Konflikt nur vorgeschoben, meldet pressetext.ch.

In dieser Pressemeldung warnt Ethnologin Sophie Roche vor einer Ethnisierung des Konfliktes.

Die Lage in Kirgisien verschärfe sich unnötig, wenn Politiker und Medien die jüngsten Konflikte in der Ex-Sowjetrepublik vereinfacht als Auseinandersetzung von Volksgruppen…

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Deshalb bleiben indonesische Ethnologinnen zu Hause

Hierzulande ziehen viele Ethnologen in die Ferne, um zu forschen. So ist das nicht in Indonesien. Die meisten Ethnologen forschen in ihrem eigenen Land – unter anderem um das von “westlichen” Ethnologen verbreitete Bild Indonesiens zu korrigieren, erklärt Nina Gaiser in ihrem Paper “Indonesische Ethnolog/innen in Jogjakarta – Studium, Beruf und Wissenstransfer“.

Sie zitiert einen Ethnologiedozenten an der Uni Gadjah Mada in Jogjakarta:

“The problem is, that research results published in a journal are always from the centre of the discourse. So it’s always the people from Germany, from the US, from the Netherlands or Australia who publish. But what they publish on Islam, that’s always kind of a misrepresentation, misinterpretation of culture and religion. […] We have our own genius to talk about Islam. But the knowledge about Islam is constructed by the first nations, Europe and the US. It’s not from Indonesia for instance. So that’s actually my concern.”

Ausschlaggebend ist laut Gaiser nicht wo man forscht, sondern was man erforscht und wie “nützlich” die Forschung für die Gesellschaft ist:

Ein Großteil der Befragten, viele von ihnen in NGOs tätig, sprach sich sogar aktiv für ethnologische Forschung aus, bei welcher der Forscher oder die Forscherin direkt für eine bestimmte Gruppierung oder Sub-Kultur Partei ergreift. Sie empfinden rein akademische Forschung als langweilig oder sinnlos, da die produzierten Forschungsergebnisse keinen Nutzen hätten. „I was so sick of that“, beschreibt eine Informantin, „and decided to stop doing research with those perspectives […] like academic research. Now I work with the people. […] It’s more, ya, action research: I learn from the people, we set up projects together. So it’s like advocacy work to empower kampung people“.
(…)
Moralische Bedenken treten nur dann auf, wenn ein Verdacht des Missbrauchs ethnologischer Forschungsergebnisse, durch Unternehmen oder Regierungen, besteht. Im Allgemeinen scheint jedoch die Tendenz zu bestehen, angewandte und theoretische Ethnologie verbinden zu wollen, mit dem Ziel etwas in der Gesellschaft zu verändern.

Nina Gaiser’s Arbeit ist das Ergebnis eines interessanten Zusammenarbeitsprojekts des Instituts für Völkerkunde der Uni Freiburg (Breisgau) und der Fakultas Ilmu Budaya der Universitas Gadjah Mada in Jogjakarta:

Es handelt sich dabei um ein interkulturelles Tandemprojekt, in welchem deutsche und indonesische Studierende gemeinsam forschen. Die Lehrforschung findet jährlich abwechselnd in Indonesien und Deutschland statt. Es wird in Zweierteams geforscht, bestehend aus jeweils einem deutschen und einem indonesischen Studierenden. Es geht darum als gleichberechtigte Forschungspartner übereinander aber zugleich miteinander zu forschen.

>> Download des Papers “Indonesische Ethnolog/innen in Jogjakarta – Studium, Beruf und Wissenstransfer”

Einen æhnlichen Fokus auf den praktischen Nutzen von Forschung finden wir in mehreren afrikanischen Ländern, siehe The resurgence of African anthropology

SIEHE AUCH:

Deutschlandforschung: Wofür sich “ausländische” Ethnologen interessieren

“Discuss politics!” – How anthropologists in Indonesia engage with the public

Brazilian anthropologist João Biehl: “Anthropology needs to engage in an activist way”

Reggae, Punk and Death Metal: An Ethnography from the unknown Bali

Keith Hart and Thomas Hylland Eriksen: This is 21st century anthropology

Hierzulande ziehen viele Ethnologen in die Ferne, um zu forschen. So ist das nicht in Indonesien. Die meisten Ethnologen forschen in ihrem eigenen Land - unter anderem um das von "westlichen" Ethnologen verbreitete Bild Indonesiens zu korrigieren, erklärt Nina Gaiser…

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Die faz träumt von edlen Wilden

“Die Sentinelesen – das isolierteste Volk der Welt”, titelt die faz obwohl Ethnologe Pandya (vermutlich Vishvajit Pandya) sich bemüht, die Vorurteile des faz-Journalisten zu widerlegen.

“Sie beschäftigen sich als Ethnologe mit einem Volk, das von unserer Zivilisation vollkommen unberührt geblieben ist.” So beginnt Journalist Alard von Kittlitz das Interview mit dem Ethnologen. Pandya antwortet:

– Isoliertheit und Feindlichkeit sind Begriffe, die uns bei der Konstruktion eines Bildes von den Sentinelesen helfen sollen. Wir träumen darin von der ersten Begegnung mit einem Volk von Wilden. Tatsächlich ist der Golf von Bengalen ein seit Jahrhunderten genutzter Handelsweg. Die Sentinelesen wissen also schon lange, dass es die Außenwelt gibt. Und sie haben eine Vorstellungen davon, wer wird sind. Von Unberührtheit kann keine Rede sein.

Die Sentinelesen sind nicht so aggressiv, wie der Mythos uns glauben machen möchte, sagt er und warnt vor stereotypen Bildern:

– Wir müssen aufpassen, dass wir aus ihnen nicht einen Mythos machen, der eine aus anthropologischer Perspektive verantwortungslose Außenwelt neugierig auf die „Steinzeitmenschen“ macht. Man kann die Sentinelesen schon jetzt auf Youtube sehen, christliche Websites erkennen in ihnen die letzten Kinder Gottes. So lange wir sie nicht weiter erforschen, bleiben sie Projektionsfläche und passive Opfer der modernen Welt. Ein kontrollierter Zugang hingegen würde nicht nur unser Verständnis der eigenen Vergangenheit fördern. Vielleicht würde er auch dazu führen, dass die Sentinelesen die Entscheidung über ihre Zukunft selber treffen dürfen.

>> weiter in der faz

SIEHE AUCH:

Ethnologen kritisieren Berichterstattung über “isolierte Urwaldvölker”

Die SZ und die Ureinwohner: Gestrandet im vorsintflutlichen Evolutionismus

“Wie findet man Naturvölker?”

“Good story about cannibals. Pity it’s not even close to the truth”

"Die Sentinelesen - das isolierteste Volk der Welt", titelt die faz obwohl Ethnologe Pandya (vermutlich Vishvajit Pandya) sich bemüht, die Vorurteile des faz-Journalisten zu widerlegen.

"Sie beschäftigen sich als Ethnologe mit einem Volk, das von unserer Zivilisation vollkommen unberührt geblieben…

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