(alle Links aktualisiert 4.6.2020) “Wenn ich es für ein Ethnologiestudium notwendig habe zu wissen, was ich hinterher damit anfangen kann, dann studiere ich schon falsch”, sagt Ethnologe Wolfgang Habermeyer “Diejenigen, die sich Anfang 20 bereits vollkommen im klaren darüber sind, was sie wollen, würden sich mit Ethnologie nicht wohl fühlen”, sagt sein Kollege Alexander Knorr (und Blogger).
Ethnologie in Aktionheisst eine neue Serie in der Zeitschrift Ethnologik. Die Serie geht Fragen nach wie: Gibt es ein Leben nach dem Ethnologiestudium? Wie sieht es aus – innerhalb und ausserhalb der Unimauern?
Die Serie beginnt mit spannenden Interviews, u.a. mit Wolfgang Habermeyer, der schon gleich zu Anfang vor zu hohen Erwartungen warnt:
Mit der Ethnologie kannst du nach dem Studium in der Regel im Sinne einer Erwerbsarbeit oder eines Berufs nicht viel anfangen. Es können sich zwar immer wieder irgendwelche Sachen ergeben, aber so richtig als Ethnologe, als Ethnologin arbeiten kann man nicht. Das Fach Ethnologie studiert man, weil es einen persönlich interessiert und weil man es aus anderen Gründen für wichtig hält.
Mann Man soll sich nicht von gleich am Anfang festlegen und lieber neugierig schauen was sich so im Laufe des Studiums ergibt.
Das Eigentliche an der Wissenschaft besteht darin, dass man dabei nach und nach Verbindungen herstellt, von denen man vorher gar nicht wusste, dass sie existieren. So etwas geht allerdings momentan mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge verloren. Denn je stärker man sich auf bestimmte Studieninhalte fokussiert, weil man glaubt sie wären brauchbar, umso mehr verhindert man diese gelenkten „Zufälligkeiten“, die eigentlich das Wesentliche eines Studiums ausmachen.
Viele kluge Worte auch zum “Nutzen” unseres Faches:
Ich bin felsenfest überzeugt davon, dass die Ethnologie gesellschaftlich relevant ist, dass man die Ethnologie wirklich braucht. Ich würde aber die Frage, warum die Ethnologie wichtig ist und worin ihr gesellschaftlicher Nutzen besteht, völlig von dem entkoppeln wollen, was diese Gesellschaft an handfesten Resultaten von der Universität bzw. von Ethnologen erwartet.
(…)
Die Frage nach der Relevanz ist halt eigentlich erst der zweite Schritt. Diesen zweiten Schritt kann man jedoch nur dann in der rechten Weise machen, wenn man wirklich ernsthaft den ersten Schritt gemacht hat. Der erste Schritt ist die Frage an uns selbst: Was ist Ethnologie? Wie definieren wir selbst Ethnologie? Worum geht es da und worum geht es da nicht? Was können und wollen wir leisten als Ethnologen und was nicht? Warum ist das eine Wissenschaft und keine Frage z.B. der Weltanschauung usw. usf.?
Wenn man diesen ersten Schritt von vornherein unter dem Aspekt der Verwertbarkeit macht, dann belügt man sich selber, dann lässt man sich verbiegen und gibt nach — und betreibt meiner Ansicht nach keine Wissenschaft mehr.
Kultur- und Geisteswissenschaften in einer demokratischen Gesellschaft (vermutlich gilt das auch für Naturwissenschaften, aber ich will mir da ein Urteil nicht anmaßen) sind frei von unmittelbaren Verwertungsinteressen und in dem Moment, in dem man anfängt, Wissenschaft unter die Fuchtel von unmittelbaren Verwertungsinteressen zu stellen, wird Wissenschaft zu einem willfährigen Büttel der gerade herrschenden Meinung und läuft sich auf diese Weise vermutlich über kurz oder lang ohnehin tot.
>> zum Interview in der Ethnologik (Link aktualisiert)
Zur Zeit werden die Studenten gedraengt, ihr Studium moeglichst schnell durchzuziehen. 17 Semester brauchte Habermeyer, ich brauchte 20. Alexander Knorr schlaegt auch ein Schlag fuer etwas mehr Langsamkeit:
Lasst Euch nicht irre machen von dem Gerede, man bräuchte heutzutage einen „stromlinienförmigen Lebenslauf“. Am besten mit zwölf Abitur, mit 19 promoviert, mit 21 bereits sechs Jahre einschlägige Berufserfahrung und vier Jahre bei einer consulting Firma im Ausland verbracht haben.
Manche Dinge, nämlich diejenigen, welche wirklich etwas wert sind, brauchen ihre Zeit. Sich zurechtzufinden in der Welt, den eigenen Kurs suchen, braucht Zeit. Ein Studium braucht Zeit — Ethnologie sollte man zwar nicht all zu langsam, aber eben auch auf keinen Fall zu schnell studieren. Nach der geltenden Prüfungsordnung könnte man das ganze Ding in ein paar Semester per Gewalt über den Tisch reißen, aber dann hat man gar nichts, außer einem Abschluss. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt esoterisch klingt: In die Ethnologie muss man hineinwachsen.
>> zum Interview mit Alexander Knorr (Link aktualisiert)
Von Thomas Hylland Eriksen gibt es dazu einen passenden Text: On the fundamental uselessness of universities (Link aktualisiert)
Zu diesen Themen gibt es auch mehrere Diskussionen im antropologi.info-Forum
(alle Links aktualisiert 4.6.2020) "Wenn ich es für ein Ethnologiestudium notwendig habe zu wissen, was ich hinterher damit anfangen kann, dann studiere ich schon falsch", sagt Ethnologe Wolfgang Habermeyer "Diejenigen, die sich Anfang 20 bereits vollkommen im klaren darüber sind,…