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Neues Buch von Thomas Hauschild über “Ehrenmorde”, Religion und Gewalt

umschlag

“Ritual und Gewalt” heisst das neue Buch des Ethnologen Thomas Hauschild, das soeben in der Welt besprochen wurde.

Der Ethnologe attackiert darin den Kulturrelativismus in Debatten über Ehrenmorde. “Weder bäuerliche Werte, familiales Gewohnheitsrecht noch der Koran können den Mördern einen kulturellen Bonus verschaffen”, so Hauschild. Das Gerede vom Ehrenmord sei nichts als eine Mystifikation, ersonnen in einem Diskurs, für den alles Kultur ist, alles voller Bedeutung steckt und alles relativ ist.

Hauschild benutzt im Buch seine Erkenntnisse aus seiner Mittelmeer-Forschung, um das Phänomen “Ehrenmord” und andere angeblich durch den Islam motivierte Gewalt zu analysieren. Welt-Kritiker Wolfgang Sofsky war jedoch nicht sonderlich überzeugt vom Buch. Wieweit man ihn als Kritiker vertrauen kann, ist nach dem Eröffnungssatz (“Von Zeit zu Zeit wird die Öffentlichkeit durch Gewalttaten in der Parallelwelt der Einwanderer aufgeschreckt.”) jedoch fraglich.

>> weiter in der Welt

Auch nicht unbedingt überzeugt vom Buch ist Niels Beintker von der Süddeutschen Zeitung. Der Kritiker tut sich schwer mit dem “gedanklichen Sprung von der religiösen Verehrung eines Heiligen in den süditalienischen Bergen zu den religiös verirrten heiligen Kriegern der Gegenwart, vom Aberglauben in der Basilikata zum Kult der fundamentalistischen Massenmörder”.

>> weiter in der Süddeutschen

Bei Suhrkamp erfahren wir folgendes über das Buch:

Gewaltexzesse, die scheinbar von außen in die westlichen Gesellschaften einbrechen, erweisen sich häufig als rituell grundiert und haben ihre europäischen Resonanzen und Gegenstücke. Angesichts dessen entwickelt Thomas Hauschild eine neue Sicht auf Rituale und deren Zusammenhang mit Ressentiment und Gewalt.

Jenseits von Idealisierung und Dämonisierung, von »aufgeklärtem Westen« und »rückständigem Orient«, von postkolonialem Denken und Wissenschaftsgläubigkeit versteht er Rituale als im Kern politisch neutrale Grenzphänomene an den Rändern textlich überlieferten Wissens, die weniger mit abstrakten politisch-religiösen Überzeugungen zu tun haben als mit den konkreten Lebensbedingungen der Menschen.

Hauschild setzt daher auf die Mikroanalyse lokaler ritueller Praktiken und präsentiert höchst anschauliche ethnologische Studien europäischer Gesellschaften und des Mittelmeerraums. Die »Kultur« von Al Qaida wird ebenso untersucht wie die der sizilianischen Mafia, der »Ehrenmord«, der »böse Blick« sowie andere magische und religiöse Riten und Fetischismen.

Bei Suhrkamp kann man auch die Einleitung des Buchs (pdf) lesen

UPDATE Besprechung in der Frankfurter Rundschau (18.7.08) und in der Berliner Zeitung (31.7.08)

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"Ritual und Gewalt" heisst das neue Buch des Ethnologen Thomas Hauschild, das soeben in der Welt besprochen wurde.

Der Ethnologe attackiert darin den Kulturrelativismus in Debatten über Ehrenmorde. "Weder bäuerliche Werte, familiales Gewohnheitsrecht noch der Koran können den Mördern einen kulturellen…

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“Männlichkeit im Fussball ist eine echte Forschungslücke”

“Ich glaube nicht, dass Fußball ohne Männlichkeitskult und den Ausschluss von Weiblichkeit möglich ist”, sagt Ethnologin Almut Sülzle in einem Interview mit den Standard.

Drei Jahre lang ist Almut Sülzle in Fussballstadien auf Feldforschung gegangen. Sie steht kurz vor Abschluss ihrer Dissertation an der Universität Marburg zum Thema „Fussball und Männlichkeit“. “Männlichkeit im Fussball ist eine echte Forschungslücke”, meint sie – trotz einer seit Jahren boomenden sozialwissenschaftlichen Forschung zum Thema Fussball. “Die Forscher sind eben selbst Männer und Fussballfans.”

Feltarbeit im Stadion ist faszinierend, sagt sie – nicht zuletzt auch weil sich im Stadion alle Schichten, vom Manager bis zum Arbeitslosen, finden. Die gesellschaftlichen Schranken werden dort teilweise aufgehoben. Und es gibt jede Menge weibliche Fussballfans. Die Ethnologin ist zum Fan von Fussballfankulturen geworden:

Weibliche Fußballfans genießen es, nicht auf die Rolle der Frau festgeschrieben zu sein. Sie können vieles ausprobieren, was für Männer reserviert ist. Im Stadion darf eine Frau auch einmal wüst schreien und fluchen. Alles, was rosa und zickig ist, hat im Stadion nichts verloren. Was mich fasziniert, ist der Zusammenhalt unter den Frauen und der ironische Umgang mit Sexismus. Frauenfanklubs nennen sich „Titten auswärts“ oder „Hooligänse“.

>> zum Interview im Standard

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"Ich glaube nicht, dass Fußball ohne Männlichkeitskult und den Ausschluss von Weiblichkeit möglich ist", sagt Ethnologin Almut Sülzle in einem Interview mit den Standard.

Drei Jahre lang ist Almut Sülzle in Fussballstadien auf Feldforschung gegangen. Sie steht kurz vor…

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Frauen in der Ethnologie: Habilitieren eine Maennersache?

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“Habilitieren? Das liegt Ihnen doch gar nicht als Dame.” Mit diesen Worten wurde Ulla Johansen, der späteren Professorin und Direktorin des Kölner Instituts für Ethnologie, von ihrem Habilitationswunsch abgeraten. Caro Kim schreibt in Ethmundo begeistert ueber das neue Buch Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie. Ein Handbuch von Bettina Beer.

Ethnologie ist eigentlich ein Frauenfach an der Uni. Caro Kim schreibt, dass die Rolle der Frauen in der Ethnologie lange uebersehen wurde. Schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren etliche Frauen von großer Bedeutung für unseres Fach. „Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie“ gibt Aufschluss über die Anfänge des Faches aus weiblicher Sicht.

Mehr als 100 Ethnologinnen und Ethnographinnen, die auf Deutsch veröffentlichten, bringt die Heidelberger Institutsleiterin Bettina Beer in ihrem Handbuch zusammen. Die aufgenommenen Frauen sind zwischen 1797 und 1930 geboren:

Durch zahlreiche Interviews mit Ethnologinnen oder mit ihren Nachkommen, Literaturrecherchen und Briefkontakte hat die Autorin in akribischer Arbeit eine beachtliche Sammlung von Lebensgeschichten zusammengestellt. Diese sagen nicht nur viel über die Frauen selbst aus, sondern geben ebenso Aufschluss über den damaligen Zeitgeist und die Etablierung des Faches in Deutschland.
(…)
Es liest sich weniger wie ein bloßes Nachschlagewerk, sondern enthält spannende Lebensgeschichten und Informationen über die Bedingungen von Lehre und Forschung in einer männerdominierten Wissenschaft.
(…)
Interessant sind die verschiedenen Wege, die die portätierten Frauen bestritten, um Berufstätigkeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Dabei gab es einige, die ganz im Gegensatz zu damaligen Konventionen, nie Kinder bekamen oder gar unverheiratet blieben. Selbst die „älteste“ Frau aus dem Handbuch und eine der ersten reisenden Frauen in Deutschland, Ida Pfeiffer, geboren 1797, war allein erziehende Mutter zweier Kinder und wartete mit ihren Reisen bis ihre Söhne aus dem Haus waren.

Das Verständnis der Ethnologie im Kolonialismus und Nationalsozialismus wird im Handbuch auch dargestellt. Die meisten Frauen standen dem Kolonialsystem jedoch unkritisch gegenüber. Wir erfahren auch, dass viele der frühen Ethnologinnen ihrer Zeit voraus waren und sich mit genderspezifischen Fragestellungen beschaeftigten.

>> zur Buchbesprechung in Ethmundo

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“Es gibt nichts Gutes, ausser Frauen tun es” – Fundamentalismus in der Forschung

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Journal Ethnologie 3/2007 über weibliche Genitalbeschneidung in Afrika

Weltweit sind 150 Millionen Mädchen und Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Journal Ethnologie widmet sich diesem Thema mit mehreren Texten in der neuesten Ausgabe. Obwohl dieses Ritual “lebenslanges Leiden für die Betroffenen mit sich bringt”, besteht es weiter. Warum? Weil es sich um einen Brauch handelt, dessen Missachtung mit sozialer Ächtung bestraft wird, schreibt Petra Schnüll. Weitere Begründungen beruhen auf Mythen und Überlieferungen, medizinischer Unkenntnis und missinterpretierten Islam:

Dabei hat sich gezeigt, dass gesetzliche Verbote zwar durchaus Signalwirkung besitzen, doch ohne flankierende Maßnahmen weitgehend wirkungslos bleiben. Um ein allgemeines Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen und ein Umdenken zu erreichen, kann also nur eines greifen: eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Tabuthema und sensible Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Als fundamentales Element im soziokulturellen Kontext kann das Problem nicht isoliert betrachtet werden; letztlich muss diese Arbeit mit dem Empowerment von Frauen einhergehen.

>> zu Petra Schnülls Text “Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika. Kulturelle Hintergründe einer folgenschweren Tradition”

Weitere Texte in Journal Ethnologie 3/2007 zu diesem Thema:

„Ein Ritual, das lebenslanges Leiden für die Betroffenen mit sich bringt“ – Ein Interview mit Mamouna Quedraogo von Regine Bouédibéla-Barro

Franziska Gruber: Genitalverstümmelung in Deutschland. Menschenrechte versus Tradition

Marion A. Hulverscheidt und Claudia Piccolantonio: Gesundheitliche Folgen weiblicher Genitalverstümmelung

Marion A. Hulverscheidt: Weibliche Genitalverstümmelung und die “Hottentottenschürze” Ein medizinhistorischer Diskurs des 19. Jahrhunderts

Weltweit sind 150 Millionen Mädchen und Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Journal Ethnologie widmet sich diesem Thema mit mehreren Texten in der neuesten Ausgabe. Obwohl dieses Ritual "lebenslanges Leiden für die Betroffenen mit sich bringt", besteht es weiter. Warum?…

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Lernen von den Yanomami-Müttern?

In manchen Laendern wurde gestern der Muttertag gefeiert und deshalb interviewte der FOCUS die Ethnologin Gabriele Herzog-Schröder zur Situation der Mütter bei den Yanomami in Venezuela.

“Frauen, die zugunsten ihrer Karriere auf Kinder verzichten, können hier zu hohem Ansehen und viel Geld kommen”, sagt sie. Die Entscheidung zwischen „Rabenmutter“ oder „Heimchen am Herd“, lesen wir, stelle sich für sie nicht. Sie koennen ihre Kinder bei fast allen Tätigkeiten um sich haben. Und wenn nicht, greife das soziale Netz (Familienzusammenhalt, Nachbarschaftshilfe, Frauensolidarität). Kinder übernehmen früh Verantwortung und seien, so die Ethnologin, stolz darauf, mithelfen zu können.

Wie immer wenn ueber Indianer geschrieben wird, werden Stereotype verbreitet. Die Journalistin schreibt “Naturgesellschaften sind einfach strukturiert”. (Es gibt keine Naturgesellschaften und auch von aussen “einfach” wirkende Gesellschaften koennen hoch komplex organisiert sein).

Auch die Ethnologin kommt mit einer problematischen Aussage:

„Wir lernen von den Yanomami-Müttern nicht, wie wir es besser machen können. Jede Kultur hat ihre eigene Strategie.”

Man kann vielleicht nicht alle Organisationsformen vom Regenwald in eine Millionenstadt 1:1 uebertragen, jede Uebertragungsmoeglichkeit grundsaetzlich auszuschliessen mit dem Hinweis, es handele sich um eine “andere Kultur”, grenzt schon an (kulturellen) Rassismus – vorausgesetzt das Zitat ist korrekt.

>> zur Geschichte im FOCUS

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“Leben wie in der Steinzeit” – So verbreiten Ethnologen Vorurteile

In manchen Laendern wurde gestern der Muttertag gefeiert und deshalb interviewte der FOCUS die Ethnologin Gabriele Herzog-Schröder zur Situation der Mütter bei den Yanomami in Venezuela.

"Frauen, die zugunsten ihrer Karriere auf Kinder verzichten, können hier zu hohem Ansehen und…

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