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Für eine andere Ökonomie: Deutschsprachige Medien entdecken David Graeber

Ein Themenbereich, in dem Ethnologen / Sozialanthropologen in letzter Zeit besonders brilliert haben ist Ökonomie – oder genauer gesagt, die “Finanzkrise”.

Einer der innerhalb des Fachs international bekanntesten (und vielleicht auch interessantesten) Ethnologen ist nun dabei, auch im deutschsprachigem Raum ausserhalb der Universitätsmauern ein Begriff zu werden: David Graeber.

Wie ethno::log letzte Woche meldete, ist in der FAZ ein längerer Aufsatz über Graebers neuestes Buch “Debt: The first 5000 years” erschienen.

Ein paar Tage später hat der Humanistische Pressedienst eine ältere Publikation Graebers hervorgekramt, und zwar Fragmente einer anarchistischen Anthropologie, die inzwischen auch auf deutsch erhältlich ist (das Original gibts auch gratis als pdf). Graeber wurde auch im ZEIT-Artikel Occupy-Bewegung: Wut, Liebe, Paranoia kurz erwähnt.

Und hier ein Interview mit Graeber auf 3sat:

Kulturzeit - 3sat - David Graeber - Schulden

Graeber ist in internationalen Mainstream-Medien durch die Occupy-Bewegung ein gefragter Interviewpartner geworden, wie Greg Downey in seinem Beitrag David Graeber: anthropologist, anarchist, financial analyst* auf dem Blog Neuroanthropology zusammenfasst.

SIEHE AUCH:

How anthropologists should react to the financial crisis

– Use Anthropology to Build A Human Economy

Ethnologen in die Volkswirtschaft!

“Similar to the Third World debt crisis” – David Graeber on ‘Occupy Wall Street’

David Graeber: There never was a West! Democracy as Interstitial Cosmopolitanism

Ein Themenbereich, in dem Ethnologen / Sozialanthropologen in letzter Zeit besonders brilliert haben ist Ökonomie - oder genauer gesagt, die “Finanzkrise”.

Einer der innerhalb des Fachs international bekanntesten (und vielleicht auch interessantesten) Ethnologen ist nun dabei, auch im deutschsprachigem Raum…

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– Lebensstil ein grösseres Problem als Bevölkerungswachstum

Im Deutschlandradio hat es ein interessantes Interview mit der Ethnologin Shalini Randeria von der Uni Zürich.

Reporter Matthias Hanselmann ist sehr auf das Bevölkerungswachstum in Indien und China als ein Problem fixiert: Mehr Armut `= mehr Naturzerstörung? Die Ethnologin widerspricht ihm. Die Forderung des Westens, den Bevölkerungsanstieg zu stoppen, findet sie falsch:

Nein, also es gibt keinen unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Armut. (…) Wir müssen von vornherein darauf achten, dass wir hier im Westen, Sie und ich, unseren Lebensstil ändern, nicht das Bevölkerungswachstum in Indien drosseln, weil die Armen in Indien verbrauchen kaum etwas im Vergleich zu dem, was Sie und ich täglich verbrauchen.

Also man muss sich die Größenordnung so vorstellen: Die Stadt New York verbraucht an einem Tag so viel Strom wie der ganze Kontinent Afrika. Das heißt, das Bevölkerungswachstum in Afrika kann so hoch sein, wie es will. Es führt nicht zum selben Energiekonsum.(…)

So lange wir alle mit dem Finger Richtung Indien und China zeigen und sagen, sie sollen ihr Bevölkerungswachstum bremsen, weil wir die falsche Problemdiagnostik haben, solange natürlich wird sich hier auch wenig ändern. Wir müssen einfach die Finger Richtung uns selber zeigen und sagen: Welchen Beitrag kann ich leisten? Nicht: Welchen Beitrag soll jemand anderes leisten?

Als der Reporter dann sagt “es kann ja nicht angehen, dass in der Unterschicht immer mehr Kinder geboren werden, um sich sozial abzusichern, und damit die Bevölkerung erst recht explodiert”, protestiert die Ethnologin:

Aber die Bevölkerung explodiert nicht. Erstens bin ich sehr, sehr allergisch gegen diesen Ausdruck. Das sind Menschen! Die explodieren nicht. Und zweitens, die Bevölkerung wächst, Menschen bekommen Kinder, weil sie diese Kinder möchten, oder sie bekommen welche, weil sie darauf bauen müssen, dass ihre Kinder sie im Alter versorgen, wenn man einen fehlenden Sozialstaat hat, dann ist man auf die Kinder angewiesen bei Krankheitsfall, im Alter. Man hat weder Rente noch Krankenversicherung.

Das heißt, man ist ökonomisch auf Kinder angewiesen, emotional haben Kinder einen großen Stellenwert, einfach auch in der Werteskala haben Kinder einfach eine andere Bedeutung als im Westen.

Sie erklärt auch wie problematisch Programme zur Bevölkerungskontrolle sind. Möchte man das Bevölkerungswachstum verlangsamen, solle man eher für eine Reduktion der Mutter- und Säuglingssterblichkeit sorgen.

Siehe auch frühere Beiträge über Shalini Randeria:

Die Gefahren des eurozentrischen Weltbildes

Ethnologin Shalini Randeria zum Kastensystem und Hindunationalismus

Auf dem Word Peope’s Blog werden einige ihrer früheren Publikationen vorgestellt

Im Deutschlandradio hat es ein interessantes Interview mit der Ethnologin Shalini Randeria von der Uni Zürich.

Reporter Matthias Hanselmann ist sehr auf das Bevölkerungswachstum in Indien und China als ein Problem fixiert: Mehr Armut `= mehr Naturzerstörung? Die Ethnologin widerspricht…

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Startschuss für eine politische Anthropologie der Schweiz

Kriminalisierung von Migration, Überwachungsstaat, neoliberaler Kapitalismus kontra Wohlfahrtsstaat, Patriotismus und die Zelebrierung von “Swissness”: Dies sind Themen, für die sich Ethnologen mehr engagieren sollten – auch in der Öffentlichkeit. Dies meinen die Mitglieder einer neuen Arbeitsgruppe der Schweizerischen Ethnologischen Gesellschaft (SEG).

“Angesichts der Ausschaffungsinitiative (2010) ist eine kritische Debatte über das gesellschaftspolitische Potential ethnologischer Forschung, Intervention und Reflexion ins Rollen gekommen”, schreibt Rohit Jain in einem Email.

Die SEG hat einer offiziellen Stellungnahme (pdf) ihre “Besorgnis über die Ausschaffungsinitiative, den Gegenvorschlag und die derzeitige politische Debatte in der Schweiz” zum Ausdruck gebracht:

Wir konstatieren eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit, welche sich in Diskussionen über die Behandlung ausländischer Straftäter und ihrer Familien, über baurechtliche Vorschriften für religiöse Gebäude und das Einbürgerungsprozedere manifestiert. Diese politischen Vorstösse verweisen auf eine systematische Ausgrenzung bestimmter Teile der Bevölkerung.

Wir sind der Meinung, dass es in der Ausschaffungsinitiative nicht um die Verringerung von Kriminalität geht – ebensowenig wie es in der Minarettinitiative um Minarette ging –, sondern um die Schaffung vereinfachter Feindbilder zum Zwecke des politischen Wahlkampfs und der Inszenierung staatlicher Durchsetzungskraft. Politische Scheingefechte wie die Ausschaffungsinitiative und der Gegenvorschlag verhindern die Auseinandersetzung mit den aktuellen globalen Herausforderungen und verschliessen Chancen für die Zukunft.

Aus dieser Initiative ist eine lose Arbeitsgruppe “Politische Anthropologie der Schweiz” entstanden. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, “kritische ethnologische/ethnographische Forschungsprojekte über die politischen Kulturen, Institutionen und Praktiken in der Schweiz anzuregen, unterschiedliche Formen von wissenschaftlichen/politischen Interventionen auszuloten sowie die Reflexion über das Fach Ethnologie – und die epistemologische Arbeitsteilung in der Schweiz generell – zu fördern. Die Arbeitsgruppe ist grundlegend interdisziplinär ausgerichtet und strebt einen breiteren wissenschaftlichen Austausch an.”

An der Jahrestagung der SEG am 25.26. November 2011 in Zürich soll nun an einem Panel eine erste ” Annäherung an eine politische Anthropologie der Schweiz” stattfinden.

Die Arbeitsgruppe würde sich über Beiträge freuen, siehe Call For Papers

SIEHE AUCH:

Swissness: Globalisierung macht Hirtenkultur cool

“Discuss politics!” – How anthropologists in Indonesia engage with the public

Keith Hart and Thomas Hylland Eriksen: This is 21st century anthropology

“Die soziale Produktion bösen Verhaltens muss wissenschaftlich untersucht werden”

Ausstellung “Crossing Munich”: Ethnologen für neue Perspektiven in der Migrationsdebatte

Erforschte das Leben illegalisierter Migranten

Why anthropology fails to arouse interest among the public – Engaging Anthropology by Thomas Hylland Eriksen

Kriminalisierung von Migration, Überwachungsstaat, neoliberaler Kapitalismus kontra Wohlfahrtsstaat, Patriotismus und die Zelebrierung von "Swissness": Dies sind Themen, für die sich Ethnologen mehr engagieren sollten - auch in der Öffentlichkeit. Dies meinen die Mitglieder einer neuen Arbeitsgruppe der Schweizerischen Ethnologischen Gesellschaft…

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Ethnologie und Militär: Unkritisches Interview mit Lanik im Schwäbischen Tagblatt

Mir ist soeben das Interview mit Bundeswehr-Ethnologin Monika Lanik im Schwäbischen Tagblatt zu ihrem umstrittenen Seminar Angewandte Ethnologie und Militär an der Uni Tübingen zugeschickt worden. Es ist nicht im Netz veröffentlicht worden.

Es ist ein eher zahnloses Interview, in dem Journalist Hans-Joachim Lang die Ethnologin nicht wirklich herausfordert. Im Gegenteil, gleich zu Beginn macht er sich über den Widerstand gegen das Seminar lustig:

TAGBLATT: Frau Lanik, Sie kommen von der Bundeswehr. Welche Methoden der Gehirnwäsche haben Sie sich ausgedacht, um die studentischen Teilnehmer Ihres Hauptseminars mit kriegstreibender Propaganda zu infiltrieren?

Lanik muss daraufhin freundlich lachen und antwortet dann:

Ich habe eine gut ausgewogene Literaturliste vorgelegt, einerseits mit Innenansichten aus dem Bereich „Ethnologie und Militär“, andererseits aber auch mit sehr kritischen Stimmen, die aus der Grundlagenforschung der Wissenschaft kommen. Ich will die Studierenden ermuntern, auch selbst im Internet zu recherchieren. Dort ist die Debatte dick vertreten. Die Seminarteilnehmer können dann selbst entscheiden, wie sie ihre Lektüre mit den Ergebnissen ihrer eigenen Recherchen anreichern.

Sie haben die Möglichkeit, ein sehr aktuelles Thema der Ethnologie zu bearbeiten und die Auslandsverpflichtungen der Bundeswehr zu bewerten. Mit allen Diskussionen, die damit verbunden sind, wie etwa interkulturelle Kompetenz in der Bundeswehr und ethnische Konflikte.

Auf die Frage, ob sie überrascht sei von der Resonanz, die ihr Seminar fand, sagt sie:

Was ich nicht erwartet hätte ist diese unglaubliche Polemik, mit der die Kritik verbreitet wird. Und was mir große Sorge macht, ist, dass die eigentliche Problematik verwischt wird. Die vorgetragene Kritik trifft nicht mehr die Kernfragestellung, nämlich ob die Ethnologie im militärischen Gebrauch etwas Gefährliches oder etwas Hilfreiches ist, und wie das kontrolliert werden kann.

Sie betont, dass sie das Seminar als Wissenschaftlerin und nicht als Bundeswehrangehörige leitet.

Wir erfahren einiges über ihre Karriere in der Bundeswehr. Diese startete vor sieben Jahren. Sie bewarb sich da auf eine Stelle für interkulturelle Lagebearbeitung am Zentrum für Nachrichtenwesen. “Damals”, so Lanik, “suchte die Bundeswehr Berater, die fähig waren, schnell und zuverlässig zu recherchieren und kulturelle Expertise für die Lagebewertung abzugeben.”

Ethnologen waren gefragt wegen den zunehmenden Auslandseinsätzen, erklärt sie:

Und im Verlauf der interkulturellen Beratung hat sich gezeigt, dass gerade die Ethnologie mit ihrer Kompetenz für nichtmoderne Gesellschaften eine wesentliche Qualifikation ist. Dies wird künftig um so wichtiger, je mehr asymmetrische Kriegsführung und Terrorismus im Focus militärischer Einsätze stehen.

(Interessant, dass sie den ethnozentrischen Begriff “nichtmoderne Gesellschaften” benutzt – we are all modern now)

Ethnologie ist in verschiedenen Bereichen der Bundeswehr gefragt:

Beispielsweise im Zentrum Innere Führung, in dem mehr und mehr interkulturelle Kompetenz verlangt wird. Dann auch in dem Bereich, in dem ich arbeite, Geoinformationswesen, in der die Schnittstelle sehr interessant ist zwischen Naturwissenschaft, Gesellschaftswissenschaft und entsprechender Expertise, die für weitergehende sicherheitspolitische Bewertungen bereitgestellt werden. Ein dritter sehr wichtiger Bereich ist die interkulturelle Beratung im Einsatz.

Lanik selber hat “sehr viel zu tun mit dem Themen Migration, ethnische Konflikte, Ressourcenkonflikte, die in Bezug stehen zu kulturell konnotierten Konflikten.”

Sie verteidigt die Zusammenarbeit von Ethnologie und Militär folgendermassen:

Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass mit einer ethnologischen Expertise, die Konflikte fachgerecht analysiert und die Ergebnisse wieder in die Ausbildung der Soldaten und des Führungspersonals der Bundeswehr einspeist, weniger gewalttätige Konfliktlösungswege von den Militärs beschritten werden. Und sie ist über alle Maßen hilfreich, um unnötiges Verschärfen und unnötiges Abrücken von zivilen Lösungsmöglichkeiten zu verhindern.

Ethnologie im Militär ist ihrer Meinung nach “kontrollierbar so lange die Kommunikation ins Fach aufrecht erhalten wird”.

Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 23.4.2010, Seite 29.

SIEHE AUCH:

Bundeswehr-Werbung im Ethnologie-Seminar?

Friedensbewegung protestiert gegen “Ethnologie und Militär” Seminar

Ethnologie und Militär: Der Protest hat genutzt

Immer mehr Ethnologinnen bei der Bundeswehr

Correction (and Update): “Army-Anthropologists don’t call Afghans “Savages”

Anthropology and CIA: “We need more awareness of the political nature and uses of our work”

Cooperation between the Pentagon and anthropologists a fiasco?

When should anthropologists work for the military?

Militarisation of Research: Meet the Centre for Studies in Islamism and Radicalisation

Mir ist soeben das Interview mit Bundeswehr-Ethnologin Monika Lanik im Schwäbischen Tagblatt zu ihrem umstrittenen Seminar Angewandte Ethnologie und Militär an der Uni Tübingen zugeschickt worden. Es ist nicht im Netz veröffentlicht worden.

Es ist ein eher zahnloses Interview, in…

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Ethnologie und Militär: Der Protest hat genutzt

In der Kontroverse um ein Hauptseminar einer Bundeswehrethnologin über Angewandte Ethnologie und Militärin Tübingen hat man sich auf einen Kompromiss geeignet. Der pensionierte Tübinger Ethnologe und Pazifist Volker Harms wird “als Korrektiv” am Seminar mitwirken, meldet das Schwäbische Tagblatt.

“Ich bin immer dabei und bringe weitere alternative, konträre Literatur ein. Und bemühe mich, dass sie von den Seminarteilnehmern auch zur Kenntnis genommen wird. In den Diskussionen werde ich mich dann auch einbringen”, sagt der Ethnologe.

Das Blatt unterhält sich ausführlich mit Harms über ethische Fragen in der Ethnologie. Der Ethnologe kritisiert u.a. die schwammige Ethik-Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (siehe früherer Beitrag dazu, besonders im Kommentarfeld).

Selber kann er es nicht billigen, dass ein Ethnologe für die Bundeswehr arbeitet – “zumindest nicht mit solchen Aufgaben wie der, fremde Gesellschaften zu erforschen und dann dieses Wissen dem Militär zur Verfügung zu stellen, das per Definitionem dieses Wissen gegen diese Gesellschaft nutzen will”.

Er hätte Bundeswehr-Ethnologin Monika Lanik keinen Lehrauftrag über Angewandte Ethnologie und Militär erteilt – obwohl sie sich als langjaehrige Kollegen sehr gut kennen. “Ich hätte ihr gesagt, dass es hier Grenzen gibt. Ich hätte nicht das Thema ausgeschlagen, sondern sie nur für einen Vortrag im Rahmen eines weiter gefassten Ethik-Seminar eingeladen.“

>> weiter im Schwäbischen Tagblatt

SIEHE AUCH:

Bundeswehr-Werbung im Ethnologie-Seminar?

Friedensbewegung protestiert gegen “Ethnologie und Militär” Seminar

The dangerous militarisation of anthropology

Cooperation between the Pentagon and anthropologists a fiasco?

In der Kontroverse um ein Hauptseminar einer Bundeswehrethnologin über Angewandte Ethnologie und Militärin Tübingen hat man sich auf einen Kompromiss geeignet. Der pensionierte Tübinger Ethnologe und Pazifist Volker Harms wird "als Korrektiv" am Seminar mitwirken, meldet das Schwäbische Tagblatt.

"Ich bin…

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