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“Freiwilligendienste verfestigen hierarchisches Weltbild”

Nach der Schule nach Afrika, um im Krankenhaus zu arbeiten oder beim Bau einer Schule zu mitzuhelfen? Solche “Entwicklungshilfe-Programme” können mehr schaden, erklärt Politikwissenschaftler und Ethnologe Wolfgang Gieler in einem Interview i Deutschlandradio.

Solch ein einseitiger Austauch – Menschen aus dem “reichen Westen” reisen in den “armen Süden”, um zu helfen – kann ein hierarchisches Weltbild verfestigen, also ein Weltbild, das den Westen als moralisch, technisch, kulturell etc überlegen definiert.

Gieler hat sich seit langem fachlich mit Freiwilligendiensten beschäftigt – nicht nur theoretisch. Er betreut selbst Studentengruppen, die in Ghana oder in Burkina Faso Freiwilligendienste leisten.

Er versucht eine andere Perspektive zu vermitteln: Die jungen Leute aus Deutschland gehen ins Ausland, um dort etwas zu lernen, und nicht, um zu helfen.

Er macht sich stark für mehr Gleichwertig-Gleichrangigkeit:

Die Argumentation beispielsweise, zehntausende freiwillige Deutsche zu entsenden, um dann auch im entwicklungspolitischen Bereich tätig zu werden, könnte dahingehend aufgebrochen werden, dass etwa 5.000, die Hälfte, Deutsche entsandt werden und umgekehrt dann 5.000 Kinder, Jugendliche aus den Südländern nach Deutschland kämen, um hier etwa im Bereich Schule oder im Bereich gemeinsamer Projekte zu arbeiten.

>> zum Interview im Deutschland Radio

In einem Folgebeitrag nimmt Jürgen Wilhelm von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Stellung zu Gielers Kritik. Die GIZ hat in den letzten drei Jahren 10.000 junge Menschen mit ihrem Freiwilligendienst “weltwärts” ins Ausland geschickt.

Wllhelm kann Gielers Kritik nicht nachvollziehen, findet seinen Vorschlag, Jugendliche aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, jedoch gut. “Da spricht mir Herr Gieler aus der Seele, das ist ein ganz klarer Wunsch immer an die Bundesregierung gewesen.”

Wie wärs z.B. wenn die GIZ junge Leute aus Ägypten holt, um Deutschland Entwicklungshilfe in Demokratie zu leisten?

NEU (25.7.11): Der Paderborner Religionspädagoge Johannes Niggemeier kennen, Gründer und Vorsitzender der Brasilieninitiative Avicres nimmt zur Kritik Stellung.

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Solch ein einseitiger Austauch - Menschen…

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Startschuss für eine politische Anthropologie der Schweiz

Kriminalisierung von Migration, Überwachungsstaat, neoliberaler Kapitalismus kontra Wohlfahrtsstaat, Patriotismus und die Zelebrierung von “Swissness”: Dies sind Themen, für die sich Ethnologen mehr engagieren sollten – auch in der Öffentlichkeit. Dies meinen die Mitglieder einer neuen Arbeitsgruppe der Schweizerischen Ethnologischen Gesellschaft (SEG).

“Angesichts der Ausschaffungsinitiative (2010) ist eine kritische Debatte über das gesellschaftspolitische Potential ethnologischer Forschung, Intervention und Reflexion ins Rollen gekommen”, schreibt Rohit Jain in einem Email.

Die SEG hat einer offiziellen Stellungnahme (pdf) ihre “Besorgnis über die Ausschaffungsinitiative, den Gegenvorschlag und die derzeitige politische Debatte in der Schweiz” zum Ausdruck gebracht:

Wir konstatieren eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit, welche sich in Diskussionen über die Behandlung ausländischer Straftäter und ihrer Familien, über baurechtliche Vorschriften für religiöse Gebäude und das Einbürgerungsprozedere manifestiert. Diese politischen Vorstösse verweisen auf eine systematische Ausgrenzung bestimmter Teile der Bevölkerung.

Wir sind der Meinung, dass es in der Ausschaffungsinitiative nicht um die Verringerung von Kriminalität geht – ebensowenig wie es in der Minarettinitiative um Minarette ging –, sondern um die Schaffung vereinfachter Feindbilder zum Zwecke des politischen Wahlkampfs und der Inszenierung staatlicher Durchsetzungskraft. Politische Scheingefechte wie die Ausschaffungsinitiative und der Gegenvorschlag verhindern die Auseinandersetzung mit den aktuellen globalen Herausforderungen und verschliessen Chancen für die Zukunft.

Aus dieser Initiative ist eine lose Arbeitsgruppe “Politische Anthropologie der Schweiz” entstanden. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, “kritische ethnologische/ethnographische Forschungsprojekte über die politischen Kulturen, Institutionen und Praktiken in der Schweiz anzuregen, unterschiedliche Formen von wissenschaftlichen/politischen Interventionen auszuloten sowie die Reflexion über das Fach Ethnologie – und die epistemologische Arbeitsteilung in der Schweiz generell – zu fördern. Die Arbeitsgruppe ist grundlegend interdisziplinär ausgerichtet und strebt einen breiteren wissenschaftlichen Austausch an.”

An der Jahrestagung der SEG am 25.26. November 2011 in Zürich soll nun an einem Panel eine erste ” Annäherung an eine politische Anthropologie der Schweiz” stattfinden.

Die Arbeitsgruppe würde sich über Beiträge freuen, siehe Call For Papers

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Die Gefahren des eurozentrischen Weltbildes

(LINKS AKTUALISIERT 8.4.2020) Europäer sehen sich gerne als die Krönung der Schöpfung. Immer wieder hört man die Behauptung, Demokratie und Menschenrechte seien “westliche Werte”. In einem Interview mit dem ORF spricht Sozialanthropologin Shalini Randeria von der Uni Zürich über die Gefahren eines solchen eurozentrischen Weltbildes:

Mit welcher Glaubwürdigkeit können westliche Regierungen in Libyen – angeblich zum Schutz der Zivilbevölkerung – eingreifen, die für hundert Tausende zivile Tote im Irak mitverantwortlich sind?

Aber in Ländern des Nahen Ostens gibt es eine Sehnsucht in weiten Teilen der Bevölkerung nach politischer Teilhabe, gerechter Verteilung, Menschenwürde und Demokratie. Das allerdings sind nicht nur westliche Werte, die von Altertum oder Christentum direkt abgeleitet werden können. Säkularismus, Zivilgesellschaft und Demokratie in Europa sind das Ergebnis eines jahrhundertelangen Kampfes gegen die Kirche und die absolute Herrschaft gewesen.

Ich glaube, in jeder Gesellschaft gibt es eigene Vorstellungen von Gerechtigkeit. Und was nach dem “arabischen Frühling” zustande kommen wird, ist wahrscheinlich keine französische oder britische Demokratie.

Die Forscherin erinnert auch daran, dass westliche Regierungen bis vor kurzem gute Geschäfte mit Diktatoren wie Gaddafi gemacht haben. Diese Regierungen dürfen sich jetzt “nicht aus der Verantwortung für die Flüchtlinge aus Libyen stehlen”.

Noch mehr Doppelmoral:

In Europa führt man Steuererleichterungen für deutsche oder französische Kinder ein, während die vermeintliche Überbevölkerung der “Anderen” als globales Problem dargestellt wird. Zu viele sind immer die Anderen, seien es die Migranten in Europa oder die Armen in den Entwicklungsländern.

>> weiter beim ORF

Auf ihrer Webseite gibt es Interessantes zu lesen. Ich hatte sie früher einmal erwähnt, siehe Ethnologin Shalini Randeria zum Kastensystem und Hindunationalismus, dort befindet sich auch ein Link zu einem Interview mit ihr in der Zeit: Asien ist längst weiter.

Auf YouTube ist sie mit zwei Videos vertreten:

In diesem Streitgespräch “Die Zukunftsthemen der Wissenschaft” kritisiert sie unter anderem mangelde Diversität an den Unis. Die Lehrenden und Forschenden seien “männlich, weiss und relativ alt”.

HU200: Erstes Humboldt-Streitgespräch "Die Zukunftsthemen der Wissenschaft"

Und hier ist ein Vortrag über Globalisierung und Ungleichheit: ‪Breaking the Wall of Privatisation of the Commons. How anthropology can help understand global entanglements:

Shalini Randeria - Breaking the Wall of Privatisation of the Commons @Falling Walls 2010

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“Internet verändert Organisation der Menschheit”

Das Internet wird zu einem grundlegenden Wandel menschlicher Selbstorganisation führen. Die traditionelle, ortsgebunde Gesellschaft ist ein “Auslaufmodell”. An ihre Stelle treten global verstreute Netze.

Das meint Manfred Faßler, Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Goethe Universität in Frankfurt, lesen wir auf futurezone.at.

Technologische und wirtschaftliche Entwicklungen werden künftig in globalen Netzwerken organisert. Die Nationalstaaten werden vom Netz auskonkurriert. Staatliche Versuche, das Netz und die Informationsströme zu regulieren, seien Ausdruck dieses Hegemoniekonflikts, so Faßler.

Im ORF gibt es ein längeres Interview mit dem Medienforscher “über Chancen und Grenzen der Selbstorganisation im Netz, die Zensurversuche des Nicolas Sarkozy und über die Zukunft von Kaninchenzüchtervereinen”.

Manfred Faßler war in der Diskussionreihe “twenty.twenty – Exploring the Future” im HUB Vienna zu Gast. Die Videodokumentation seines Vortrags soll im Laufe des Tages auf der Website von twenty.twenty zu sehen sein.

Doch sind nicht einige dieser globalen Strukturen längst Wirklichkeit und haben schon vor dem Internet existiert? Gleichzeitig haben Nationalstaaten an Bedeutung gewonnen, was wir u.a. in der Migrationspolitik sehen.

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Ethnographic study: Social network sites are “virtual campfires”

Wider den Kulturenzwang, für mehr Transkulturalität

Die missverstandende kulturelle Globalisierung

– Highlight the connections between people!

Das Internet wird zu einem grundlegenden Wandel menschlicher Selbstorganisation führen. Die traditionelle, ortsgebunde Gesellschaft ist ein “Auslaufmodell”. An ihre Stelle treten global verstreute Netze.

Das meint Manfred Faßler, Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Goethe Universität in Frankfurt,…

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“Leben doch nicht im Einklang mit der Natur”

(via ethno::log) Die Süddeutsche räumt in einem längeren Artikel mit dem “Märchen über den edlen Wilden ab”.

“Die Ureinwohner Amerikas gelten als Menschen, die im Einklang mit der Natur lebten. Doch das war keineswegs der Fall. Mitunter zerstörten sie sogar ihre eigene Lebensgrundlage”, schreibt Sebastian Herrmann, der eine grosse Menge an Quellen zusammengetragen hat, u.a. auch Artikel in Ethnologiezeitschriften.

Diese Klischees sind weit verbreitet, teils auch innerhalb des Faches Ethnologie. Die Klischees sagen mehr aus über die Sehnsüchte der Europäer als über die Indianergesellschaften. Doch es stimmt natürlich auch, und darauf wird im SZ-Artikel auch hingewiesen, die grössten Schäden an der Umwelt richten selbstverständlich die Industriestaaten an. Diverse Ureinwohnergruppen benutzen diese Klischees in ihrem Kampf um Anerkennung.

>> weiter in der SZ

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Die faz träumt von edlen Wilden

Romantisierungen am “Internationalen Tag der indigenen Völker”

“Wie findet man Naturvölker?”

Die zweifelhalften Kampagnen von Survival International

Ethnologen kritisieren Berichterstattung über “isolierte Urwaldvölker”

In Norwegian TV: Indian tribe paid to go naked to appear more primitive

“Untouched” Amazone hosted large cities

(via ethno::log) Die Süddeutsche räumt in einem längeren Artikel mit dem "Märchen über den edlen Wilden ab".

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