Vor zwei Jahren brachte Ethnologe Christoph Antweiler seinen Wälzer “Was ist den Menschen gemeinsam” heraus. Soeben ist die populärwissenschaftliche Version auf den Markt gekommen “Heimat Mensch. Was uns alle verbindet“.
Fast ohne Fremdwörter bespricht der Ethnologe von der Uni Bonn zwölf Universalien alltagsnah. Das Kapitel über Initiationen z.B. beginnt er mit der Schilderung seiner Habilitation. Dieses akademische Initiationsritual stellt er einem Initiationsritual bei den australischen Aborigines gegenüber. Solche Riten gibt es überall auf der Welt - auch in der Uni also.
“Die vermeintlich “ganz anderen” Kulturen sind bei genauem hinsehen oft verblüffend gleich und diese Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen sind oft viel fundamentaler", schreibt Antweiler in der Einleitung:
“Trotz aller Unterschiede können wir wir uns aber erstaunlich leicht mit Menschen aus wildfremden Kulturen verständigen. Über manche Witze wird überall gelacht. Bei Menschen unterschiedlichster Herkunft finden wir die gleichen Überzeugungen.”
Er distanziert sich von jenem Multikulturalismus, der meint, wir würden in verschiedenen Welten leben. Er sagt wir sind eine Menschheit und wir leben in einer Welt.
Interessanterweise hält Antweiler an dem viel gescholtenen Begriff “Kulturen” fest, auch wenn er einräumt, dass “in der multikulturellen Gesellschaft immer mehr Menschen auch mehrere Kulturen im Gepäck” haben.
Leider erklärt er diesen zentralen Begriff, der zu vielen Missverständnissen führt (Kulturfalle), nicht. Kultur bleibt in der Einleitung eine mystische Grösse, doch offenbar ein Synonym für “Nation” oder “ethnische Gruppe".
Misstrauisch macht mich seine Behauptung “Wo gibt es denn neben Norwegen und Bangladesh noch einen kulturell einheitlichen Staat?” Gewiss hat Bangladesh keine grossen Gruppen mit ethnischen Minderheiten (98% sind laut offizieller Statistik Bengali), doch das Land besteht aus rundt 150 Millionen Menschen und es gibt riesige Klassenunterschiede - wie lässt sich da von einer kulturell einheitlichen Bevölkerung reden? Norwegen ist ein langestrecktes Land mit grosser regionaler Vielfalt und war seit Jahrhunderten ein melting pot verschiedener Nationalitäten.
Der Verlag hat mir das Buch erst vor kurzem zugeschickt. Ich hab bisher nur Auszüge gelesen und bin daher gespannt auf die vielen Beispiele in den Kapiteln über Zeit, Sprache, Ethno-Pop, Sex und Moral, Heimat, Kunst, Gefühle und Macht. Gerade bin ich beim Kapitel “Gewaltverherrlichung und Konfliktvermeidung". Da räumt der Ethnologe mit dem weitverbreitenden Vorteil auf, kulturelle Vielfalt führe zu Konflikten:
Kulturelle Vielfalt in einer Gesellschaft ist nicht automatisch ein Konfliktfaktor, ebenso wenig wie bestehende Stereotypen über fremde Gruppen. Der zentrale Konfliktmotor ist strukturell fehlende Anerkennung, die sich in dem Gefühl äussert: “Wir haben keine Stimme.” Scharf gemacht werden die Unsicherheit im Umgang an kulturellen Rändern und der fast universale Ethnozentrismus durch den strategischen Einsatz der kulturellen Unterschiede. Kollektive Identität ist die global eingesetzte Waffe im Kampf um Anerkennung.
Beim Murmann-Verlag ist übrigens ein kurzes Interview mit Antweiler zu sehen.
Das Buch hat bisher noch kein grosses Medienecho hervorgerufen. Antweiler war jedoch zu Gast beim WDR.
Ich hatte Christoph Antweiler vor zwei Jahren interviewt, siehe Mehr Fokus auf die Gemeinsamkeiten der Menschen! - Interview mit Christoph Antweiler. Sein Buch “Was ist den Menschen gemeinsam” (2007) ist u.a. auf rezensionen.ch und socialnet besprochen worden. Das Buch ist inzwischen ausverkauft und eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage ist soeben bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen.
Ist die Veröffentlichung dieses für Laien verständlichen Buches ein Zeichen dafür, dass Ethnologie sich mehr in die Öffentlichkeit wagt? Neben diversen Initiativen im Netz sind in letzter Zeit mehrere populär geschriebene Bücher herausgekommen, u.a. Maxikulti - Der Kampf der Kulturen ist das Problem - zeigt die Wirtschaft uns die Lösung? von Joana Breidenbach und Pál Nyíri sowie Kölner Stammbaum. Zeitreise durch 2000 Jahre Migrationsgeschichte von Erwin Orywal.
AKTUALISIERUNG: Der Spiegel interviewt Christoph Antweiler zum Buch
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