Seminararbeiten verstauben oft in Schubladen. Wiener Sozialanthropologie-Studentinnen dagegen haben aus den Arbeiten ein Buch gemacht. Es hat den Titel “Das Fremde: Konstruktionen und Dekonstruktionen eines Spuks“.
Ich habe mich mit den beiden Redakteurinnen Stephanie Krawinkler und Susanne Oberpeilsteiner, Studierende der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, kurz per email unterhalten
antropologi.info: Wieso (noch) ein Buch ueber Fremde?
Stephanie Krawinkler und Susanne Oberpeilsteiner: Unser Sammelband umfasst 6 Beiträge, die in verschiedenen interdisziplinären Feldern angesiedelt sind: Philosophie, Psychologie, Wirtschaft, Politik, Geschichte – immer kombiniert mit einer kultur- und sozialanthropologischen Perspektive. Diese Interdisziplinarität ist eher ungewöhnlich und bietet daher einen neuen Zugang zum Thema. Uns war es ein Anliegen aufzuzeigen, welchen Beitrag Kultur- und SozialanthropologInnen in diesen Feldern leisten können.
Die Auseinandersetzung mit dem, was fremd ist, führt unweigerlich zur Frage nach Grenzen und der Überschreitung dieser Grenzen - was unserer Meinung nach auch für die Wissenschaften gelten sollte. Durch die interdisziplinären Beiträge möchten wir zeigen, dass besonders junge WissenschafterInnen ein Interesse haben über die Disziplingrenzen hinaus zu arbeiten und dabei den anthropologischen Fokus vertreten können.
Ueber welche Fremden schreibt Ihr und warum redet Ihr von einem Spuk?
DAS Fremde gibt es nicht. Es steht immer im Kontrast zum Eigenen und daher ist das Fremde auch für jede Person anders definiert. Den Texten liegt keine gemeinsame Definition des Fremden zu Grunde. Ein Spuk ist etwas, das man sich rational nicht erklären kann. Auf unseren Untertitel übertragen meint Spuk weniger genaues Wissen, als vielmehr eine Ahnung bzw. eine Annahme.
Dies trifft unserer Meinung gerade auf das Thema “Das Fremde” zu. Ein Stammtischthema, zu dem viele meinen, sie müssten mitreden – ohne sich mit “dem Fremden” direkt auseinanderzusetzen, ohne zu definieren, was damit gemeint ist. Jeder spricht über etwas anderes. Durch konkretes Hinschauen auf “Das Fremde” kann der Spuk dekonstruiert werden.
So zeigen etwa der Beitrag über Kritische Diskursanalyse und jener über die Begegnung zwischen Afrikanern und ÖsterreicherInnen in der Nachkriegszeit auf, wie diffuse Vorstellungen vom Fremden den Umgang mit ihnen im Alltag bestimmen. Mithilfe eines psychoanalytischen Zugangs macht die Autorin des Beitrags über einen Fanta-Werbespot deutlich, wie verdrängte Bedürfnisse dem Fremden zugeschrieben werden: Bamboocha, ein an sich inhaltsleerer Begriff, wird in Verbindung mit den Tugenden der Bevölkerung Hawaiis gebracht und im Rahmen des Werbespots auch mit Fanta gleichgesetzt. Durch den Kauf von Fanta können KonsumentInnen jene Bedürfnisse befriedigen, die sie in der westlichen, von Kapitalismus und Wettbewerb geprägten Gesellschaft verdrängen mussten.
In allen drei Beiträgen werden durch die Thematisierung der Fremdzuschreibungen die in den Köpfen der Menschen herumspukenden Vorstellungen vom Fremden dekonstruiert.
Hat das Buch eine Hauptaussage? Bietet ihr “Loesungen” oder alternative Perspektiven auf “die Fremden” an?
Das Buch bietet keine direkten Lösungen an. Einige Beiträge zeigen Dekonstruktionsmöglichkeiten auf, manche schlagen vor, die verwendeten Begriffe zu überdenken, – etwa zu hinterfragen, was man unter „Kultur“ tatsächlich versteht – eine isolierte Einheit, zu der man dazugehört oder nicht, oder einen Sinn- und Deutungshorizont, der allen offen steht; je nach Definition ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für Konzepte des Multikulturalismus.
Wieder andere Beiträge verweisen auf die Vorteile, die Vielfalt mit sich bringt und wie diese auch im Unternehmen sichtbarer gemacht und gefördert werden kann. Im Sinne der Kritischen Diskursanalyse machen alle Beiträge auf die Konstruiertheit „des Fremden“ aufmerksam, und darauf, dass man – je nach Perspektive – auch selbst der/die Fremde sein kann. Nur wenn man weiß, was man selbst und die Gesprächspartner unter diesem Begriff verstehen, kann man sich sinnvoll damit auseinandersetzen.
Habt Ihr schon mal ein Buch herausgegeben? Es ist, nehme ich an, nicht gerade alltaeglich, dass Studenten ein Buch herausgeben? Wie habt Ihr das auf die Reihe gekriegt? Ein langer muehsamer Prozess oder einfacher als man denkt?
Wir hatten keine Herausgeberinnenerfahrung als wir mit dem Projekt begannen. Dass Studierende ein Buch herausgeben ist nicht sonderlich alltäglich. So gab es zu Beginn auch etliche Unkenrufe, dass wir keinen Verlag und keine Förderer finden würden.
Doch die Skeptiker behielten nicht recht, unser Optimismus war überzeugend: Der LIT-Verlag hatte Interesse an unserem Manuskript und die Stadt Wien, das Land Vorarlberg, die Österreichische HochschülerInnenschaft und die Institutsgruppe Kultur- und Sozialanthropologie förderten unser Publikationsprojekt.
Von der Idee bis zur Verwirklichung sind beinahe 1,5 Jahre vergangen. In dieser Zeit wurden die Texte von den AutorInnen intensiv überarbeitet, der Verlag gesucht, die Finanzierungsanträge geschrieben, das Buch lektoriert und gelayoutet. Der Verein fokus_irrt hat uns über diesen Zeitraum hinweg unterstützt und uns viele Tipps zum Thema Veröffentlichung gegeben. Es war ein langer, arbeitsintensiver Weg – aber wir finden es hat sich gelohnt!
Besteht das Buch aus Seminararbeiten oder wurden die Texte extra fuer das Buch geschrieben?
Die Basis für die Beiträge wurde im Sommersemester 2006 im Rahmen eines Seminars erarbeitet. Begeistert von der Vielfalt der thematischen Inhalte und der intensiven Auseinandersetzung, wollten wir die Texte nicht nach der Benotung in der Lade bzw. in den PCs ‘verstauben’ lassen.
Als sich unsere Idee der Veröffentlichung konkretisierte, wurden die besten Seminararbeiten vom Seminarleiter Herrn Mag. Karall ausgewählt. Wir konnten dann die AutorInnen für unser Projekt begeistern.
Die Texte wurden zu einem Artikelentwurf umgearbeitet. In weitere Folge kontaktierten die AutorInnen erfahrene WissenschafterInnen und ersuchten Sie um eine Art review. Daraufhin wurden die Texte überarbeitet. Im Frühjahr 2008 folgte ein weiterer Qualitätskontrollschritt: KollegInnen vom Verein fokus_irrt haben die Texte nochmals lektoriert (reviewed). Nach einem weiteren Überarbeitungsschritt folgte eine letzte Kontrolle der Einarbeitungen bevor es ans Layouten ging.
An wen wendet sich das Buch? Ist es ein Fachbuch oder ist es allgemeinverstaendlich geschrieben?
Das Buch richtet sich an Studierende und Interessierte mit unterschiedlichstem fachlichen Hintergrund, die einen außergewöhnlichen Querschnitt zum Thema “Das Fremde” lesen möchten. Sprachlich richten sich die Texte nicht an ein rein ethnologisches Publikum – so haben wir auch darauf geachtet, kultur- und sozialanthropologische Fachbegriffe zu erklären. Der Sammelband ist vor allem für all jene interessant, die sich über die Grenzen ihrer Disziplin hinaus mit dem Thema beschäftigen wollen.
Hier ist das Inhaltsverzeichnisses des Buches, das vor ein paar Tagen im Lit-Verlag erschienen ist:
- Peter H. Karall: Vorwort
- Stephanie A. Krawinkler & Susanne Oberpeilsteiner: Einleitung
- Caroline Purps: Die Kritische Diskursanalyse
- Aleksandra Kolodziejczyk: _wien ist eine weltoffene stadt_
- Susanne Oberpeilsteiner: Konzepte von Multikulturalität und Multikulturalismus
- Stefan Weghuber: Begegnungen zwischen Afrikanern und ÖsterreicherInnen um 1945, am Beispiel Vorarlbergs
- Stephanie A. Krawinkler: Diversity Management
- Hanna M. Klien: Was ist Bamboocha?
AKTUALISIERUNG: Siehe auch meine Rezension des Buches: Buchbesprechung: Unser merkwürdiger Umgang mit "Fremdem"
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