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Vuvuzelas und das ungleiche Verhältnis zwischen Nord und Süd

Foto: Axel Bührmann, flickr

Die WM scheint Ethnologen zu inspirieren. Mehr und mehr Ethnologen äussern sich zur WM in Süd-Afrika, nun auch zu den Vuvuzelas, den Plastiktrompeten, die manchen Fussball-Fans im Norden am liebsten verbieten würden.

Ja, sie sind laut, doch so ist das immer in Fussballstadien. Ist es so schwierig andere Traditionen respektieren? Ist hier ein (antidemokratischer) Trend zu beobachten in West- und Nordeuropa, wo Traditionen, die man nicht mag oder versteht (wie Hijab oder Burqa) versucht zu verbieten?

Doch nun bekommt das Anti-Vuvuzela-Lager Hilfe von zwei Südafrika-Experten. “Kulturlüge: Vuvuzelas sind reiner WM-Marketinggag. Fans gehen vorgegaukeltem Bezug auf Tradition auf den Leim”, meldet die Agentur pressetext.

Gero Erdmann vom Leipzig-Institut für Globale und Regionale Studien sagt:

Die Vuvuzela ist noch sehr jung und wurde vor neun Jahren erfunden. Das traditionelle Instrument, auf das sich der Erfinder in der Vermarktung bezieht, war in der Kultur kaum präsent.

Der Würzburger Musikethnologe Bernd Clausen meint auch, der Anschluss an traditionelle Musikinstrumente sei weitgehend aus der Luft gegriffen und spricht von einem Marketing-Gag.

Doch auch junge Traditionen haben Bedeutung. Vielleicht hätten den deutschen Forscher postkoloniale Perspektiven gut getan?

Graham Hough-Cornwell hat den Diskurs vor allem auf Twitter analysiert und schreibt auf anthropologyworks:

A large portion of the tweets fall along Westerners vs. Africa, neo-imperial fault lines. Some see the vuvuzela issue as Westerners trying to control an important part of South African sporting culture

Er kritisiert auch den “Ethnozentrismus” der Kritiker, die meinen Vuvuzelas “ruinierten die traditionelle Fussballatmosfäre” mit Supportergesängen:

This particular Twitter user fails to recognize that different parts of the world have their own fan traditions, and the songs and chants familiar to many European audiences may not be so “traditional” elsewhere. In other places, drums or horns — a variation on the vuvuzela, the corneta, is popular in Latin America — might create the sound of a soccer match.

Sind es eigentlich nur die Südafrikaner, die mit den Vuvuzelas heruntröten, fragt Norman Schräpel auf wildesdenken.de? Keineswegs. Alle Nationen tröten. “Schlagen die ehemals Kolonialisierten zurück? Ja, denn die Welt trötet mit und das ist gut so”, meint der Ethnologe.

Derweil untersucht Ethnologe Matthias Gruber einen anderen Aspekt der WM, der das ungleiche Verhältnis zwischen Nord und Süd problematisiert: gefälschte Markenartikel, sogenannte Fong Kongs. Darunter befinden sich auch Trikots. Der Preis eines Original-Trikot kostet in einem Sportgeschäft in Abidjan 35 000 Francs (knapp 54 Euro) – mehr als ein durchschnittlicher Monatsverdienst, erfahren wir im Handelsblatt. Kein Wunder also, , dass die große Nachfrage nach den Hemden der Nationalmannschaft eine ganze Fälscherindustrie hervorgebracht hat

Der Handel mit Fong Kongs sei seit der Weltmeisterschaft auf Druck der Fifa zur Zielscheibe täglicher Polizeieinsätze gegen Händler und Kunden geworden. Verkäufer würden abgeführt, die Waren vernichtet, berichtet der Ethnologe:

“Diese Einschränkungen werden von vielen als ungerecht wahrgenommen und als Beispiel asymmetrischer Hierarchien zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden verstanden.”

Von Matthias Gruber gibt es auch den Text Fussball in Südafrika (Journal Ethnologie)

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Foto: Axel Bührmann, flickr

Die WM scheint Ethnologen zu inspirieren. Mehr und mehr Ethnologen äussern sich zur WM in Süd-Afrika, nun auch zu den Vuvuzelas, den Plastiktrompeten, die manchen Fussball-Fans im Norden am liebsten verbieten würden.

Ja, sie sind laut, doch…

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(aktualisiert) Ethnologen: WM-Berichte verbreiten Vorurteile über Afrika

Man soll nicht sagen, Ethnologen würden sich nicht in aktuelle Debatten einbringen. Barbara Meier und Arne Steinforth von der Uni Münster nutzten die Fussball-WM, um einen Dauerbrenner im Fach öffentlich zu diskutieren: die exotisierende Darstellung Afrikas in den Medien.

“Noch ehe der Startschuss zur Fußball-Weltmeisterschaft (WM) in Südafrika gefallen ist, häufen sich die Schauermärchen über archaische „okkulte Praktiken“ im afrikanischen Fußball in den deutschen Medien”, schreiben sie. In vielen Berichten “fertigen die Medien einen ganzen Kontinent als irrational, archaisch und abstoßend ab und bestätigen längst überholte Vorurteile”. Die Medien hätten eine grosse Chance vertan, das Interesse an Gesellschaften Afrikas mit differenzierten Berichten zu wecken:

Schon die Wortwahl mancher Berichte zum Thema „Magie im Fußball“ diskriminiert einen ganzen Kontinent. Afrika mit seinen 53 Staaten, Tausenden von unterschiedlichen Gesellschaften und ebenso vielen Sprachen wird darin zur Heimat von nicht näher be- stimmten „Stämmen“, die ihr Schicksal blind in die Hände von „Hexenmeistern“ und „Scharlatanen“ legen. Viele Berichterstatter haben offenbar einen eingeschränkten Einblick in die Gesellschaften, über die sie schreiben – bedienen aber zuverlässig die Vorurteile ihrer Leser. Dadurch verkaufen sie ein exotisches Afrikabild, das dem der „Wilden“ und „Kannibalen“ aus Kolonialtagen in nichts nachsteht.

“Spirituelles Doping” vor dem Fussballmatch gibt es natürlich in Afrika. Aber nicht nur dort. Fußball ist überall auf der Welt von einer Vielzahl von Ritualen umgeben, auch in Deutschland:

Auch in Deutschland knüpfen Spieler, Trainer oder sogar Fans und Vereine Beziehungen zur Welt des Religiösen, wenn sie um sportlichen Erfolg ringen: Spieler berühren beim Einlaufen ins Stadion aus offenbar unerfindlichen Gründen die Seitenauslinie, ihre Brust oder ihre Stirn; Trainer tragen wochenlang rätselhafte Glückskrawatten; Fans empfinden es als Unheil verheißendes Sakrileg, ihre Fan-Trikots während der Saison zu waschen. Fußballvereine machen religiöse Führer zu Vereinsmitgliedern, richten eigene Friedhöfe für Fans ein, oder sie bauen christliche Kapellen in das spirituelle Zentrum ihrer Stadien – genau unter dem Anstoßpunkt.

>> zum Beitrag von Barbara Meier und Arne Steinforth. Mehrere Medien berichteten darüber, u.a. Focus, Stern und die Sueddeutsche (siehe vollstaendiger Medienspiegel).

Doch sind die Ethnologen so viel besser als die Medien? Afrikanet.info hat in den vergangenen Tagen viel über das Afrikabild in den Medien geschrieben. Im Beitrag Selbstbilder vs Fremdbilder stellt Simon Inou das “Afrika der Ethnologen” (“Hier lernen wir wie primitiv AfrikanerInnen sind. Wie folkloristisch unsere Kultur und Kunst sind”) den Bildern mehrerer afrikanischer Zeitschriften (“signalisieren Aufbruch, zeigen ein neues und anderes Afrika“) gegenüber. Afrikanet.info gibt auch Tips: Wie Medienmacher korrekt über Afrika berichten können

Ein Klassiker zum Thema ist der Text How to Write about Africa von Binyavanga Wainaina (siehe deutsche Uebersetzung). Auf ethno::log wurde der Text einmal in einem Klischee-Check benutzt.

AKTUALISIERUNG 14.6.10 Leider fehlen konkrete Quellenangaben im Text der Ethnologen. Doch heute bittet die Märkische Allgemeine mit folgender Schlagzeile um unsere Aufmerksamkeit VÖLKERKUNDE: Ballmagie mit Talisman Ethnologen der FU Berlin über Zauberei und die Bedeutung des Fußballs für Afrika. Platz fuer Kritik ist, da, doch der Fokus ist und bleibt die Magie. Andere Beispiele: Hexenmeister in Afrika – Fußball von allen guten Geistern verlassen (Spiegel 8.6.2010). Fußball in Afrika
Rezension von Oliver G. Becker: “Voodoo im Strafraum” und Bartholomäus Grill: “Laduuuuuma!”
(Deutschlandradio 1.5.10), Voodoo in Afrikas Fußball „Mit Leichenwasser den Gegner schwächen“ (Focus 9.6.10)

Bei dialogtexte.de gibt es Informationen zu “Fußball als transkulturelles Phänomen und “Public Viewing als religiöses Fest”

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World Cup Witchcraft: European Teams Turn to Magic for Aid

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“Gewalt gehört zu Indien wie ein gut gewürztes Currygericht” – Ethnologe kritisiert SZ

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Mainzer Ethnologinnen dokumentieren Unabhängigkeitsfeiern in Afrika

17 afrikanische Staaten feiern in diesem Jahr 50 Jahre Unabhängigkeit. Studierende und Doktorandinnen des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien an der Uni Mainz besuchen neun davon und berichten im Netz über ihre Erfahrungen.

Doktorandin Kathrin Tiewa Ngninzégha hat am Freitag ihren Bericht von den Feiern in Kamerun ins Netz gestellt. Wir lesen u.a., dass die Fußballweltmeisterschaft von 1990 nachgespielt wurde. Damals erreichten die Kameruner nämlich das Viertelfinale. Eine grosse Konferenz thematisiert die Rolle Afrikas in der Welt im 21. Jahrhundert. Egal bei welcher der Feierlichkeiten, das Bild des amtierenden Präsidenten Paul Biya ist immer in überlebensgroßer Version sichtbar, so die Ethnologin.

In ihrem ersten Beitrag vom 13. Januar besucht sie kamerunische Denkmäler.

>> Uebersichtsseite “50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika – Vor-Ort-Berichte Mainzer NachwuchsforscherInnen”

>> Projektbeschreibung “Erinnerungspolitik und Nationalfeiern in Afrika”

Die Jubiläumsfeiern waren auch Thema einer Konferenz, worüber Ethnologe Thomas Bierschenk einen Gastbeitrag bei der ARD geschrieben hat.

Das Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Uni Mainz hat übrigens eine imponierende Sammlung an Arbeitspapieren im Netz, derzeit sind es 116. Darunter befindet sich auch “Was heißt (schon) Unabhängigkeit? Autobiographie eines Konzeptes” von Patrice Nganang.

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Ethnologe Leo Frobenius und der koloniale Blick auf Afrika

“Afrikaner hatten hohes Ansehen an europäischen Fürstenhöfen”

Open Access Anthropology in Africa – an introduction

The resurgence of African anthropology

17 afrikanische Staaten feiern in diesem Jahr 50 Jahre Unabhängigkeit. Studierende und Doktorandinnen des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien an der Uni Mainz besuchen neun davon und berichten im Netz über ihre Erfahrungen.

Doktorandin Kathrin Tiewa Ngninzégha hat am Freitag ihren…

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Wie bitte? Ein ethnologisches Gutachten? Sich reinwaschen mit Kulturrassismus?

Hier ist eine Geschichte, die wir vermutlich in die Schublade “Kulturrassismus” stecken können.

Am 12. Juni 2008 <a href="brennt es in einem Asylbewerberheim in Klagenfurt. Ein 42 Jahre alter Ghanese springt in Panik aus dem Fenster und kommt um. Dem Betreiber werden mangelnde Brandschutzeinrichtungen, u.a. fehlende Fluchtwege vorgeworfen. Ein “fataler Grossbrand”, bei dem es kein Entkommen gab.

Die Angeklagten weisen die Verantwortung für das Unglück weit von sich und versuchen sich nun mit einem “ethnologischen Gutachten” reinzuwaschen, meldet der ORF: Ist es nicht typisch afrikanisch beim Brand aus dem Fenster zu springen? Hätten Fluchtwege ohnehin nicht geholfen?

Der ORF schreibt:

Wörtlich beantragte der Anwalt das “Einholen eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychologie und Ethnologie verbunden mit Verhaltensforschung zur Erstellung eines Gutachtens über das Fluchtverhalten von Mittelafrikanern im Vergleich zu Mitteleuropäern im Brandfalle.” (…) “Selbstverständlich” sei das Fluchtverhalten unterschiedlich, denn “die haben das ja selber gesagt: ‘Wir kennen keine Feuerwehr bei uns und haben keine andere Möglichkeit, als zu springen'”.
(…)
Man müsse den Fall “rein sachlich” betrachten, mit dem Antrag soll festgestellt werden, “ob – unabhängig von den gegebenen Voraussetzungen – die Asylanten in der Lage sind, auf Einrichtungen (Fluchtwege, Brandschutz, Anm.) zu reagieren oder ob sie aufgrund des Kulturkreises, aus dem sie kommen, nicht in der Lage dazu sind und einfach springen”, erklärte er.

>> weiter im ORF

Nach Ansicht von Staatsanwalt Christof Pollak hat es sich um einen Brandanschlag gehandelt. Die Kärntner Polizei soll den Brandanschlag vertuscht haben, meldete der ORF vor wenigen Tagen. Falls dies stimmt, wäre ein ethnologisches Gutachten über die Polizei und die Gesellschaft, die solche Taten ermöglicht und eventuell sogar duldet, eher angebracht.

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Racism – The Five Major Challenges for Anthropology

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Hier ist eine Geschichte, die wir vermutlich in die Schublade "Kulturrassismus" stecken können.

Am 12. Juni 2008 <a href="brennt es in einem Asylbewerberheim in Klagenfurt. Ein 42 Jahre alter Ghanese springt in Panik aus dem Fenster und kommt um.…

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Konflikt in Nigeria “keine rein islamische Krise”

Hunderte von Toten forderten Gefechte im Norden Nigerias. In einem leider etwas kurz geratenen Interview mit dem Standard sagt der nigerianische Kulturanthropologe Aderemi Ajala, dass es bei dem Konflikt mehr um Geld als Religion handelt:

Auf die Frage des Standards ob es nicht um eine weitere Islamisierung gine, Boko Haram kämpfe ja gegen westliche Bildung, sagt er:

Bitte, die westliche Bildung wurde ja schon vor langer Zeit eingeführt! Warum ist das plötzlich ein Thema? Überhaupt sind die Islamisten selbst sehr westlich, fahren Autos und haben westliche Waffen. Im Norden Nigerias sind zudem die Gouverneure selbst Muslime. Die Scharia gibt es dort schon seit den 1980ern. Die haben ja bereits, was sie wollen. Ich denke also nicht, dass dieser Konflikt jetzt eine rein “islamische” Krise ist. Die verwenden die Religion, um ihren Protest auszudrücken. Das, was die Teilstaaten haben, ist Bargeld. Und die Islamisten wollen quasi an die Regierung, indem sie auf sie Druck ausüben.

>> zum Interview im Standard

Der Standard hat diverse Links zum Thema, ansonsten siehe auch Hintergrundartikel bei der BBC. Bei Savage Minds gibt es auch einen Text zu Anthropology in Nigeria

Hunderte von Toten forderten Gefechte im Norden Nigerias. In einem leider etwas kurz geratenen Interview mit dem Standard sagt der nigerianische Kulturanthropologe Aderemi Ajala, dass es bei dem Konflikt mehr um Geld als Religion handelt:

Auf die Frage des Standards ob…

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