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Die Angst vor den Minderheiten – Appadurai nun auch auf deutsch

Warum richten sich Hass und Aggressionen so leicht gegen Minderheiten, die doch, eben weil sie zahlenmässig unterlegen sind, die Mehrheit gar nicht ernsthaft zu bedrohen imstande wären? Das ist eine der Fragen, die Arjun Appadurai, einer der bekanntesten heutigen Ethnologen, in seinem Buch “Fear of Small Numbers” stellt, das nun auch in deutscher Uebersetzung erschienen ist.

Uwe Justus Wenzel bespricht das Buch, das auf Deutsch “Die Geographie des Zorns” heisst, in der NZZ eingehend und konkludiert:

Wer bei der Lektüre des gedanklich nicht auf einer geraden Linie voranschreitenden Essays Komponenten einer möglichen Theorie über den Zusammenhang von Globalisierung und Gewalt einsammelt, wird am Ende neben den fatalen Spiegelungen von Mehrheiten und Minderheiten einige weitere auflisten können: von der «gefährlichen Idee» des Nationalstaats, deren Gefahrenpotenzial sich gerade im historischen Augenblick der Erosion dieses Staatsmodells zu realisieren scheint, über den Zusammenhang von sozialer Verunsicherung und ideologischer Gewissheit bis zum aggressiven Narzissmus der kleinen Unterschiede. Dass «die Globalisierung» – die weltweite und unübersichtliche Verknüpfung von Staaten, Märkten, Menschen, Kulturen und Vorstellungen – die Ausbrüche kollektiver Gewalt wahrscheinlicher werden lasse, ist des Autors Vermutung und Befürchtung; dass sie nicht notwendigerweise dazu führe, seine Überzeugung und Hoffnung.

Wie nahe beieinander Furcht und Hoffnung liegen, wird sinnfällig in den beiden gegensätzlichen Verkörperungen des «zellularen Prinzips», das Appadurai als politisches Organisationsprinzip weltweit im Aufstieg begriffen sieht: Nichtzentralistisch und nichthierarchisch – eben zellular – agierten sowohl Terroristen als auch transnationale Nichtregierungsorganisationen, die Protagonisten einer freundlichen und friedlichen «Graswurzelglobalisierung».

>> weiter in der NZZ

Appadurais Analysen der Gewalt gehen tiefer als das Gros an tagesaktuellen Meinungen, schreibt das Titel Magazin. Aber Kritiker Carl Wilhelm Macke ist nicht 100% ueberzeugt, teils wohl aus politischen Gruenden:

Appadurais Versuch, ein Interpretationsraster für diese täglich durch die Medien präsentierte Gewalt in Kriegsgebieten wie in friedlichen Weltzonen zu liefern, hat seinen intellektuellen Reiz. Vieles spricht für die These des Autors, dass das Aufleben extrem fremdenfeindlicher und aggressiver Demagogen, Parteien und Gruppen eine Folge der Globalisierungsängste ist. Aber genügen zwei, drei Formeln, um alle Formen von Gewaltexzessen verstehen zu können? Auch die bei Appadurai immer wieder auftauchenden Anklagen gegen die katastrophale Weltsicht der Bush-Regierung sind im Übrigen durch den politischen Wechsel in den USA stumpf und hohl geworden.

>> weiter im Titel Magazin

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Islamophobie in Österreich – “ein längst überfälliges Werk”

Trotz zunehmender Islamophobie scheint das Thema immer noch nicht richtig aufgearbeitet zu sein. Nun haben sich Kultur- und Sozialanthropologen, Theologen, Kommunikations-, Politik-, Rechtswissenschaft und Islamwissenschaftler zusammengetan und einen Sammelband zur Islamophobie in Österreich herausgegeben. “Ein längst überfälliges Werk”, schreibt das Onlinemagazin Kismet.

Laut Kismet-Autor Ferdinand Lughofer zeigt das Buch vor allem, dass das Phänomen der Islamophobie nicht nur aus der rechten Feder kommt:

Wenn also darüber diskutiert werden soll, wie verhindert werden soll, dass die neuen JungwählerInnen zur FPÖ überlaufen, dann ist sich nicht nur die Frage zu stellen, was die islamophoben Werbesprüche wie “Daham statt Islam” und “Abendland in Christenhand” dazu beitragen, sondern auch, inwieweit nicht Medien und Schulbücher zur Islamophobie einen Beitrag leisten.

>> weiter in Kismet

Die Zeitschrift Die Furche interviewt Politikwissenschaftler Farid Hafez, der das Buch zusammen mit John Bunzl herausgegeben hat. Hafez lokalisiert ein Hauptproblem im Nationsverständnis in Österreich, Deutschland und der Schweiz, das sich stark von Großbritannien oder den USA unterscheidet. Es sei ausgrenzend:

Die Österreicher sind in der Mehrheit der Fälle weiß, hellhäutig, katholisch oder zumindest christlich. Die Selbstverständlichkeit, einen Muslim als Österreicher zu sehen, ist in der Gesellschaft nicht wirklich vorhanden. Der Muslim ist der Ausländer. Auch wenn es um Konvertierte geht oder um Muslime der zweiten und dritten Generation. Man sieht das im Bild der Öffentlichkeit. Es ist immer noch undenkbar in Österreich eine Nachrichtensprecherin zu haben, die Kopftuch trägt, oder einen Nachrichtensprecher, der Mustafa heißt.

In Großbritannien zum Beispiel wird man schon bei der Ankunft in Heathrow von einem Sikh, einer jungen Frau mit Kopftuch oder einem pakistanischen jungen Mann mit drei Meter langem Bart begrüßt und kontrolliert. Um diese Sichtbarkeit, die diese jungen Menschen dort in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst haben, ist bei uns einfach nicht vorhanden.

>> weiter in der Furche

Das Buch hat – und das unterstreicht ja genau einer der Hauptaussagen der Herausgeber – bisher zu keiner grossen Medienresonanz geführt. Eine Runde Googlen gab jedenfalls keinen einzigen Treffer bei Tageszeitungen.

Das erinnert an den Fall Marwa el-Sherbini. Die Hijab-tragende Apothekerin ist am 1. Juli 2009 Opfer von Islamophobie geworden. In einem Gerichtssal in Dresden war sie mit mindestens 18 Messerstichen ermordert worden. Mehr noch als die Tat war das Schweigen der Medien ein Ausdruck von Haltungen, die mehr studiert werden müssen. Dazu hat Silvia Horsch auf nafisa.de eine interessante Medienanalyse geschrieben, siehe Der Mord an Marwa el-Sherbini – Verschleierungen und Versäumnisse. Einen ausgezichneten Nachrichenüberlick gibt es auch auf musafira.de, u.a. Nachrichtenupdate zum Mord an Marwa el-Sherbiny Nr.4 sowie auf Omar Abo-Namous’ Too Much Cookies Network, u.a. Mord an Marwa El-Sherbini: Migranten sind schuld?. Die Zeit schreibt mittlerweile, dass der Mord die Stadt Dresden zu verändern beginnt, siehe Die Stille nach dem Schuss. Und der Tagesspiegel berichtet Dresden plant Ehrung für tote Marwa.

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Ausstellung “Crossing Munich”: Ethnologen für neue Perspektiven in der Migrationsdebatte

Wie können Ethnologen zu einer nuancierteren Migrationsdebatte beitragen? In München startet ab 10. Juli ein neuer Versuch. Zusammen mit Volkskundlern, Historikern und Künstlern haben Studierende und Doktoranden der Ethnologie an der Uni München die Ausstellung “Crossing Munich” konzipiert.

Drei Semester lang hat sich dieses interdisziplinäre Team mit dem Thema Migration in München auseinandergesetzt. Doch die Forschenden waren nicht nur in München unterwegs, sondern auch in Istanbul, Antwerpen oder Pristina im Kosovo.

Sie wollen zeigen, dass man das Thema Migration auch anders diskutieren kann. Migration dreht sich nicht nur um Kultur, Ethnizität oder Integration. Und ob nun Migration eine Bereicherung oder eine Bedrohung darstellt, ist auch nicht die interessanteste Problemstellung.

Die Ausstellung hat auch eine überraschend informative Webseite und ist damit auch für uns interessant, die weit weg von München wohnen.

Einen Einblick in die Ausstellung finden wir unter dem Menuepunkt Projekte.

In ihren Projekten verorten die Forscher die Stadt München in einem globalen Netz von Bewegungen und Verbindungen – sowohl heute wie auch in der Vergangenheit.

Einen spannenden Eindruck macht das Projekt Spedition Schulz. Die Autos und Autowracks, die man von aussen sieht, lassen nicht erahnen, dass die „Spedition Schulz“ Teil eines übergreifenden transnationalen ökonomischen Systems ist, welches München mit Afrika und Vorderasien verbindet:

Die Arbeit „Spedition Schulz“ geht in akribischer Feldforschung den ökonomischen Transaktionen nach und macht die transnationalen familiären, sozialen und ökonomischen Pfade sichtbar, die von diesem Ort ausgehen. (…) So erzählen die Autos, die z.B. über Antwerpen afrikanische Häfen ansteuern, nicht nur eine post-koloniale Geschichte von historischen Handelsnetzwerken und ungleichen Tauschbeziehungen, sondern über die Mikroökonomie eines Speditionsplatzes auch die Geschichte afrikanischen Lebens in München.

Einen wichtigen aber offenbar unbekannten Teil der Geschichte rollt das Projekt Migrantische Kämpfe. Kämpfe der Migration auf:

Bisher ist die Geschichte der Proteste und Kämpfe der MigrantInnen der ersten Stunden der „Gastarbeitsära“ nur in sehr geringem Umfang aufbereitet worden. Allerdings können die Recherchen von „Migrantische Kämpfe – Kämpfe der Migration“ deutlich machen, in welchem breitem Ausmaß sich bereits die sogenannte erste Generation an den Protest- und Streikbewegungen in den 1960er und 1970er Jahren beteiligte und/oder ihre eigenständigen politischen Projekte, Solidaritätsbewegungen und Forderungen nach gleichen Rechten in Bildung, Arbeit und Staatsbürgerrecht entwickelte. (…) Das Wissen um diese Ereignisse wird aber bis heute nur spärlich weitergegeben.

Einen kritischen Beitrag zur Debatte um “Ghettos” in den Vorstädten liefert das Projekt “westend“. Die Migration von Arbeitern aus dem Süden veränderte nämlich den Diskurs über die Verhältnisse in den Vorstädten:

Während zunächst noch die sozialen „krassen Missstände“ (SZ 3.3.1970) in den zu hohen Preisen vermieteten Altbauwohnungen angeklagt wurden, produzierte der bald einsetzende Ghetto-Diskurs (1972) eine andere öffentliche Aufmerksamkeit. Jetzt waren es nicht mehr die Praktiken der Vermieter, sondern „der Zustrom der Gastarbeiter“, der plötzlich mit den als Ghettos stigmatisierten Stadtteilen ein Gesicht bekam. (…) Die Arbeit „westend urban_lab“ startet mit einer kritischen Lektüre des Münchner Ghetto-Diskurses und begibt sich selbst auf historisch-ethnographische Spurensuche ins Westend.

Das Dossier skizziert die Positionen der beteiligten Wissenschaftlerinnen. Die wissenschaftliche Leiterin der Ausstellung, Volkskundlerin/Europäische Ethnologin Sabine Hess, wirft in ihrem Text Welcome to the Container einen kritischen Blick auf die dominierenden Diskurse über Migration und zeigt neue Wege in der Forschung auf (sprachlich jedoch nicht gerade leserfreundlich)

Es ist vor allem wichtig, das Containerdenken und den methodologischem Nationalismus zu überwinden und transnationale Perspektiven anzuwenden.

Mit Containerdenken meint sie folgendes:

Die eigene Gesellschaft oder die Stadtgesellschaft wird als kulturell homogener Zusammenschluss mit deutlichen Grenzen vorgestellt. Naturalistischen, ja gar physikalischen und hydraulischen Gesellschaftsvorstellungen folgend wird das von außen Kommende als Fremdkörper imaginiert, das die „Aufnahmefähigkeit“, die „Belastbarkeit“, die „Integrationskraft“ der nationalen Containergesellschaft herausfordert, aus dem „Gleichgewicht“, ja zum „Überlaufen“ bringt (vgl. Crossing Munich 2009).
(…)
Politisch gesehen bringt das Containermodell dabei eine ungeheuere Rigidität mit sich, die den Prozess der Akkulturation und Neuansiedlung in nationale Loyalitäts- und Identitätsrhetorik kleidet nach dem Motto: „Du kannst kein anderes Vaterland neben mir haben“. Diese Perspektiven sind der derzeitigen Integrationsdebatte tief eingeschrieben, die Integration als Imperativ an die MigrantInnen adressiert.

>> zur Webseite von Crossing Munich

UPDATE 1: Interview mit Sabine Hess in der Sueddeutschen und Ausstellungsbesprechung auf no-racism.net

UPDATE 2: 900 Gäste kamen zur Eröffnung. Crossing Munich wurde ausgewählt an der 4. Internationalen Architektur Biennale Rotterdam teilzunehmen, die unter dem Motto „Open City: Designing Coexistence“ vom 24. September 2009 bis zum 10. Januar 2010 stattfindet. Crossing Munich ist in der Kategorie Diaspora vertreten und wird sich dort neben Projekten aus Taiwan, Tokio, Washington und Leipzig präsentieren.

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Drei Semester…

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Buchbesprechung: Unser merkwürdiger Umgang mit “Fremdem”

Im Mittelalter wurde Afrika als Europa ebenbürtig angesehen. Heut ist das anders. Warum? Sozialanthropologiestudentinnen aus Wien gehen in einem Buch dem “Spuk des Fremden” auf den Grund.

Das Fremde

“Das Fremde. Konstruktionen und Dekonstruktionen eines Spuks” ist Resultat eines Seminars an der Uni Wien. Anhand von Beispielen aus der Politik, Werbung und Geschichte zeigen die Autorinnen auf, wie wir das Fremde konstruieren, wie wir Fremde behandeln und wie wir uns eventuell vom “Spuk des Fremden” befreien können.

Ende letzten Jahres hatte ich mich mit den beiden Redakteurinnen Stephanie Krawinkler und Susanne Oberpeilsteiner über das Buch unterhalten. Kurz danach landete das Buch in meinem Briefkasten. Ich habs es nun gelesen.

Es ist ein gutes Buch. Es gibt eine gute Einführung in ein zentrales Thema unseres Faches, in Theorien (oder Ideologien) wie die des Multikulturalismus und in die Diskursanalyse, ein grundlegendes Handwerkzeug für jeden Gesellschaftswissenschaftler. Lediglich sprachlich hapert es gelegentlich: Die teils langen Zitate auf Englisch hemmen de Lesefluss und aufgrund des Fachjargons sollte man ein paar Semester studiert haben, um vom Buch profitieren zu können.

Besonders gut gefällt mir die kritische Einstellung zur populären Gleichsetzung von Nationalität und Kultur. Ob jemand als fremd aufgefasst wird, hängt nicht unbedingt mit der Nationalität zusammen. Auch ohne Migranten existiert in Österreich und anderen Länderm eine Vielfalt von Lebensformen und Werten.

“Ein Fremder”, schreibt Caroline Purps im Einstiegskapitel, “ist nicht einfach fremd, er wird zu dem Fremden gemacht.” Wer zu Fremden gemacht wird und wie diese Fremde behandelt werden, hat nicht unbedingt mit den Eigenschaften der jeweiligen “Fremden” (“ihrer Kultur”) zu tun, sondern mit der politischen Grosswetterlage, mit Machtverhältnissen, Interessen der dominierenden Gesellschaftsschichten.

Um Fremde und Fremdheit zu verstehen, muss man daher die Mehrheitsgesellschaft studieren. Hier ist die Diskursanalyse, die Purps vorstellt, ein nuetzliches Werkzeug:

Überzeichnet gesagt: Wer den Diskurs bestimmt, kann Realität schaffen. Während also die Mehrheitsbevölkerung im Alltagsdiskurs meint, mit zwingenden Tatsachen zu hantieren, stellt die Critical Discourse Analysis das in Frage. Ein Fremder ist nicht einfach fremd, er wird zu dem Fremden gemacht. Und Angehoerige einer bestimmten Minderheit sind nicht einfach anders, sie werden zu den Anderen gemacht.

Dies ist eine wichtige Erkenntnis. Zur Zeit sind Muslime die Fremden. Zu Fremden Nr 1 gemacht durch 9/11 und USAs “Krieg gegen Terror”. Fremdbilder ändern sich. Hier in Norwegen z.B. wurden vor hundert Jahren die Schweden ähnlicher Hetze und Diskriminierung ausgesetzt wie Muslime heutzutage – etwas das sich heute niemand vorstellen kann.

Auch das Bild von Afrika hat sich gewandelt. Aufzeichnungen aus dem Mittelalter zufolge, so Stefan Weghuber in seinem Beitrag, hatten Europäer hohen Respekt vor Afrika. Afrika galt als Europa ebenbürtig. Dies änderte sich mit der europäischen Expansion und den Kreuzzügen. Afrikaner wurden als primitiv dargestellt, um Missionierung und Kolonisierung zu legitimieren. Während des Zweiten Weltkriegs charakterisierten die Nationalsozialisten Marokkaner, die in der französischen Armee Dienst taten, als “Kannibalen”.

Dieses Bild von Afrikanern bekamen jene österreichischischen Frauen zu spüren, die Beziehungen mit marokkanischen Besatzungssoldaten, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges u.a. in Vorarlberg einmarschierten, eingingen. Marokkaner wurden – im Gegensatz zu den französischen Soldaten – als “Naturmenschen” oder “Kulturlose” angesehen. Sich mit “solchen Leuten” zu verheiraten, galt als Unding. “Lassen Sie sich nie mehr in der Kirche blicken”, sagte ein Pfarrer zu einer dieser Frauen, die mit einem Marokkaner ein Kind hatte.

Auch bei dieser Begegnung spielten “die Bewertungen und Interpretationen eines vorkonstruierten Fremden eine entscheidende Rolle”, kommentiert Weghuber.

Fremdbilder werden ständig neu geschaffen – z.B. auch in der Werbung, wenn Fanta mit ihrem Bamboocha-Werbespot aus dem Jahre 2005 (und der begleitenden Kampagne) Klischees aus der “paradisischen Südseewelt” aufgreift, wie dies Hanna M. Klien in ihrem Artikel schildert:

bamboocha

(deutsche Version nicht mehr auf Youtube)

Auch hier sagt der Diskurs über die “Anderen” mehr aus über die Mehrheitsgesellschaft als über die “Fremden”. Mithilfe eines psychoanalytischen Zugangs zeigt Klien, dass die Werbung darauf abzielt, Wünsche, die in unserer (kapitalistischen) Gesellschaft kein Platz haben und daher verdrängt werden, anzusprechen. Spass, Strand und Sonne statt Arbeit! Fanta machts möglich!

Das Resultat ist eine “durch rassistisch und exotisch gepraegte Stereotypen” dargestellte Südseebevölkerung. Die beiden Männer im Werbespot (Jimmy und Little Budda) werden “vor allem durch ihre Naivität, Unbedachtheit und die positive Lebenseinstellung charakterisiert”, so Klien.

Diese Perspektive auf “das Fremde” oder “die Fremden” als Konstrukt ist ein wichtiges Korrektiv zu gegenwärtigen Diskursen, in der Praxisen der Mehrheit selten kritisch analysiert werden. Viele dieser Diskurse basieren auf der Theorie oder Ideologie des Multikulturalismus, welche die Welt als eine Ansammlung verschiedener in sich geschlossener, homogener Kulturen sieht.

Susanne Oberpeilsteiner zeigt auf, dass Multikulturalismus – obwohl es verschiedene Versionen davon gibt – nicht unbedingt eine gute Lösung im Umgang mit “Fremden” ist. Sie zitiert u.a. Frank-Olaf Radtke der meint dass “kulturelle Differenz als Legitimation für den fortbestehenden Sonderstatus der Migranten weiterbenutzt” werde. Multikulturalismus, so Radtke, reproduziere genau die Kategorien, die überwunden werden sollen. Menschen wuerden ausschliesslich mit ihrer “Herkunftskultur” identifiziert. Die “Fremden” bekämen keine Chance, dem “Eigenenen” ähnlich zu werden; sie würden immer “fremd” bleiben.

Sehr verbreitet ist instrumenteller Multikulturalismus: Man anerkennt das Fremde solange es einem selbst nutzt, die Gesellschaft “bereichert” und leicht konsumierbar ist. Wer hat schon etwas gegen indisches Essen oder kubanische Rhythmen? Anders verhält es sich mit dem Hijab, ein komplexes Thema, das nicht auf Anhieb verstanden werden kann und daher gerne abgelehnt wird (Thomas Hylland Eriksen spricht von “diversity versus difference“).

Solche Haltungen hat Aleksandra Kolodziejczyk in der Wahlwerbung der SPÖ für die Wiener Landtagswahlen 2005, das sie für das Buch analysiert hat, entdeckt. Die Sozialdemokraten operieren mit zwei Kategorien von Fremden, den erwünschten und den unerwünschten Fremden (“ZuwanderInnen”).

Die Ethnologin schreibt:

Wünschenswerte Elemente des multikulturellen Erlebnisses sollen hervorgehoben werden, unerwünschte Teile des Fremden assimiliert und bestehende Konflikte und Reibungsflächen ausgeblendet werden.
(…)
Die unerwünschten Fremden sollen ausgegrenzt werden, die Erwünschten, die bereits einen sicheren Aufenthaltsstatus besitzen, sollen sich integrieren und sich konform mit den geltenden Gesetzen und sozialen Normen verhalten. (….) Die Verbesserung des Rechtsstatus und der Bedürfnisse von Zugewandterten mit prekären Aufenthaltsbedingungen werden nicht thematisiert.

Grosses Interesse an “Fremdem” konnte sie nicht entdecken, eher bevormundende und moralisierende Aussagen:

Solidarität zwischen den Menschen wird propagiert, weil “alle Fortschritte (…) niemals blind machen (dürfen) für die Schwächeren, die nicht mitkönnen”. (…) Die Sozialdemokraten zaehlen alle zugewandterten Personen zu den Schwachen und Hilfsbeduerftigen. Anstatt MigrantInnen als handelnde und gleichberechtigte InteraktionspartnerInnen wahrzunehmen, werden sie als KundInnen der SPÖ in eine hierarchisch unterlegene Position gebracht.

Welche Alternativen gibt es?

Weniger paternalistisch und mit mehr Offenheit scheint eine oesterreichische Bank dieses Thema anzugehen. Stephanie A. Krawinkler stellt das sogenannte “Diversity Management” der BA-CA (Bank Austria Creditanstalt) vor. Obwohl auch die Bank etwas stereotyp mit Vorstellungen einer “Nationalkultur” umgeht, berücksichtigt sie auch Vielfalt in Bezug auf Alter, Gesundheitszustand und sogar “Lebensweise” (Familienform, sexuelle Orientierung, “Work-Life-Balance”). Das ist eine ganz andere Haltung zu Vielfalt als ich in meinem ersten “richtigen” Job erfuhr. Schnell merkte ich, dass ich mit meinem Ethnologie-Background nur schlecht in die Gemeindeverwaltung hineinpasste. Als ich meinen Chef fragte, ob es moeglich sei, die Stelle meinen Qualifikationen anzupassen, wurde er wütend. Ich hatte meinen Chef niemals zu wütend gesehen.

Als Alternative zu einem essentialistischen Multikulturalismus schlägt Susanne Oberpeilsteiner Wolfgang Welschs Konzept der “Transkulturalität” vor. Dies trage der “Vernetztheit der Kulturen” Rechnung, schreibt sie. Schön wäre noch ein Durchgang der wachsenden anthropologischen Fachliteratur zum Kosmopolitismus gewesen.

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“Projekt Migrationsgeschichte”: Kulturwissenschaftler in Container in Innenstadt

Die Geschichten von Migranten ist selten Thema in Museen. Im Rahmen der Heimattage startet ein Projekt zur Migrationsgeschichte in Reutlingen: In Ab dem 14. März werden Ethnologen, Volkskundler und andere Kulturwissenschaftler in einem “Geschichtsbüro auf Zeit” in der Innenstadt Reutlingens zu finden sein, um mit Migranten zu reden, meldet der Alb-Bote.

Projektleiterin Claudia Eisenrieder und drei Mitarbeiter werden in dem Container an der Nikolaikirche bis Mitte Mai nicht nur Interviews führen mit den so genannten Gastarbeitern, die Reutlingen als neue Heimat im Wirtschaftswunderland auserkoren haben, sowie mit den Spätaussiedlern, Flüchtlingen und den Asylbewerbern, die ab den 90er Jahren an den Fuß der Achalm umgesiedelt sind. Sie werden auch “Erinnerungsgegenstände” entgegennehmen.

Zur Zeit nehmen die Forscher Kontakt mit Migranten auf. “Wir möchten einen Aktionskreis mit Vertretern unterschiedlicher Migrantengruppen aufzubauen”, erklärt Eisenrieder.
 
Die Arbeit soll in eine Ausstellung im Heimatmuseum im Frühjahr 2010 münden, sowie in ein Buch oder eine andere Dokumentation.

>> weiter im Albbote

>> mehr Information im Schwäbischen Tagblatt

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