Der Glaube an verborgene Kräfte ist im angeblich rationalen Europa heute keineswegs ausgestorben. Im Gegenteil. In dem Mass, in dem Wissenschaft und Rationalität sich als Organisationsprinzipien des modernen Lebens durchsetzen konnten, stieg auch das Bedürfnis nach dem Unerklärlichen, schreibt Ethnologin / Volkskundlerin Sabine Doering-Manteuffel in ihrem neuen Buch Das Okkulte, das u.a. in der faz besprochen wird.
Sabine Doering-Manteuffel lässt ihre Geschichte des Okkulten mit der Erfindung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts beginnen. Denn die Buchdruckerkunst war die Voraussetzung für die “Erfolgsgeschichte des Okkulten", lesen wir:
Wenn aufklärerische Geister hofften, der Buchdruck werde den Sieg der Vernunft über den Aberglauben herbeiführen, sollten sie sich getäuscht sehen. Denn gleich nach der gedruckten Heiligen Schrift entstanden “Ersatzbibeln", in denen alle Spielarten des Aberglaubens in einem bis dahin nicht gekannten Maß verbreitet wurden: “Die Geburt der modernen Esoterik lässt sich in derselben Zeit verorten, in der Bildung und Wissenschaft aufblühten", schreibt Sabine Doering-Manteuffel und weist nach, wie mit der Lesefähigkeit und dem Bildungsgrad der Menschen der Bedarf an Okkultem stieg.
Wie wir in der Besprechung im Deutschlandradio erfahren, stellt das Internet für Doering-Manteuffel “ganz allgemein ein okkultes Medium dar, in dem nicht nur unüberprüfte Informationen Wildwuchs treiben, sondern auch alle möglichen obskurantistischen, esoterischen und magischen Inhalte gepflegt werden, deren Überleben bis in die Wissensgesellschaft der Gegenwart eigentlich als erstaunlich erscheinen könnte".
Der Begriff des “Okkulten” werde jedoch im Buch zu wenig theoretisiert:
Die noch immer schwierige Frage, wo genau die Trennlinien zwischen guter wissenschaftlicher Praxis und rationalem Wissen einerseits und okkulten Praktiken und Wissensformen andererseits zu ziehen sind, wird wenig thematisiert. Gerade diese Frage ist aber interessant. Denn ganz abgesehen davon, dass auch heute noch wissenschaftstheoretische Debatten über das Verhältnis von legitimem und illegitimem Wissen geführt werden, wird ja gerade in der frühen Neuzeit diese Abgrenzung erst etabliert.
Die Alchemie etwa ist nicht einfach “okkult", sondern Vorläuferin sowohl von esoterischen Strömungen als auch unserer heutigen Wissenschaft Chemie. Doering-Manteuffel beschreibt in spannender Weise das Okkulte als langen Schatten der Aufklärung; wo aber genau die Grenze zwischen Schatten und Licht liegt, ist vielleicht doch etwas unklarer, als es dieses Buch an manchen Stellen vorauszusetzen scheint.
>> weiter beim Deutschlandradio
Ich war vor rund zehn Jahren fuer die Badische Zeitung auf einer Esoterik-Messe. Das war sehr exotisch, siehe meinen Bericht “Esoterik? Das ist der Weg zu mir”
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